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Auferstanden aus Ruinen

Telefongespräch zwischen Al-Qaida-Führern löst beispiellosen Großalarm der US-Regierung aus.

Al-Qaida darf nicht sterben. Das schon mehrmals für fast tot erklärte „Terrornetzwerk“ scheint derzeit die verschreckten Regierungen des Westens vor sich her zu treiben. Auf dem Flughafen der jemenitischen Hauptstadt Sanaa herrscht Hochbetrieb, weil nicht nur die USA, sondern auch Großbritannien dabei sind, „wegen Terroraktivitäten und inneren Unruhen“ ihr Botschaftspersonal und andere Staatsbürger in größter Eile ausfliegen zu lassen. Die Regierungen beider Länder haben ihre diplomatischen Vertretungen im Jemen geschlossen. Deutschland und Frankreich sind ihnen gefolgt. Andere Länder haben „Vorsichtsmaßnahmen ergriffen“. Belgien, Italien und die Niederlande haben, ebenso wie die USA, ihre Staatsangehörigen aufgerufen, schnellstens den Jemen zu verlassen. Der Alarm betrifft anscheinend die gesamte Region: 19 oder 20 Botschaften und Konsulate der Vereinigten Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten sind seit Sonntag geschlossen. Das soll voraussichtlich noch bis zum Wochenende so bleiben.

Misstrauische argwöhnen, die US-Regierung habe das Theater hauptsächlich inszeniert, um die Legitimität und Notwendigkeit der milliardenfachen Überwachung von Telefongesprächen und Internetkommunikationen zu rechtferigen. Dagegen spricht jedoch, dass Präsident Barack Obama sich nun von den Republikanern vorhalten lassen muss, dass seine prahlerischen Siegesmeldungen über Al-Qaida unrealistisch, voreilig und leichtfertig gewesen seien. Das wäre für das Erzielen eines bloßen Propagandaeffekts ein allzu hoher politischer Preis. Man kann also davon ausgehen, dass die US-Administration tatsächlich Anschläge befürchtet oder zumindest nicht ausschließen kann. Der Sturm von bis heute nicht identifizierten libyschen Milizionären auf das amerikanische Konsulat in Benghasi am 18. Juni 2012 ist in abschreckender Erinnerung. Der Vorgang, bei dessen Erklärung die US-Regierung eine ganz schlechte Figur machte, wird von den Republikanern bis heute hemmungslos ausgenutzt.

Dabei ist die Ursache, die den jetzigen Großalarm ausgelöst haben soll, keineswegs eindrucksvoll oder gar überzeugend: Irgendwelche US-Dienststellen hatten angeblich ein Telefongespräch zwischen Al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri und dem Führer seiner jemenitischen Zweigstelle,   Nasser al-Wuhayshi, abgehört. Zawahiri habe dabei „noch vor dem Ende des Ramadan“  - am Sonntag war der 27. Tag des Fastenmonats - einen Anschlag bestellt. Über dessen Art und Ort wurde bisher nichts bekannt. Erst kürzlich war gemeldet worden, dass der 36jährige al-Wuhayshi zum „Generalmanager“ des internationalen Netzwerks befördert worden sei, was die Verantwortung für die Organisierung von Terrorakten einschließe.

Und was wäre, wenn sich die beiden vielleicht nur einen Spaß mit ihren amerikanischen Überwachern gemacht haben? Es gebe außer diesem Gespräch auch noch weitere, anscheinend schwerwiegende Indizien, dass wirklich etwas geplant sei, ließ das Weiße Haus durchsickern, ohne konkrete Angaben zu machen. Das jemenitische Regime assistiert mit der Behauptung, dass in den letzten Tagen „Dutzende“ von Al-Qaida-Mitgliedern aus aller Welt ins Land gekommen seien, um Pipelines zu sprengen und Häfen unter ihre Kontrolle zu bringen. In Sanaa marschierten am Dienstag Truppen mit mehreren hundert Panzerfahrzeugen auf und riegelten alle wichtigen Gebäude ab.

Am Mittwoch wurden in einer entlegenen Gegend des Südjemens sechs Männer von den Raketen einer US-Drohne getötet. Sie sollen mit zwei Fahrzeugen unterwegs gewesen sein. Es war der fünfte derartige Angriff seit dem 28. Juli. Insgesamt wurden dabei mindestens 20 Menschen getötet. Von der US-Regierung gab es dazu wie üblich keine Kommentare. Lokalen Medien zufolge sollen einige der Opfer Mitglieder von Ansar al-Scharia sein, die mit der jemenitischen Al-Qaida-Filiale „verbunden“ sei. Der Jemen ist gegenwärtig, noch vor Pakistan, das Hauptziel amerikanischer Drohnenangriffe. Die USA haben deren Zahl von 18 im Jahr 2011 auf 53 im vorigen Jahr verdreifacht. 

Knut Mellenthin

Junge Welt, 8. August 2013