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Deutsche an die Front
61 Prozent der Befragten sprachen sich bei einer ARD-Umfrage gegen die geplante Ausweitung der Bundeswehreinsätze in Afrika aus. Nur 30 Prozent können dem „militärischen Engagement“ etwas abgewinnen. Aber der Propagandakrieg gegen die Mehrheitsmeinung ist bereits eröffnet. Gelegenheit zu Bekenntnissen am Fließband bot deutschen und ausländischen Politiker die alljährliche „Sicherheitskonferenz“, die am Wochenende in München stattfand. Scheinbar humanitäre Argumente wurden dabei völlig beliebig mit machtpolitischen Aufrufen vermengt, dass Deutschland endlich wieder eine wesentlich „größere Rolle in der Welt“ spielen müsse.
Den Ton hatte Bundespräsident Joachim Gauck schon bei der Eröffnung am Freitag vorgegeben: Schluss müsse sein mit der angeblich bisher praktizierten „Kultur der Zurückhaltung“ bei Militäreinsätzen. Deutschlands Rolle als Auslöser zweier Weltkriege dürfe nicht länger dazu führen, „sich hinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken“. Ihm folgte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die ihr nicht konkret erläutertes Interventionskonzept auf den griffigen, aber im Grunde nichtssagenden Slogan „Gleichgültigkeit ist keine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht“ brachte. Am Sonnabend war Außenminister Frank-Walter Steinmeier an der Reihe. „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen“, wiederholte er das nun schon bekannte Thema.
Es blieb Mainstream-Medien wie dem Spiegel, der FAZ und der Welt vorbehalten, den Münchner Aufbruch zu neuen Ufern enthusiastisch zu bejubeln und die pathetischen Politikerphrasen ins Deutsche zu übersetzen: Mehr deutsche Soldaten als bisher auf mehr Kriegsschauplätzen. Aber, so mäkelte Christiane Hoffmann am Sonntag in der Online-Ausgabe des Spiegel: „Der große Sprung nach vorn ist das noch nicht. Gleichzeitig geht das Morden in Syrien weiter, der Konflikt in der Ukraine eskaliert. Hier wird die deutsche Außenpolitik beweisen müssen, dass sie ihren Worten Taten folgen lässt.“
Der Wunsch nach deutschen „Taten“ bestimmte auch die Reden von US-Außenminister John Kerry und Verteidigungsminister Chuck Hagel am Sonnabend. Beide beschworen eine „transatlantische Renaissance“. Kerry erläuterte das so: „Um den derzeitigen Herausforderungen nah und fern zu begegnen, braucht Amerika ein starkes Europa, und Europa braucht ein voll und verbindlich engagiertes Amerika. Das bedeutet, dass Selbstbeschränkung für niemand von uns eine Option ist. Wenn wir zusammen führen, werden andere uns folgen.“
Wohin andere Länder und gesellschaftlichen Kräfte den USA und ihren europäischen Verbündeten folgen sollen, machten Kerrys Äußerungen zur Ukraine und zu Syrien deutlich. Die Münchner „Sicherheitskonferenz“ stand in ihrer 50jährigen Geschichte vielleicht noch niemals, zumindest aber nicht in den letzten Jahren, so demonstrativ im Zeichen einer aggressiven Herausforderung Russlands. Gegen Syrien brachte Kerry wieder die schon überwunden geglaubten Kriegsdrohungen ins Spiel, weil der Abtransport der chemischen Kampfstoffe aufgrund der landesweiten Kämpfe hinter dem Zeitplan liegt. Gleichzeitig drängte er Russland, auf die syrische Regierung Druck auszuüben – wohl wissend, dass Russland gerade das um so weniger tun wird, je öffentlicher und unverschämter solche Forderungen erhoben werden.
Zur Ukraine waren sich ohnehin alle westlichen Politiker, die in München auftraten, völlig einig, dass deren Zukunft gefälligst in der EU zu liegen habe, wie es der Präsident des Europarats, Herman Van Rompuy, ausdrückte. Sichtbarster Ausdruck war der groteske Zirkus, der am Rande der Konferenz um Vitali Klitschko veranstaltet wurde. Der frühere Profiboxer ist ganz gewiss kein Politiker, und schon gar nicht ein gewählter. Aber fast alle westlichen Teilnehmer standen Schlange, um sich in Klitschkos Tanzkarte einzutragen. Mehr als viertelstündige Begegnungen sprangen dabei aus Zeitnot nicht heraus.
In dem aufgeheizten Klima hatte es Sergej Lawrow mit seiner Mahnung zur Vernunft schwer. Die Behauptung, dass die Ukraine zwischen Russland und dem Westen wählen müsse, sei kontraproduktiv, sagte der russische Außenminister. „Von Kerry mit seiner Erfahrung und Besonnenheit habe ich eine solche Agitation am wenigsten erwartet.“ Und, vielleicht etwas gekünstelt naiv: Er könne nicht verstehen, dass sich die NATO-Staaten derart vorbehaltlos mit gewalttätigen Protesten solidarisieren, gegen die sie im eigenen Land schärfstens vorgehen würden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 3. Februar 2014