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Truman-Doktrin: Ein Meilenstein des kalten Krieges

Am 12. März 1947 hielt US-Präsident Harry S. Truman vor beiden Häusern des Kongresses eine Rede, die zu einem Wendepunkt der Nachkriegsgeschichte wurde: Sie enthielt die nach ihm benannte „Doktrin“. Ihr unmittelbarer Zweck bestand darin, die finanzielle und militärische Unterstützung des griechischen Regimes zu legitimieren, das seit März 1946 Krieg gegen eine Aufstandsbewegung führte, an deren Spitze die kommunistische Partei stand. Darüber hinaus bereitete die Truman-Doktrin dem wenige Monate später angekündigten Marshall-Plan und der Gründung der NATO im April 1949 den Weg.

Eine Reihe von US-Präsidenten, aber bei weitem nicht alle, haben sogenannte Doktrinen hinterlassen. Sie enthalten außenpolitische Richtlinien und werden in der Regel durch Kongress-Reden, entweder in den alljährlichen Berichten zur Lage der Nation oder während eigens einberufener Sondersitzungen, „verkündet“. Sie bedürfen keiner parlamentarischen Zustimmung, sind praktisch unwiderruflich, dafür aber andererseits auch nicht rechtsverbindlich. Sie werden so formuliert, dass sie zwar grundsätzlich und für alle Zeit gültig klingen, aber dem Präsidenten und seinen Nachfolgern einen weiten Handlungsspielraum lassen.

Als zentrale Aussage der Truman-Doktrin gelten die folgenden Sätze: „Ich glaube, dass es die Politik der Vereinigten Staaten sein muss, freie Völker zu unterstützen, die Widerstand gegen Unterwerfungsversuche durch bewaffnete Minderheiten oder Druck von außen leisten. Ich glaube, dass wir freien Völkern dabei beistehen müssen, ihr eigene Bestimmung auf ihre eigene Weise zu finden. Ich glaube, dass unser Beistand in erster Linie durch wirtschaftliche und finanzielle Hilfe erfolgen sollte, die von grundlegender Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität und für eine geordnete politische Entwicklung ist.“

Truman schloss mit den Sätzen: „Die freien Völker der Welt erwarten von uns, dass wir sie bei der Aufrechterhaltung ihrer Freiheit unterstützen. Wenn wir in unserer Führungsrolle Schwäche zeigen, könnten wir den Weltfrieden gefährden – und wir würden ganz bestimmt das Wohl unserer Nation auf Spiel setzen. Ich bin voll Zuversicht, dass der Kongress sich dieser Verantwortung direkt und entschlossen stellen wird.“

In diesem Punkt konnte sich der Präsident sicher sein, auch wenn die oppositionellen Republikaner eine Mehrheit im Senat hatten. Um mögliche Widerstände frühzeitig aus dem Weg zu räumen, hatte die Administration führende Politiker aus beiden Häusern des Kongresses und aus beiden großen Parteien sowohl an der Vorbereitung der Rede als auch an der dahinterstehenden strategischen Debatte beteiligt. Der Kongress bewilligte am 22. Mai 1947 Trumans Forderung, für Beistandsleistungen an Griechenland und die Türkei im Zeitraum bis zum 30. Juni 1948 insgesamt 400 Millionen Dollar freizugeben. Nach heutigem Wert entspräche das ungefähr dem Zehnfachen, also vier Milliarden. Das Gesetz erlaubte es dem Präsidenten grundsätzlich, den beiden Staaten auch darüber hinaus Finanzhilfen zu gewähren und Angehörige der US-Streitkräfte in ausschließlich beratender Funktion dorthin zu schicken.

Der größte Teil der vom Kongress bewilligten Mittel, rund 300 Millionen Dollar, wurde für die Unterstützung des griechischen Regimes aufgewendet. Die Türkei, die sich nicht in einer Bürgerkriegssituation befand und auch sonst nicht den angeblichen „Unterwerfungsversuchen“ ausgesetzt war, die der Truman-Doktrin zugrunde lagen, wurde in die Finanzhilfe hauptsächlich aus Gründen der politischen Symmetrie einbezogen. Griechenland und die Türkei waren aus historischen Gründen verfeindet. Der letzte Krieg zwischen ihnen hatte 1919 bis 1922 stattgefunden, also nur 25 Jahre zuvor. Ihre Beteiligung an einem gemeinsamen Hilfsprogramm verbesserte aus Sicht der US-Regierung die Voraussetzungen, die Türkei später in die NATO zu holen, für die sie als „südöstlicher Eckpfeiler“ existentielle Bedeutung hatte.

Das griechische Volk war damals durchaus nicht frei. Die von den USA geführte westliche Gemeinschaft, die sich selbst offiziell und standardmäßig als „die freie Welt“ bezeichnete, legte selbst übelsten Diktaturen das Attribut „frei“ bei. In Wirklichkeit bedeutete das Wort nur noch, dass ein Staat nicht zum „Ostblock“ gehörte und möglichst auch noch scharf antikommunistisch ausgerichtet war. In Griechenland war die Lage so eindeutig, dass Truman einen darauf bezogenen Absatz in seine Kongressrede eingebaut hatte: „Die griechische Regierung operiert in einer Atmosphäre des Chaos und des Extremismus. Sie hat Fehler gemacht. Die Ausweitung unserer Hilfsleistungen bedeutet nicht, dass die Vereinigten Staaten alles gutheißen, was die griechische Regierung getan hat oder tun wird. Extremistische Maßnahmen der Rechten oder der Linken haben wir in der Vergangenheit verurteilt und verurteilen sie auch jetzt. Wir haben in der Vergangenheit zur Toleranz geraten und tun das auch jetzt.“

Griechenland war nicht nur eines der ökonomisch und gesellschaftlich rückständigsten Länder Europas, sondern war zwischen den beiden Weltkriegen auch Schauplatz mehrerer Staatsstreiche des Militärs. Als Reaktion auf Streiks der Industriearbeiter ließ General Ioannis Metaxas am 4. August 1936 den Ausnahmezustand ausrufen. In der Folgezeit wurde unter seiner Führung ein autoritäres Regime errichtet, das sich in seiner Ideologie, seiner Symbolik, seinen Strukturen und Methoden sowohl beim italienischen Faschismus als auch bei den Militärmachthabern der iberischen Halbinsel, dem Portugiesen António de Oliveira Salazar und dem Spanier Francisco Franco, bediente. Alle Parteien – bis auf die des Diktators selbst – wurden für illegal erklärt, Streiks verboten, die Presse einer scharfen Zensur unterstellt.

Dieses Regime hielt sich bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht im April 1941, auch wenn Metaxas schon im Januar jenes Jahres starb. Während des Krieges gab es, ähnlich wie im benachbarten Jugoslawien, ein Neben- und Gegeneinander bewaffneter Formationen. Neben der Volksbefreiungsarmee (ELAS) als bewaffnetem Arm der hauptsächlich von den Kommunisten geführten Nationalen Befreiungsfront (EAM) existierten Einheiten, die dem alten Regime nahestanden, sowie offizielle und inoffizielle Hilfstruppen der deutschen Streitkräfte. Der von den Alliierten geforderte und geförderte Versuch, die EAM an der griechischen Exilregierung in der ägyptischen Hauptstadt Kairo zu beteiligen, hielt zwischen Frühjahr und Dezember 1944 nur wenige Monate.

Auch das von den Alliierten im Februar 1945 mehr aufgenötigte als vermittelte Abkommen von Varkiza, das erneut die Bildung einer „Regierung der Nationalen Einheit“ ermöglichen sollte, zerbrach. In dem Küstenort, der heute zum Großraum von Athen gehört, war vereinbart worden, ELAS zu entwaffnen. Für politische Straftaten sollte es eine Amnestie geben. Die Kommunistische Partei sollte legal und ohne Behinderungen tätig sein können. In der Praxis ließ die Regierung aber für viele Handlungen während des Krieges die Amnestie nicht gelten. Zehntausende von Mitgliedern der ELAS, der EAM und der KP wurden unter oft menschenrechtswidrigen Bedingungen eingesperrt. Antikommunistische Banden, denen von Regierungsseite freie Hand gelassen wurde, ermordeten nach niedrigen Schätzungen mehr als 2.000 Menschen. Eine weit größere Zahl wurde misshandelt. Das führte dazu, dass viele Partisanen, teilweise entgegen den Anweisungen von Parteiführern, ihre Waffen behielten, wieder „in den Untergrund“ gingen und sich zu Selbstverteidigungsgruppen zusammenschlossen.

Seit März 1946 herrschte offener Bürgerkrieg. Große Teile des Landes, vor allem die gebirgige Halbinsel Peloponnes im Süden und die Grenzgebiete zu Jugoslawien, Albanien und Bulgarien, befanden sich unter Kontrolle der ELAS, die sich nunmehr Demokratische Armee Griechenlands (DSE) nannte. Die Partisanen erhielten hauptsächlich aus Jugoslawien Unterstützung, konnten aber auch über die Grenzen nach Bulgarien und Albanien ausweichen. Dagegen war die Haltung der Sowjetunion zwiespältig. Partei- und Regierungschef Josef Stalin befürchtete offenbar, dass der griechische Bürgerkrieg zu bewaffneten Konflikten mit den benachbarten „volksdemokratischen“ Staaten führen und letztlich Großbritannien und die USA zu einem direkten militärischen Eingreifen veranlassen könnte.

Zu dieser Zeit war die während des zweiten Weltkriegs zwischen den Alliierten entstandene Zusammenarbeit noch nicht definitiv beendet, auch wenn die Widersprüche an Zahl und Schärfe zunahmen. In Deutschland und Österreich versuchten die vier Besatzungsmächte immer noch, die Reste und den Anschein von Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten. Der während der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) zwischen der Sowjetunion, den USA und Großbritannien vereinbarte Rat der Außenminister, dem als vierter Staat auch Frankreich angehörte, traf sich regelmäßig in wechselnden Hauptstädten zu mehrwöchigen Beratungen. Immerhin hatten die vier Minister unter anderem schon die Friedensverträge mit Deutschlands Kriegsverbündeten Italien, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Finnland ausgehandelt, die schließlich am 10. Februar 1947 unterzeichnet wurden.

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Truman seine Kongressrede kurz nach Beginn eines Treffens des Rats der Außenminister in Moskau, des vierten nach offizieller Zählung, vortrug. Das war ein Paukenschlag, der die traditionellen Formen der Diplomatie sprengte und zweifellos auch so wahrgenommen werden sollte. Diese Gesprächsrunde hatte am 10. März 1947 begonnen und dauerte bis zum 24. April. Im Mittelpunkt standen die Behandlung Deutschlands, vor allem die Frage der Kriegsentschädigungen für die Sowjetunion, und die Vorbereitung eines Friedensvertrags mit Österreich. Am 3. Mai 1946 hatte der stellvertretende Militärgouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone, Generalleutnant Lucius D. Clay, im Alliierten Kontrollrat in Berlin angekündigt, dass die Lieferung von Reparationen aus der amerikanischen Zone eingestellt sei. Das gelte nicht nur für die Sowjetunion, sondern auch für andere von Deutschland überfallene Staaten. Damit verstießen die USA gegen einen aus sowjetischer Sicht selbstverständlich zentralen Punkt der in Potsdam beschlossenen Vereinbarungen. Sowjetische Versuche, darüber noch zu diskutierten, liefen gegen die Wand. Die Situation zwischen den Alliierten verschlechterte sich weiter durch die wirtschaftliche Vereinigung der amerikanischen mit der britischen Besatzungszone, die am 1. Januar 1947 in Kraft trat.

Zurück zum griechischen Bürgerkrieg und der Vorgeschichte der Truman-Doktrin. Winston Churchill, Großbritanniens Premier während des zweiten Weltkriegs, erwähnte in seiner zwischen 1948 und 1953 erschienenen sechsbändigen Darstellung „The Second World War“ eine Episode, die sich im Oktober 1944 ereignet habe, als er zu Gesprächen in Moskau war. Beim ersten Zusammentreffen, das am 9. Oktober stattfand, habe er Stalin vorgeschlagen, über „our affairs in the Balkan“ zu sprechen, und ihn dann direkt gefragt: „Wie wäre es, wenn Sie eine 90prozentige Vorherrschaft in Rumänien haben würden, wir eine 90prozentige in Griechenland, und wenn wir Halbe-Halbe in Jugoslawien machen würden?“ – Während dies für Stalin übersetzt wurde, habe er auf ein halbes Blatt Papier seinen Vorschlag notiert, erweitert um Ungarn (50:50) und Bulgarien (75:25 zugunsten der Sowjetunion). Er habe diesen Zettel Stalin zugeschoben, der die Liste mit einem blauen Stift abgehakt habe.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Anekdote, der nicht überprüfbar erscheint, steht fest, dass Churchills Regierung sich genau in jenem Zeitraum die militärische Vorherrschaft in Griechenland sicherte. Am 4. Oktober 1944 waren britische Truppen in Patras im Nordwesten des Peloponnes gelandet, am 14. Oktober zogen sie in Athen ein. Für den Kampf gegen die deutschen Streitkräfte war das bedeutungslos, es gab nicht einmal leichte „Gefechtsberührung“. Denn nachdem die sowjetische Armee am 20. August 1944 eine Offensive gegen Rumänien begonnen hatte und das Land am 23. August die Seite gewechselt hatte, war die in Griechenland stationierte deutsche Heeresgruppe E zum „geordneten Rückzug“ übergegangen, um der Gefahr zu entgehen, dort abgeschnitten zu werden.

Das Eingreifen britischer Truppen in Griechenland zu diesem Zeitpunkt diente also ausschließlich dazu, die rechten Kräfte gegen die Aufstandsbewegung zu stärken und diese, in Verbindung mit politischem Druck durch die Sowjetunion, zur Aufgabe zu zwingen. Als das nicht gelang und stattdessen ein Bürgerkrieg entbrannte, war es zunächst hauptsächlich Großbritannien, das die Rechten mit Waffen belieferte, ihnen Militärberater stellte und trotz einer angespannten eigenen Lage Finanzhilfe leistete.

Nach offizieller Darstellung ließ die britische Regierung der US-Administration am 24. Februar 1947 durch ihren Botschafter in Washington mitteilen, dass sie nicht mehr in der Lage sei, ihre Hilfsleistungen für Griechenland fortzusetzen. In seiner Kongressrede nannte Truman sogar einen genauen Termin, zu dem Großbritannien angeblich seine Unterstützung einstellen wollte, nämlich den 31. März 1947. Diese Behauptung wird von den Akten nicht gestützt und diente vermutlich der Dramatisierung der Lage. Jedenfalls fand am 27. Februar 1947 ein Treffen im Weißen Haus statt, bei dem ausgewählte Kongressmitglieder aus beiden Parteien von Außenminister George Marshall und seinem Staatssekretär Dean Acheson über die britische Note und die beabsichtigten Aktionen der US-Regierung informiert wurden.

Einige Parlamentarier äußerten daraufhin die Befürchtung, dass die USA den Briten „wieder einmal die Kastanien aus dem Feuer holen“ sollten. Marshall reagierte mit einer düsteren Situationsbeschreibung und schloss: Es gehe nicht um britische Interessen, sondern um die Sicherheit der USA und um die Frage, „ob zwei Drittel der Welt und drei Viertel ihres Territoriums von den Kommunisten kontrolliert werden sollen“. Die Kongressmitglieder zeigten sich, einem Sitzungsprotokoll zufolge, „äußerst beeindruckt“ und sagten ihre Unterstützung für die Pläne der Regierung zu. Zugleich drängten sie darauf, dass dieses „Programm“ auch der Öffentlichkeit in ebenso freimütiger Weise präsentiert werden solle, wie es Marshall eben getan hatte. Vielleicht gab dies den direkten Anstoß für Trumans Rede.

In Wirklichkeit hatte die US-Regierung allerdings nicht erst am 24. Februar von den britischen Schwierigkeiten und von der Absicht Londons, sich aus einer Reihe internationaler „Verpflichtungen“ zurückzuziehen, erfahren. Daher hatte Truman schon im Januar 1947 eine Delegation von Wirtschaftsfachleuten nach Griechenland geschickt, um sich über die Lage und den sich daraus ergebenden Bedarf an US-amerikanischen Hilfsleistungen zu informieren. Diese Gruppe hielt sich vom 8. Januar bis zum 22. März 1947 in Griechenland auf und berichtete, dass das Land vor einer wirtschaftlichen Katastrophe stehe. Vor diesem Hintergrund lässt sich vermuten, dass der ausdrückliche britische „Hilferuf“ vom 24. Februar mehr oder weniger bestellt worden war, um zunächst den Kongress und dann auch die US-amerikanische Öffentlichkeit vom extremen Ernst der Lage zu überzeugen.

Im Zusammenhang mit der Truman-Doktrin ist auch die Entfernung der Kommunisten aus den Regierungen Frankreichs und Italiens zu sehen, die im Mai 1947 erfolgte. In beiden Fällen hatte die US-Regierung auf diesen Schritt gedrängt und davon die Gewährung finanzieller Hilfen abhängig gemacht. Die italienische KP repräsentierte damals 19 Prozent der Wähler, die französische Partei sogar etwas über 28 Prozent, mit denen sie aus der Wahl am 10. November 1946 als stärkste Partei des Landes hervorgegangen war. Die französischen Kommunisten wurden am 5. Mai 1947 von der Regierung ausgeschlossen, nachdem sie der Lohnpolitik ihrer Koalitionspartner widersprochen und ihre Zustimmung zur Finanzierung des Kolonialkriegs in Indochina verweigert hatten. In Italien trat der christdemokratische Regierungschef Alcide de Gasperi am 13. Mai 1947 zurück und bildete am 1. Juni eine neue Regierung, in der nicht nur die Kommunisten, sondern auch die Sozialisten, die ein Jahr zuvor  20,68 Prozent der Stimmen erhalten hatten, nicht mehr vertreten waren.

Gleichzeitig liefen in der US-Administration schon die internen Diskussionen und Vorarbeiten für ein ganz Europa oder wenigstens dessen westliche Hälfte abdeckendes Finanzhilfeprogramm. Am 5. Juni 1947 stellte Außenminister Marshall den „Plan“, der später nach ihm benannt wurde, in einer Ansprache vor, die er an der Elite-Universität Harvard hielt. Er vermied dabei Zahlen und andere Einzelheiten, ließ aber erkennen, dass die Beteiligung jedem Staat offenstehe, der zur Zusammenarbeit bereit sei.

Tatsächlich weckte das zunächst noch unbestimmte Angebot auch bei einigen osteuropäischen Staaten Interesse. Die sowjetische Führung bemühte sich anfangs um konkrete Informationen, drückte aber schon bald ihre scharfe Missbilligung des Projekts aus. Vom 26. Juni bis zum 3. Juli 1947 diskutierte Außenminister Wjatscheslaw Molotow in Paris mit französischen und britischen Regierungsvertretern, um abschließend zu erklären: Dieser Plan würde England, Frankreich und “eine Gruppe von Ländern, die ihnen folgen”, dazu führen, “sich von den anderen Staaten Europas zu trennen”. Das hätte die „Spaltung Europas in zwei Staatengruppen“ zur Folge und würde „neue Schwierigkeiten in den Beziehungen zwischen ihnen schaffen“.

Als politische Reaktion auf den Marshall-Plan erfolgte am 30. September 1947 die Gründung des Kommunistischen Informationsbüros, abgekürzt Kominform. In diesem Zusammenschluss, der an die 1943 aufgelöste Komintern anknüpfte, waren neben den kommunistischen und sozialistischen Parteien Osteuropas auch die französische und die italienische KP vertreten.

Im eigenen Land musste die US-Regierung erheblichen Widerstand überwinden, bevor sie den Marshall-Plan durchsetzen konnte. Die geplante Finanzhilfe in riesigem Umfang für andere Länder allgemein und die Beteiligung Deutschlands insbesondere riefen viel Widerspruch hervor. Erst am 3. April 1948 stimmte der Kongress dem Foreign Assistance Act, auch Economic Cooperation Act genannt, zu.

Innerhalb seiner Laufzeit von vier Jahren erreichten die im Rahmen des Marshall-Plans gewährten Finanzhilfen einen Gesamtumfang von über 12 Milliarden Dollar, mehr als 120 Milliarden nach heutigem Wert. Hauptempfänger waren Großbritannien mit 26 Prozent der Summe, Frankreich mit 18 und Deutschland mit 11 Prozent.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. März 2017