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"Entartete Kunst" und "Heimatloser Kosmopolitismus"

Ein Kapitel DDR-Kulturpolitik, Teil 2

Im AK 340 wurde der Streit um das Faust-Libretto von Hanns Eisler dargestellt, der 1953 in der DDR stattfand. Die von den damals maßgeblichen Kulturpolitikern der DDR - Abusch, Girnus, Becher, Rodenberg u.a. - vorgetragene Polemik war von Stichworten bestimmt, die für sozialistisches Denken eigentlich nicht typisch sind: Eisler schlage dem deutschen Nationalgefühl ins Gesicht, habe den heimatlosen Kosmopolitismus nicht überwunden, sein Faust-Entwurf sei volksfremd und antinational, diene der Zerstörung des deutschen Nationalbewußtseins.

Im Folgenden sollen nun einige allgemeine Hintergründe dieser Polemik aufgezeigt werden.

Die von nationalistischen Begriffen und Argumenten gekennzeichnete Phase der SED-Politik hatte zur Zeit des Faust-Streits, Mai-Juni 1953, ihren Höhepunkt bereits überschritten. Diese Diktion hatte sich im Laufe des Jahres 1949 in der DDR breitgemacht, zeigte ihre extremen Formen in der Jahren 1951-1952, und verlor nach dem 17. Juni 1953 immer mehr an Bedeutung. Selbstkritisch zurückgenommen und aufgearbeitet wurde diese Phase jedoch nicht. Auch die Verurteilung des Faust-Entwurfs wurde nicht revidiert, sondern es wurde nur kundgetan, daß man Eisler diesen Fehltritt nicht weiter übelnehme.

So bezog sich am 28. August 1968 Kulturminister Klaus Gysi in einer Festrede folgendermaßen auf die vertrackte Episode: "Ich erinnere daran, wie Ernst Fischer vor Jahren eine Faustgestalt zur Zentralfigur der deutschen Misere stempeln wollte, wie er behauptete, ,der deutsche Humanist als Renegat` sei die typische Gestalt des Humanismus in Deutschland. Aus einer falschen Geschichtsbetrachtung, die die real vorhandenen, seit Jahrhunderten kämpfenden progressiven Kräfte im deutschen Volk nicht sehen will, wurde so eine Verfälschung der Klassik, letzten Endes ihre Zurücknahme, und zugleich sollten die revolutionären Kräfte unserer Republik als fortgeführte deutsche Misere diskreditiert werden." (1)

Der österreichische Sozialist Fischer hatte Eislers Faust-Libretto in einer Rezension positiv gewürdigt, nicht mehr und nicht weniger. Ihn traf nun die Schelte, die eigentlich dem Autor galt. Eislers Name fiel in Gysis Rede nicht einmal.

Alexander Abusch, 1953 einer der Hauptkontrahenten Eislers, hielt 1962, nun Kulturminister, die Trauerrede für den toten Komponisten, "vielen von uns über Jahrzehnte ein guter und verehrter, ein geliebter Freund". Auf die kleineren Fehltritte des geliebten Verstorbenen wurde nur mit pietätvollster Zurückhaltung angespielt: "Dein sozialistisches Ja zum Leben bewahrte Dich bei Deiner natürlichen Suche nach der Erschließung neuer Möglichkeiten der Kunst, nach echtem Neuerertum, vor den spätbürgerlichen Kunstdogmen und vor der mit ihnen verbundenen nihilistischen Entfremdung vom Volk." (2)

Noch in seinen 1986 erschienenen Memoiren betonte Abusch, er stehe "auch in der Rückschau, nach dreißig Jahren, zu meinem Auftreten in jener Diskussion". Die Auseinandersetzung sei notwendig gewesen, weil Fischers Interpretation "völlig unserer Bündnispolitik mit der humanistischen Intelligenz" widersprochen habe. "Sicher wäre Eislers Libretto ohne Fischers Begleitmusik nur beiläufig und milder als eine etwas abwegige Faust-Interpretation kritisiert worden." (3)

Von der Sowjetunion lernen

Die DDR-Kulturpolitik jener frühen Jahre läßt sich ohne Betrachtung erstens der Entwicklung in der Sowjetunion und zweitens der Veränderung der internationalen Lage nicht begreifen.

Vergleichsweise kann man sagen, daß die Kulturentwicklung in der SBZ zunächst von der sowjetischen Besatzungsmacht noch liberal gehandhabt wurde. Das Hauptinteresse war, überhaupt wieder einen Kulturbetrieb in Gang zu bekommen, was mit der Rekonstruktion der materiellen Voraussetzungen beginnen mußte. Wer und was hierbei dienlich sein konnte, wurde erst einmal herangezogen.

Die direkte Einflußnahme der UdSSR auf die von ihr abhängigen mittel- und osteuropäischen Staaten steigerte sich jedoch erheblich seit dem Sommer 1948, und das wurde auch in der Kulturpolitik spürbar. Im September 1947 war, teilweise als Nachfolgerin der während des Krieges aufgelösten Komintern, die Kominform gegründet worden. (4) Ihr gehörten sieben ost- und mitteleuropäischen KPs, sowie die italienische und die französische Partei an, jedoch nicht die SED und die KPD. Am 27. Juni 1948 wurde ein Beschluß der Kominform "Über die Lage in der Kommunistischen Partei Jugoslawiens" verabschiedet, der einer Exkommunizierung gleichkam. Zu den bis dahin nicht einmal öffentlich ausgetragenen Streitpunkten stand die Schärfe der Diktion in keiner nachvollziehbaren Relation.

Gewiß gab es für die Verurteilung der jugoslawischen KP-Führung auch realpolitische Gründe, die hier nicht untersucht werden sollen. Es wäre aber falsch, in diesem Fall, wie auch allgemein angesichts der stalinistischen "Säuberungen", die spezifischen Gründe überzubewerten. Im Prinzip ging es weniger darum, wer angeklagt wurde, sondern daß angeklagt wurde. Der Zweck bestand primär darin, ein Klima der Einschüchterung und des Mißtrauens zu produzieren. Im konkreten Fall: Jugoslawien wurde als warnendes Exempel behandelt, um von der Versuchung nationaler Sonderwege abzuschrecken und die sowjetische Einflußnahme auf die "volksdemokratischen" Länder zu verstärken.

Allen kommunistischen Parteien war nun aufgegeben, ihre "Lehren" aus der Kominform-Resolution zu ziehen und zu praktizieren. Der polnische KP-Chef Gomulka war der erste, der als nationalistischer Sonderwegler abgelöst wurde (September 1948); der nächste war der bulgarische Spitzenpolitiker Kostoff (März 1949), und ab Mai 1949 wurde unter direkter Anleitung sowjetischer "Berater" die Vorbereitung exemplarischer Prozesse in Ungarn und in der Tschechoslowakei vorangetrieben.

Der Parteivorstand der SED nahm erst am 16. September 1948 zu der Kominform-Resolution Stellung und entschuldigte sich "selbstkritisch" für diese Verspätung. Eine Aufarbeitung der Lehren aus der Resolution sei "um so notwendiger, als in der SED Erscheinungen des Zurückweichens vor feindlichen Ideologien vorhanden sind". In der SED sei bisher kein entschiedener Kampf gegen den Nationalismus (5) geführt worden, der bis in die Partei hineinreiche. Es sei nicht genug getan worden, um die Parteimitglieder mit den Erfahrungen der Sowjetunion und der KPdSU sowie mit deren "führender Rolle im Kampf für den Frieden und gegen den Imperialismus" vertraut zu machen. Außerdem sei die (gerade eben wieder von Stalin konstatierte) "Verschärfung des Klassenkampfes in den Ländern der Volksdemokratie" unterschätzt worden.

Der Parteivorstand verurteilte außerdem selbstkritisch, daß in der SED immer noch die "falsche Theorie" über einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus anzutreffen sei. Diese These hatte die KPD durch Anton Ackermann als ihre offizielle Linie in die Welt gesetzt. Am 24. September 1948 verwarf er sie im "Neuen Deutschland" als "unbedingt falsch und gefährlich". Sie sei "zweifellos eine Konzession an die starken antisowjetischen Stimmungen in gewissen Teilen der deutschen Bevölkerung", "ein Zurückweichen vor der wilden antikommunistischen Hetze" gewesen.

Was bedeutete diese gesteigerte Orientierung am sowjetischen Vorbild für die Kulturpolitik der DDR, oder zunächst noch SBZ? Die sowjetische Militärverwaltung (SMAD) verfügte über eine Abteilung für Information, zu deren Untergliederungen eine Abteilung für Kultur gehörte, die ihrerseits noch Fachreferenten für Theater, Musik usw. hatte. Die Kulturabteilung wurde geleitet durch den Professor für Germanistik, Alexander Dymschiz. Abgesehen von der sehr intensiven und engen persönlichen Einflußnahme auf Abusch, Becher u.a. hatte die Kulturabteilung die Seiten der vom SMAD herausgegebenen "Täglichen Rundschau" (Auflage angeblich 1 Million) zur Verfügung, um ihre Vorstellungen deutlich zu machen, abgesehen von Publikationsmöglichkeiten in DDR-Zeitungen.

Dymschiz scheint von seinen Instrumenten vergleichsweise zurückhaltend, klug und freundschaftlich Gebrauch gemacht zu haben. Er referierte und rechtfertigte zwar vorbehaltlos die kulturpolitische Entwicklung in der UdSSR, vermied aber anscheinend grobe Einmischungen in Vorgänge der DDR. Im März 1949 wurde er abgelöst, und der Ton veränderte sich total. Beispielhaft sei hier der mit N. Orlow - angeblich Pseudonym eines Autorenkollektivs - unterzeichnete Artikel "Wege und Irrwege der modernen Kunst" genannt, der am 20. und 21. Januar 1951 in der "Täglichen Rundschau" erschien. N. Orlow legte dort nicht nur ausführlich und zusammenhängend die damalige sowjetische, sich seit 1949 auch in der DDR ausbreitende Theorie über den Zusammenhang zwischen Imperialismus, Kosmopolitismus und moderner Kunst dar. Er vergab auch knapp und autoritär sehr strenge Zensuren gegen zahlreiche namentlich genannte DDR-Maler, gegen die Leipziger "Zeitschrift für Kunst", gegen mehrere DDR-Theater (einschließlich der Berliner Staatsoper), und sogar gegen das Ministerium für Volksbildung unter Paul Wandel, dem er vorwarf, es verhalte sich gegenüber den gefährlichen Tendenzen liberalistisch und es vergeude vom Volk aufgebrachte Mittel für den Ankauf von "entarteter Kunst". (Der Begriff steht so tatsächlich in dem Artikel.)

Das Ministerium für Volksbildung nahm damals noch die Aufgaben der Kulturpolitik wahr. Im März 1951 gab die SED bekannt, daß dieser Bereich eine eigene Anleitung erhalten würde, genannt Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten. Offiziell eingeführt wurde dieses Gremium, in dem der später im Faust-Streit unrühmlich hervortretende Girnus eine maßgebliche Position einnahm, im August 1951.

Vier Wochen nach dem Orlow-Artikel publizierte Girnus im "Neuen Deutschland" das Pamphlet "Wo stehen die Feinde der deutschen Kunst?". (ND vom 13. und 18. Februar 1951) Auf den Text, der zum ersten Mal konzentriert die Programmatik zur "Frage des Formalismus und des Kosmopolitismus" enthält, wird an späterer Stelle eingegangen. Seine Erwähnung dient hier nur als Hinweis, daß zwar eine enge sachliche und zeitliche Abstimmung zwischen den "sowjetischen Freunden" und ein paar eifrigen Vorturnern aus der DDR bestand, daß aber andererseits bestimmte sowjetische Vorstellungen schon auf vorbereiteten Boden fielen, so daß es anscheinend keines Drucks bedurfte, um sie als gültige Linie der SED durchzusetzen. Es folgte kurz darauf die definitive Formulierung des kulturpolitischen Kanons durch das ZK der SED, in Gestalt der Resolution "Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur". (5. Plenum, 15.-15. März 1951) Es handelte sich aber nur noch um die Systematisierung und Zuspitzung von Auffassungen, die sich schon seit 1949 breitgemacht hatten.

Kriecherei und Katzbuckelei vor dem Ausland

Vor einer Zusammenfassung dieser Theorie soll kurz deren Entwicklung und Entstehung nachgezeichnet werden. Ihre Anfänge werden im Allgemeinen, und mit guten Gründen, auf die "Shdanowtschina" zurückgeführt. Gemeint ist jene Durchrüttelung des gesamten sowjetischen Kulturschaffens, deren erste Phase von A. Shdanow, Sekretär des ZK der KPdSU, geprägt war. Nach Shdanows Tod (August 1948) folgte eine zweite Phase, die verbal sehr verschärft war und noch verheerendere Auswirkungen hatte.

Am Beginn stand eine Resolution des ZK der KPdSU "Über die Zeitschriften Swesda und Leningrad", beschlossen am 14. August 1946. Noch im gleichen Monat folgte eine ZK-Resolution zum Repertoire der sowjetischen Schauspielhäuser, und im September eine weitere über den Spielfilm "Das große Leben", in der u.a. auch Eisensteins "Iwan der Schreckliche" scharf kritisiert wurde. (6)

Im ersten Fall handelte es sich primär darum, daß die beiden Literaturzeitschriften Texte von Soschtschenko und Achmatowa veröffentlicht hatten, deren Inhalt als destruktiv-nihilistisch bzw. als religiös-mystisch und individualistisch verworfen wurde.

Darüber konnte man wohl unterschiedlicher Meinung sein. Verbunden war diese Kritik aber damit, nicht nur den Redaktionen der beiden Zeitungen, sondern auch dem Leningrader Parteikomitee und der Leitung des Schriftstellerverbandes schwerste Verfehlungen gegen die ideologische Wachsamkeit und politische Disziplin vorzuwerfen - mit entsprechenden tiefgreifenden personellen Konsequenzen. So setzte die Resolution landesweit einen Prozeß vorauseilender Zensur und gegenseitiger Denunzierung in Bewegung.

Shdanow, der die Resolution gegen "Swesda" und "Leningrad" in einem Referat begründete, brachte einen nationalistischen Ton hinein, der dort nur wenig Raum - lediglich drei, vier Absätze - einnahm und noch nicht bestimmend war, aber den weiteren Gang der Dinge schon andeutete: "Es ist kein Zufall, daß man sich in den literarischen Zeitschriften Leningrads für die moderne minderwertige bürgerliche Literatur des Westens zu begeistern begann. Einige unserer Schriftsteller begannen, sich nicht als Lehrer, sondern als Schüler der bürgerlich-philisterhaften Literaten zu betrachten, sie begannen, zur Kriecherei und Katzbuckelei vor der spießbürgerlichen ausländischen Literatur herabzusinken." Für "Sowjetpatrioten" sei es "unziemlich", "als Verehrer oder als Schüler der bürgerlichen Kultur aufzutreten", denn die Sowjetkultur sei der westlichen "hundertmal" überlegen, so daß der Westen vom Osten zu lernen habe, aber keinesfalls umgekehrt. (7)

Shdanow knüpfte damit an eine These an, die er schon 1934 verkündet hatte: "Die bürgerliche Literatur befindet sich heute in einem solchen Zustand, daß sie keine großen Werke mehr schaffen kann. Der Verfall und die Zersetzung der bürgerlichen Literatur, die aus dem Verfall und der Fäulnis des kapitalistischen Systems herrühren, sind ein charakteristischer Zug, eine charakteristische Besonderheit des Zustands der bürgerlichen Kultur und der bürgerlichen Literatur in der gegenwärtigen Zeit." (8)

Diese pauschale Theorie war in den 30er Jahren, angesichts der kurz darauf anbrechenden Phase der "Volksfrontpolitik" und des Werbens um demokratisch-antifaschistische Kulturschaffende, nicht zu halten gewesen. Die Überzeugung von der himmelweiten Überlegenheit alles Sowjetischen und der Minderwertigkeit alles Ausländischen mußte hinter der Betonung der Gemeinsamkeiten zurückstehen.

Es hatte andererseits seine Logik, daß die sowjetische Führung bald nach Kriegsende wieder auf Abgrenzung Wert legte. In der Kriegskoalition waren Illusionen über eine gemeinsame Gestaltung der Zukunft, über eine dauerhafte west-östliche Zusammenarbeit, auch über ein Zusammenwachsen der Nationen und Kulturen entstanden, die von den Regierungen offiziell ermutigt wurden. Nun ging man, nachdem die faschistischen Staaten geschlagen waren, in West und Ost daran, die politisch-ideologischen Begleiterscheinungen der Kriegskoalition zu liquidieren und die alten Feindbilder zu rekonstruieren. Der sowjetischen "Shdanowtschina" entsprach die Entfesselung einer antikommunistischen Hysterie in den USA. In beiden Situationen richtete sich der Hauptstoß gegen kulturell-ideologische Träger der Kriegskoalition. Sie galten nun als besonders labile und unzuverlässige Personenkreise, deren sich die Gegenseite für ihre geistige Subversion, aber auch für Spionagetätigkeiten u.ä., bedienen könnte.

Diesen Sinn der Kampagne verdeutlicht ein Zitat aus der Rede Malenkows auf der Gründungssitzung der Kominform: "Die Katzbuckelei und Kriecherei vor dem Westen stellt zum gegebenen Zeitpunkt eine ernste Bedrohung für unseren Staat dar, insofern als die Agenten der internatioalen Reaktion versuchen, die vom Gefühl der Katzbuckelei und Kriecherei vor der bürgerlichen Kultur infizierten Menschen zur Schwächung des Sowjetstaates auszunutzen." (9)

"Wurzellose Kosmopoliten" und "volksfremder Nihilismus"

In der oben erwähnten ZK-Resolution vom August 1946 "Über das Repertoire der Schauspielhäuser" war scharf kritisiert worden, daß unter 117 zu dieser Zeit gespielten Stücken nur 25 sowjetische Gegenwartsstücke seien, von denen zudem einige "ideologisch wertlos" oder "schädlich" seien. Besonders wurde der angeblich viel zu hohe Anteil von Arbeiten bürgerlich-westlicher Autoren kritisiert. Auch hier also wieder der Bogen zur "Katzbuckelei und Kriecherei" vor dem Ausland. Das Argument, bestimmte Inhalte, Formen und Theorien seien "der sowjetischen Literatur fremd", war nun immer häufiger zu vernehmen. Der Schritt zur Steigerung, daß diese Dinge auch "dem sowjetischen Volk fremd" seien, war nicht weit.

Im Frühjahr 1947 gab der Generalsekretär des sowjetischen Schriftstellerverbands, Fadejew, den Auftakt für eine "Säuberung" der Literaturwissenschaft im Sinne der neuen Richtlinien. Die angebliche Überschätzung ausländischer Romane, Theaterstücke usw. wurde nun auf falsche, verderbliche Theorien der Literaturhistoriker und -kritiker zurückgeführt. Der nächste Schritt war, daß ihre falschen Theorien als Ergebnis des Umstands gewertet wurden, daß die Autoren als konkrete Personen "dem sowjetischen Volk fremd" gegenüberstünden. Diese Autoren würden feindselige Absichten verfolgen, indem sie systematisch und bewußt in die Köpfe der Jugendlichen den Gedanken "einzuimpfen" versuchten, daß Rußland dem Westen unterlegen sei und daß die Russen die Westeuropäer und Amerikaner als ihre Lehrer ansehen müßten. (10)

So wurde aus einer kulturpolitischen "Fehlströmung", als die man die Sache 1946 noch behandelt hatte, parallel zur Verschärfung der Weltlage eine Agententätigkeit im Dienste des Imperialismus. Es lag in einem Land mit der antisemitischen Tradition Rußlands nahe, daß diese "volksfremde" Agententätigkeit vor allem mit einer bestimmten Gruppe der sowjetischen Kulturschaffenden und Intellektuellen verbunden wurde: Menschen jüdischer Herkunft.

Die völlige Umkehrung des Verhältnisses zu Israel kam hinzu: 1947/48 hatte die sowjetische Führung die Teilung Palästinas unterstützt. Begründet wurde das nicht nur mit dem Recht der überlebenden Juden auf eine Zuflucht, sondern auch mit dem Argument, daß der jüdische Staat fortschrittlich und freundlich gesonnen sei, die arabischen Regimes hingegen reaktionär und pro-imperialistisch. Die Sympathie sowjetischer Juden für den jüdischen "Befreiungskampf" in Palästina und das Unterhalten von persönlichen Kontakten wurden in dieser Phase von Staatsseite ermutigt. Von einem bestimmten Bruchpunkt an, der für die UdSSR ungefähr im Herbst 1948 lag, galten genau diese Emotionen und Beziehungen als äußerst verdächtig.

Im November 1948 wurden nahezu alle jüdischen Einrichtungen - Zeitungen, Theater, sowie das während der Krieges gebildete Antifaschistische Komitee - aufgelöst. Viele Menschen, die maßgeblich in diesen Bereichen gearbeitet hatten, wurden verhaftet. 13 von ihnen, darunter einige der bekanntesten sowjetisch-jüdischen Autoren und Vertreter des Antifaschistischen Komitees - wurden im Juli 1952 in einem Geheimprozeß zum Tode verurteilt und am 12. August 1952 hingerichtet. (11) Dem entsprach eine zunehmende antijüdische Orientierung in den "Säuberungen" der übrigen Ostblockländer, die im Slansky-Prozeß in der Tschechoslowakei (November 1952) ihren Höhepunkt erreichte.

Es wurde 1948/49 in der UdSSR üblich, die "feindliche" Gruppe mit dem Begriff Kosmopoliten zu belegen und sie in erster Linie mit Menschen jüdischer Herkunft zu identifizieren. Die sowjetische Zeitschrift "Fragen der Philosophie" hatte schon früh in 1948 folgende Begriffsklärung vorgenommen: "Der Kosmopolitismus ist eine reaktionäre Ideologie, die den Verzicht auf nationale Traditionen, die Verachtung der spezifischen Besonderheiten in der nationalen Entwicklung der Völker und die Verleugnung der Gefühle, der nationalen Würde und des Nationalstolzes predigt. Der Kosmopolitismus predigt eine nihilistische Einstellung des Individuums zu seiner Nationalität, zu ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft." (12)

Etwa seit Anfang 1949 wurden der Kosmopolitismus und besonders dessen angebliche Vertreter mit Beiworten wie "wurzellos", "heimatlos" versehen. Abgesehen von ihrem Anti-Nationalismus wurde ihnen auch eine nihilistische, "zersetzende" Grundeinstellung zu den "normalen menschlichen Werten" überhaupt, zur Moral und zur Tradition im weitesten Sinn dieser Worte, vorgeworfen. Aus den ständigen Hinweisen auf die "Erziehung der Jugend" ist zu erkennen, daß es bei dieser Kampagne auch ganz praktisch darum ging, die durch die barbarischen Erfahrungen des Krieges zerrüttete Sowjetgesellschaft wieder zu stabilisieren. Erscheinungen wie Individualismus, Egoismus (auch auf Kosten anderer), Entpolitisierung, "Zweifel an allem", sollten durch verstärkte Betonung kollektiver und traditioneller Werte - wobei sich genuin sowjetisches mit Rückgriffen auf die vorrevolutionäre Zeit verband - zurückgedrängt werden.

"Künstlich Staub aufgewirbelt"

In der SBZ/DDR gab es schon früh Versuche, den jeweiligen Entwicklungsstand der "Shdanowtschina" als unmittelbare Handlungsanleitung für die eigene Situation zu propagieren. Beispielhaft dafür ist der Artikel "Krise des Theaters?" von Fritz Erpenbeck (13) in der Theorie-Zeitschrift der SED, "Einheit", vom März 1947. In peinlich bemühter Nachzeichnung der KPdSU-Resolution "Über das Repertoire der Schauspielhäuser" vom August 1946 gelangte Erpenbeck zu der erwartungsgemäßen Schlußfolgerung: "Wir befinden uns bei der Spielplangestaltung der deutschen Bühnen augenblicklich in einem krisenhaften Zustand". Nämlich, auch dies nicht überraschend: zu wenige zeitgemäße Stücke über den demokratischen Aufbau, statt dessen "Überflutung unserer Bühnen mit planlos und oft sinnlos angenommenen ,interessanten` ausländischen Stücken", wobei es dem Autor abgesehen von seichten Reißern besonders die "Surrealisten" angetan hatten.

Insgesamt betrachtet war Erpenbecks Vorstoß jedoch für diese Phase nicht typisch. Die meisten Stellungnahmen aus den Jahren 1946-48 waren nicht darum bemüht, die Anlehnung an die sowjetische Kulturpolitik zu propagieren. Im Gegenteil wird die Absicht sichtbar, die eskalierenden Vorgänge in der UdSSR in ihrer Bedeutung abzuschwächen. Es sei nur die bürgerliche Hetze, die sie unangemessen "hochspiele". In diesem Sinn stellte beispielsweise der SMAD-Kulturverantwortliche Dymschiz die ZK-Resolutionen vom Herbst 1946 dar. Nach seiner Interpretation ging es keineswegs darum, ausländische Autoren von sowjetischen Bühnen zu verbannen, sondern nur um das Aussortieren primitiver Lustspiele, Boulevardstücke usw. Gute westliche Autoren würden selbstverständlich weiterhin gespielt bzw. publiziert. Dabei nannte Dymschiz lauter Namen, die schon wenige Monate später als "westlich-dekadent" galten: Shaw, Sinclair, Aragon, Malraux u.a. (14)

Im Mai 1948, kurz nachdem im Januar in der UdSSR eine sehr heftige Kampagne gegen "modernistische" Erscheinungen in der Musik eingesetzt hatte, sprach Anton Ackermann auf einer Kulturtagung der SED nur ganz beiläufig von einer Auseinandersetzung, "über die im Westen künstlich soviel Staub aufgewirbelt wurde". (15)

Als bezeichnend für die abschwächende und verharmlosende Interpretation in dieser Phase sei noch die dreiteilige Artikelserie erwähnt, die Wolfgang Harich nach einem Besuch in Moskau und Leningrad im Mai/Juni 1948 für die "Weltbühne" schrieb. Harich gab dort vor, es handele sich bei der "angeblichen" Maßregelung sowjetischer Kulturschaffender nur um bürgerliche Hetze. Selbst den öffentlich gemeldeten Ausschluß angegriffener Autoren aus dem Schriftstellerverband erwähnte Harich nur als aufgeblasenes Gerücht aus Westquellen - ganz so, als hätte er während seines Aufenthalts in der UdSSR keine Gelegenheit oder kein Interesse gehabt, sich darüber sachkundig zu machen.

Die ganze Darstellung lief darauf hinaus, in der Sowjetunion finde lediglich eine interessierte, fachlich höchst qualifizierte Diskussion zwischen Autoren und Publikum statt, die für keinen Autor mit bleibenden Nachteilen verbunden sei. Also eigentlich genau das, was sich doch jeder fortschrittliche Autor wünsche. Die Polemik gegen West-Autoren wurde von Harich umgedeutet zu einem Feldzug gegen "schwüle Pornographien" und "sentimentale Dienstmädchenromane", um die es sowieso nicht weiter schade sei. (16)

Mit der praktischen Nutzanwendung der Kominform-Resolution gegen Jugoslawien und der Selbstproklamierung der SED als "Partei neuen Typus" (Januar 1949) ging auch eine kulturpolitische Anpassung an das sowjetische Vorbild einher. Im März 1949 ließ Abusch in seiner Auftaktrede zum offiziellen Goethe-Jahr die neuen Stichworte erstmals anklingen: "Mit der Würdigung der nationalen Bedeutung der Persönlichkeit und des Werkes unseres größten Dichters greifen wir auch direkt in den gesamtdeutschen politisch-ideologischen Kampf gegen die Versuche der geistigen Marshallisierung ein. Die Propagandisten des nordamerikanischen Imperialismus haben sich neuerdings ein kosmopolitisches Gewand angezogen: Sie propagieren eine sogenannte Weltregierung, einen sogenannten Weltstaat, eine sogenannte Europäische Union, ein sagenhaftes ,Weltbürgertum`, die alle ganz praktisch der Kriegspolitik des amerikanischen Monopolkapitals dienen sollen." (17)

Knut Mellenthin

analyse & kritik, 8. April 1992


Anmerkungen

1) "Sonntag", 15.9.68. Hier zitiert nach Hans Bunge, Die Debatte um Hanns Eisler "Johann Faustus", Berlin 1991. Bunge hat die meisten Texte zum Faust-Streit zusammengestellt. Leider verstarb Bunge während der Edition, und der Verlag hat es nicht fertiggebracht, die Dokumentation mit einem vernünftigen Beitext, Anmerkungen und einer Bibliographie zu versehen, so daß ein Verständnis ohne zusätzliche Lektüre nicht möglich ist. Eine nützliche Ergänzung ist daher das Buch von Deborah Vietor-Engländer: Faust in der DDR, erschienen in Frankfurt/M. 1987. Es enthält auch eine sehr umfangreiche Literaturliste.

2) 12.9.62. Enthalten in Alexander Abusch, Kulturelle Probleme des sozialistischen Humanismus, Berlin/DDR 1967.

3) In A. Abusch, Mit offenem Visier, Berlin/DDR 1986, S. 287-291. Daß Abusch der Episode soviel Raum gewidmet hat, zeigt immerhin, wie sehr ihn der Vorgang noch in der Erinnerung bewegte und wohl doch auch belastete. Die Tatsache, daß er selbst 1951 um ein Haar Opfer einer "Parteisäuberung" geworden wäre, was mehrere Jahre Haft hätte bedeuten können, erwähnt Abusch hingegen nur mit zwei Sätzen.

4) Die Entwicklung von der Antifaschistischen Kriegskoalition zum Kalten Krieg kann hier nicht nachgezeichnet werden. Es sei deshalb nur kurz eingefügt, daß die Gründung der Kominform eine Reaktion auf die Verschärfung des Ost-West-Konflikts war, die mit den Punkten Truman-Doktrin (März 1947) und Marshall-Plan (Juni 1947) zu bezeichnen ist. Die Truman-Doktrin sah vor, alle "freien Völker" bei ihrem Kampf gegen "Druck von Außen" und "kommunistische Subversion" wirtschaftlich-finanziell zu unterstützen. Konkret ging es zunächst um Griechenland und die Türkei. Mit dem Marshall-Plan, der dieses "Hilfsangebot" im Prinzip auf ganz Europa ausdehnte, aber mit weitgehenden Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten verband, wurde praktisch die Frontziehung durch Europa vollendet. Vor allem traditionell nach Westen ausgerichtete Länder wie Polen oder die Tschechoslowakei standen vor der Alternative, sich entweder mit dem amerikanischen "Hilfsangebot" zu arrangieren, oder ihre Wirtschaftsbeziehungen mit den kapitalistischen Hauptmächten stark zu reduzieren und eine Umorientierung ihrer Außenwirtschaft auf die UdSSR vorzunehmen. Der starke Druck, den die sowjetische Führung in den folgenden Jahren auf die "volksdemokratischen" Länder ausübte, ist u.a. in diesem Zusammenhang zu sehen.

5) Aus dem Kontext geht klar hervor, daß mit "Nationalismus" im Wesentlichen nicht mehr gemeint war als erstens die Infragestellung der durch den Krieg neugezogenen Ostgrenzen und zweitens allgemein "antisowjetische Auffassungen", worunter in der Praxis überhaupt jede Kritik an der sowjetischen Politik verstanden wurde. Mit dem derart reduzierten Begriff von "Kampf gegen den Nationalismus" war der Übergang zu einer extrem nationalischen Diktion durchaus vereinbar.

6) "Iwan der Schreckliche" ist ein Film mit deutlichen großrussisch-chauvinistischen und reaktionären Tendenzen. Die an dem Film geübte Kritik, Eisenstein habe die Geschichte fehlinterpretiert, richtete sich aber nicht gegen diese Tendenzen, sondern lief eher darauf hinaus, sie noch zu verschärfen.

7) A. Shdanow, Über Kunst und Wissenschaft, Berlin/DDR 1951, S. 25-26 und S. 41-42.

8) Rede auf dem 1. Unionskongreß der Sowjetschriftsteller. Wie Anm. 6, S. 7

9) Zitiert nach Gleb Struve, Geschichte der Sowjetliteratur, München 1957, S. 413. Diese sehr umfang- und faktenreiche Gesamtdarstellung, die anscheinend auf gründlicher Kenntnis der zeitgenössischen sowjetischen Presse und Buchveröffentlichungen basiert, ist leider antikommunistisch orientiert.

10) Damit wurde angeknüpft an einen Streit, der schon im 19. Jahrhundert sehr heftig zwischen den Richtungen der "Westler" und der "Slawophilen" ausgetragen worden war, und der immer wieder ins Spiel kommt, wenn in Rußland stärker die "Besinnung auf die eigenen Wurzeln" betont wird. Vor diesem Hintergrund argumentieren heute große Teile des russischen Rechtsradikalismus antiwestlich und antikapitalistisch.

11) Diese Vorgänge sind bis heute nur bruchstückhaft bearbeitet und sehr schlecht dokumentiert. Eine Folge ist, daß die vorliegenden Darstellungen - meist nur Exkurse in umfassenderen Arbeiten - oft unpräzise sind, mangelnde Information durch vage (mitunter irreführende) Umschreibungen überspielen, und einander vielfach widersprechen, etwa in der Zahl der 1952 Hingerichteten. Eine knappe (eine Zeitungsseite), aber kompakte und nützliche Gesamtübersicht ist: Arno Lustiger, Zu unsere brider un schwester ojf die ganze welt!, Frankf. Allgemeine, 14.8.91.

12) Voprosy Filosofij, Nr. 2/1948. Zitiert nach G. Struve (siehe Anm. 9), S. 420.

13) Erpenbeck war zu dieser Zeit Hauptabteilungsleiter für Darstellende Kunst und Musik im Ministerium für Volksbildung. Später gehörte er der 1951 gebildeten Kunstkommission, Vorläuferin des Kulturministeriums, an.

14) A. Dymschiz, Probleme der heutigen Sowjetkunst. In: "Tägliche Rundschau", 11.-15.10.46.

15) Rede auf der Ersten Zentralen Kulturtagung der SED, 5.-8. Mai 1948. Abgedruckt im ND vom 8.5.48.

16) W. Harich, Gleichschaltung? In: "Weltbühne" Nr. 21-23/1948.

17) Vom Autor zu einem Aufsatz bearbeitete Rede im Parteivorstand der SED, 8.3.49. Abgedruckt in: A. Abusch, Kulturelle Probleme des sozialistischen Humanismus, Berlin/DDR 1967.