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Somalia: Ein neuer Präsident, aber die alten Probleme

Mit der Wahl eines neuen Präsidenten durch das somalische Parlament hat ein weiterer Versuch begonnen, eine repräsentative, landesweit anerkannte Regierung zu schaffen. Es ist bereits der fünfzehnte Anlauf seit dem Sturz des Diktators Mohamed Siad Barre im Januar 1991.

Am Sonnabend voriger Woche setzte sich Scharif Scheik Ahmed, dessen Alter unterschiedlich mit 42, 43 oder 44 angegeben wird, im zweiten Wahlgang gegen Barres Sohn Maslah Mohamed Siad durch. Ahmed gilt als gemäßigter Islamist und führt eine Fraktion der im Juni 2008 gespaltenen Union der Islamischen Gerichtshöfe (UIC). 293 Abgeordnete votierten für ihn, 126 für Barre. Zuvor hatte der amtierende Premierminister Nur Hassan Hussein das Handtuch geworfen, nachdem er im ersten Durchgang nur 59 Stimmen erhalten hatte.

Wahl im NATO-Stützpunkt

Das Parlament tagte auf ausländischem Boden, in der Republik Dschibuti, die den größten NATO-Stützpunkt auf dem afrikanischen Kontinent beherbergt. Der offizielle Sitz des somalischen Parlaments, die Provinzstadt Baidoa, war am 26. Januar von der radikal-islamistischen Al-Schabaab besetzt worden. Wenige Stunden zuvor hatten die äthiopischen Interventionstruppen, auf die sich bisher die Übergangsregierung gestützt hatte, ihren Abzug aus Somalia beendet. Auch die Sicherheitslage in der somalischen Hauptstadt Mogadischu wird offenbar so prekär eingeschätzt, dass die Vereidigung Ahmeds in Dschibuti stattfand.

Bevor das Parlament zur Wahl des neuen Präsidenten zusammentrat, war es durch die Aufnahme von 200 neuen Abgeordneten erweitert worden, die von Ahmeds UIC-Flügel nominiert wurden. Weitere 75 Sitze sollen künftig noch an andere Gruppen verteilt werden, so dass die Abgeordnetenzahl von früher 275 dann auf 550 verdoppelt sein würde.

Das Parlament war im Jahre 2004 im Verlauf einer wochenlangen Konferenz in Kenia zusammengestellt worden und sollte ein ungefähres Gleichgewicht zwischen den somalischen Clans und sonstigen Interessengruppen wiederspiegeln. Das gelang jedoch von Anfang an nicht. Auch nach der jetzt erfolgten Aufnahme der Ahmed-Anhänger repräsentiert das Abgeordnetenhaus bei weitem nicht das gesamte politische Spektrum. Zum einen fehlen der andere Flügel der UIC und Al-Schabaab. Auf der anderen Seite haben sich etliche Abgeordnete aus dem Umkreis des Ende Dezember 2008 zum Rücktritt gedrängten früheren Präsidenten Abdulahi Jusuf zurückgezogen und nicht an der Sitzung in Dschibuti teilgenommen. Sie gehören überwiegend, wie Jusuf selbst, dem im Norden Somalias dominierenden Darod-Clan an, dessen Führung sich durch das Arrangement zwischen der Übergangsregierung und Ahmeds UCI benachteiligt sieht.

Präsident Ahmed zählt zum Clan der Hawije, der in Zentralsomalia, einschließlich der Hauptstadt Mogadischu, vorherrscht. Nach der somalischen Verfassung kann daher Premierminister Nur Hassan Hussein, der gleichfalls zu den Hawije gehört, nicht im Amt bleiben: Der Regierungschef und der Präsident dürfen nicht Mitglieder des selben Clans sein.  Ahmed wird nun ein Mitglied der Darod zum Premier ernennen müssen. Es ist zu erwarten, dass er dafür einen Politiker suchen wird, der das Vertrauen der Clan-Ältesten besitzt, um diese wieder in das Machtmanagement einzubinden.

Berichten zufolge soll die Bildung einer neuen Regierung noch in Dschibuti ausgehandelt werden und erst anschließend deren Übersiedlung nach Somalia erfolgen. Ungewiss ist angesichts der Besetzung von Baidoa durch Al-Schabaab, wo die neue Übergangsregierung sich künftig niederlassen wird. Auch in Mogadischu beherrschen militante Islamisten, die in Opposition zu Ahmed stehen, nach dem Abzug der äthiopischen Soldaten den größten Teil der Stadt. Die Truppen der bisherigen Übergangsregierung haben sich in den letzten Monaten weitgehend aufgelöst; ein Großteil ist mitsamt ihren Waffen zu den Islamisten übergelaufen. Der neue Präsident Scharif Scheik Ahmed scheint als Hoffnungsträger weithin populär; viele Somalis geben ihm einen Vertrauensvorschuss, nach 18 Jahren Bürgerkrieg das Land wieder einen zu können. Aber die militärische Stärke seines UIC-Flügels wird zumeist nicht hoch eingeschätzt.

Auf fremde Truppen angewiesen

Ansonsten bleibt als Stütze der Koalition zwischen der bisherigen Übergangsregierung und den Ahmed-Anhängern nur die afrikanische Friedenstruppe AMISOM (African Union Mission to Somalia), die seit März 2007 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu stationiert ist. Ursprünglich war sie auf eine Stärke von 8000 Mann geplant, die sie aber nicht annähernd erreicht hat. Nach der jüngsten Angabe der UNO besteht AMISOM derzeit nur aus etwa 3200 Soldaten, die je zur Hälfte von Uganda und Burundi gestellt werden. Beide Länder haben sich bereit erklärt, in naher Zukunft jeweils ein weiteres Bataillon, zusammen ungefähr 1500 Mann, nach Somalia zu schicken. Auf ein Datum haben sie sich allerdings noch nicht festgelegt. Außerdem hat Nigeria, ebenfalls ohne festen Termin, die Absicht angedeutet, mindestens ein Bataillon, aber möglicherweise sogar drei, zu entsenden. Das ergäbe im äußersten Fall eine AMISOM-Gesamtstärke von etwas mehr als 6000 Soldaten.

Ob diese Zahl erreicht wird, ist jedoch vorerst völlig ungewiss. In Uganda gibt es starke Tendenzen, die eigenen Einheiten abzuziehen statt zu verstärken. Nigeria hält die Afrikanische Union schon seit fast zwei Jahren mit nicht eingehaltenen Zusagen hin. Zudem hat die AU das Mandat für AMISOM im Januar nur noch bis zum 16. März 2009 verlängert. Diesen Beschluss verband die AU mit der Forderung, dass nach diesem Zeitpunkt die UNO zumindest eine Übergangslösung auf dem Weg zu einer breiter getragenen Friedenstruppe anbieten muss. Außerdem verlangt die AU vor allem von den USA und der Europäischen Union eine stärkere finanzielle und logistische Unterstützung.

Andererseits muss man das vermutlich nicht übermäßig ernst nehmen: Schon bei der Schaffung von AMISOM im Januar 2007 hatte die AU deren Mission definitiv und – wie es damals hieß - einmalig auf maximal sechs Monate begrenzt, verbunden mit der Maßgabe, dass ihre Aufgaben anschließend von einer UN-Peace-Keeping-Truppe übernommen werden müssten. Dazu besteht jedoch bis heute im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen keine große Neigung, auch wenn die US-Regierung ihren Druck in diese Richtung seit einigen Monaten kontinuierlich verstärkt hat.

Der Einsatz von AMISOM ist bisher auf Mogadischu beschränkt und besteht im Schutz des Präsidentenpalastes, des Hafens und des Flughafens sowie der Straßenverbindungen zwischen diesen Objekten. Im Gegensatz zu den äthiopischen Truppen, die im Verlauf ihrer Intervention ganze Bezirke der Hauptstadt mit schwerer Artillerie und Panzern in Trümmern legten, hat AMISOM bisher keine offensiven Operationen durchgeführt. Sie war auch nur selten Angriffen ausgesetzt und verlor seit der tatsächlichen Aufnahme ihrer Mission im März 2007 lediglich neun Soldaten.

Da AMISOM nach dem Abzug der Äthiopier die Hauptstütze der Regierung ist, gibt es Vorstellungen, in ihren Auftrag auch Offensivoperationen einzubeziehen und ihre Bewaffnung entsprechend zu verstärken. Das beinhaltet allerdings auch das Risiko, dass sie – wie vor ihnen schon die äthiopischen Soldaten – in die Rolle einer Interventionsstreitmacht geraten, die von der Bevölkerung gefürchtet und gehasst wird. In diesen Zusammenhang gehört auch die problematische Absicht der somalischen Regierung, das Einsatzgebiet von AMISOM auf andere Landesteile auszuweiten. So war zwei Tage vor der Besetzung von Baidoa durch Al-Schabaab gemeldet worden, dass die Übergangsregierung AMISOM gebeten habe, Soldaten dorthin zu schicken.

Al-Schabaab hat bereits angekündigt, nunmehr verstärkt die AMISOM-Stützpunke anzugreifen, um auch deren Abzug zu erzwingen. Mit dieser Position scheint die Organisation aber, zumindest zur Zeit noch, isoliert zu sein. Präsident Ahmed und seine UIC-Fraktion unterstützen ausdrücklich die Präsenz der Einheiten aus Uganda und Burundi. Der radikalere Flügel der ICU hat sich zwar gegen eine Verstärkung von AMISOM ausgesprochen, da Somalia überhaupt keine fremden Truppen brauche. Andererseits lehnt er aber schon seit Monaten die Angriffe von Al-Schabaab auf die AMISOM-Stützpunkte in Mogadischu ab.

„Wir brauchen keine neuen Kämpfe“

Besonders wichtig ist die Positionierung des Hawije-Clans, der in Mogadischu vorherrschend ist und die Hauptkraft des hauptstädtischen Widerstands gegen die äthiopischen Besatzungstruppen war. Sprecher des Clans lehnen einerseits alle Tendenzen ab, AMISON stärker zu bewaffnen, ihr Mandat auszuweiten und sie auch offensiv einzusetzen. Darüber hinaus haben sie an Uganda und Burundi appelliert, ihre Soldaten aus Somalia abzuziehen, „weil wir keinen weiteren Artilleriebeschuss brauchen“. Andererseits hat der Ältestenrat der Hawije aus dem selben Grund Al-Schabaab aufgefordert, auf Angriffe gegen AMISOM zu verzichten. „Der Kampf, den wir unterstützt haben, ist vorbei. Wir brauchen keine neuen Kämpfe in der Hauptstadt“, erklärte Clan-Sprecher Ahmed Dirie Ali am 17. Januar. Angesichts der Tatsache, dass die Äthiopier im Frühjahr 2007 ganze Stadtviertel zerstörten und über eine halbe Million Menschen zur Flucht aus Mogadischu zwangen, ist das eine logische Position.

Nicht zuletzt wohl aufgrund des Einspruchs der Hawiye-Ältesten, die de facto das Bedürfnis der Bevölkerung nach einem Ende des verheerenden Bürgerkriegs repräsentieren, ist trotz des äthiopischen Rückzugs der befürchtete Machtkampf um die Hauptstadt bisher im Wesentlichen ausgeblieben. Ein blutiger Zwischenfall am Montag markiert jedoch möglicherweise eine Wende. Nach Angaben von Augenzeugen und somalischen Offiziellen – darunter ein hoher Polizeioffizier und ein stellvertretender Bürgermeister von Mogadischu – töteten ugandische AMISOM-Soldaten mindestens 20 Menschen, als sie nach der Explosion einer Straßenmine in Panik wild um sich schossen. Die Zeugenberichte, wonach es sich bei den Opfern hauptsächlich um Passagiere mehrerer Minibusse handelte, sind sehr präzise. Trotzdem bestritt ein Sprecher von AMISOM den Vorfall.

Scharif Scheik Ahmed hat die Gunst der Afrikanischen Union, deren Vertreter ihn am Montag auf ihrer Gipfelkonferenz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba mit stehendem Beifall feierten. Seine Wahl wurde auch von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon begrüßt, der ihn in seiner Rede auf der AU-Konferenz direkt ansprach: „Wir alle freuen uns über den Fortschritt zu einer friedlichen Lösung in Somalia. Ich rechne auf Ihre weise, visionäre Führerschaft.“ Ebenso versprach die Arabische Liga dem neuen Präsidenten ihre Solidarität und Unterstützung.

Erstaunlicher ist auf den ersten Blick, dass der “gemäßigte Islamist” in der gegebenen Situation auch der Favorit der US-Regierung zu sein scheint. Sie gratulierte ihm nicht nur formal zu seiner Wahl, sondern begrüßte ausdrücklich seine Rolle als „starker Vorantreiber des Dschibuti-Friedensprozesses“ und seine „eifrige Arbeit für die Versöhnung in Somalia“. „Die Vereinigten Staaten freuen sich darauf, mit Präsident Scharif und seiner breit gestützten Regierung bei den Bemühungen um die Errichtung der Demokratie und das Erreichen des Friedens in Somalia zusammenzuarbeiten.“ „Wir fordern Präsident Scharif auf, sich bei der Bildung der neuen Regierung dem breiten Spektrum der Somalis zuzuwenden, die Gewalt und Extremismus ablehnen.“

Sheikh Sharif Ahmed revanchierte sich mit Lob für die Politik der USA. In einem Interview mit der ägyptischen Zeitung El-Schoruk erklärte er: „Im Rahmen der Dschibuti-Verhandlungen ist Amerika zu einer Kraft geworden, die den Frieden unterstützt.“ „Man kann sagen, dass die Haltung der USA gegenüber Somalia ehrlich geworden ist. (...) Wir denken, dass die amerikanische Sicht auf Somalia jetzt positiv ist.“

Lob für die USA

Es bleibt abzuwarten, wie solche Sprüche in Somalia ankommen, wo die US-Politik bisher begründetermaßen einen sehr schlechten Ruf hat. Dabei ist nicht zuletzt an die wiederholten gezielten Mordaktionen mit Hilfe ferngesteuerter unbemannter Flugkörper gegen Führungspersönlichkeiten der UIC und von Al-Schabaab zu denken. Das Werben des neuen Präsidenten um die Gunst der USA dürfte es sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen, die Basis der Regierung in Richtung der radikaleren islamistischen Kräfte zu verbreitern.

Die gegenseitige Zuneigung zwischen Ahmed und den USA ist allerdings nicht neu. Schon im Sommer 2006, als die damals noch geeinte UIC einige Monate lang Mogadischu beherrschte, versuchte die US-Diplomatie, einen Keil zwischen die „Gemäßigten“ und die radikaleren Kräfte der Organisation zu treiben, indem sie die einen umwarb und die anderen als Verbündete von Al-Kaida dämonisierte und auf die Anti-Terror-Liste setzte. Nachdem im Dezember 2006 äthiopische Truppen massiv in Somalia intervenierten und die Islamisten aus allen Städten einschließlich Mogadischus vertrieben, floh Ahmed, der damals Vorsitzender des Exekutivrats der UIC war, ins Nachbarland Kenia. Dort stellte er sich am 21. Januar 2007 der Polizei. Anschließend traf er sich mehrmals mit dem amerikanischen Botschafter in Kenia, Michael Ranneberger, mit dem er auch schon im Jahr 2006 Gespräche geführt hatte. Während Kenia andere islamistische Flüchtlinge aus Somalia einsperrte oder einige sogar an das äthiopische Regime auslieferte, erging es Ahmed von Anfang an sehr viel besser: Aufgrund der amerikanischen Fürsprache durfte er schließlich aus Kenia ausreisen und ging zunächst in den Jemen ins Exil. Von dort aus übersiedelte er wenig später ins eritreische Asmara, wo sich schließlich die meisten Führer der UIC versammelten und zusammen mit anderen Oppositionskräften die Allianz für die Wiederbefreiung Somalias (ARS) gründeten.

Viele somalische Unterstützer des neuen Präsidenten halten das bisherige Format der in Dschibuti vereinbarten Machtteilung für zu eng, da der größte Teil der islamistischen Opposition daran nicht beteiligt ist. Das kann, so ihr Argument, selbst im besten Fall nicht zu einer breit getragenen Regierung und zu einer wirklich umfassenden, dauerhaften Friedensregelung führen. Deshalb plädieren diese Kräfte dafür, sich stärker um die Einbeziehung des anderen Flügels der UIC zu bemühen und sogar um eine Zusammenarbeit mit Al-Schabaab oder Teilen dieser Organisation zu werben.

Tatsächlich würde die Koalition, für die der neue Präsident steht, nicht die Mehrheit Somalias präsentieren. Es kommt hinzu, dass sie selbst mit Unterstützung einer aufgestockten AMISOM nicht über die erforderlichen militärischen Kapazitäten verfügen würde, um ihre Herrschaft abzusichern und auf das ganze Land auszudehnen. Andererseits steht einer breiteren nationalen Versöhnung, neben allen übrigen Schwierigkeiten, auch der Umstand entgegen, dass die US-Regierung wesentliche Personen und Strukturen der islamistischen Opposition als „terroristisch“ gebrandmarkt hat. Es ist kaum anzunehmen, dass die USA, die in der Vergangenheit schon verschiedene prowestliche Warlords finanzierten und nach deren Scheitern die äthiopische Intervention ermutigten, eine Regierungsbildung in Somalia akzeptieren würden, an der radikale Islamisten maßgeblich beteiligt sind.

Zuckerbrot und Peitsche

Ahmeds Appelle an die Opposition, mit ihm zusammenzuarbeiten, klingen in diesem Kontext widersprüchlich, aber letztlich doch eher wie eine Kriegserklärung. So sagte er in einem Interview mit der englischsprachigen Saudi Gazette: „Es ist jetzt höchste Zeit, die nationale Einheit zu erreichen, unsere Differenzen zu vergessen und Front gegen diejenigen zu machen, die Gewalttaten begehen.“ „Wir werden versuchen, mit ihnen zu verhandeln. Wir werden versuchen, sie an Bord zu holen. Wir werden Zuckerbrot und Peitsche anwenden. Wir werden versuchen, sie zu beeinflussen – oder wir werden sie schlagen.“

Angesichts des derzeitigen militärischen Kräfteverhältnisses ist das freilich eine Illusion. Anscheinend setzt Ahmed, ähnlich wie die bisherige Übergangsregierung, auf ausländische Interventionstruppen, vielleicht sogar auf eine Rückkehr der Äthiopier, wie seine Avancen in Richtung Addis Abeba befürchten lassen. Am Dienstag wurde, unter Berufung auf örtliche Zeugen, gemeldet, dass äthiopische Truppen in der Umgebung der Stadt Belethuen (Baladwayne) wieder auf somalisches Gebiet vorgedrungen sind und Straßensperren errichtet haben.

Al-Schabaab hat bereits erklärt, dass sie Ahmed als einen Betrüger und Verräter betrachtet, der die Politiker seiner Vorgänger fortsetzt. Sein Wahlsieg sei „von den Feinden des Islam organisiert“ worden. Man werde seine Regierung deshalb „an jedem Ort bekämpfen“.

Nicht ganz so scharf, aber im Wesentlichen ähnlich äußerten sich auch Sprecher des militanten Flügels der UIC: Ahmed sei „vom rechten Weg abgekommen“ und mache gemeinsame Sache mit dem Feind. Man werde daher seine Regierung nicht anerkennen.

Die Wahl des „gemäßigten Islamisten“ Scharif Scheik Ahmed zum Präsidenten könnte den Diskussionen um ein militärisches Eingreifen der Vereinten Nationen Auftrieb geben. Schon zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat am 16. Januar einstimmig eine Resolution verabschiedet, die die Entsendung einer Friedenstruppe nach Somalia in Aussicht stellt, ohne sich jedoch definitiv festzulegen. Neben den USA, die sich öffentlich am stärksten für einen solchen Schritt einsetzen, war der Antrag auch von den afrikanischen Ratsmitgliedern und der Türkei eingebracht worden.

Die jetzt verabschiedete Entschließung ähnelt allerdings früheren, die folgenlos geblieben sind. Die Diskussionsbeiträge während der Sitzung zeigten erneut, dass die Aussichten einer UN-Intervention in Somalia von der Mehrheit der im Sicherheitsrat vertretenen Staaten sehr skeptisch bewertet werden. Ein wesentliches Argument war dabei bisher, dass die Basis der Übergangsregierung viel zu schmal sei und dass mangels einer Einigung zwischen den Hauptakteuren die Voraussetzungen für eine friedenserhaltende Mission nicht gegeben seien. Das könnte jedoch nach der Einigung zwischen den bisherigen Übergangsregierung und der „gemäßigten“ UIC-Fraktion etwas anders bewertet werden.

Die am 16. Januar verabschiedete UN-Resolution bekräftigt und erneuert die Unterstützung des Sicherheitsrats für AMISOM um ein weiteres halbes Jahr. Die Resolution fordert außerdem Ban Ki-moon auf, bis zum 15. April Vorschläge vorzulegen, wie AMISOM durch eine von der UNO mandatierte Truppe ersetzt werden könnte. Auf dieser Grundlage soll der Sicherheitsrat dann am 1. Juni eine Entscheidung treffen, ob die Voraussetzungen für eine Peace-Keeping-Mission gegeben sind.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 5. Februar 2009