KNUT MELLENTHIN

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Steinmeier: Noch mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan

Die Bundesregierung will noch mehr Soldaten nach Afghanistan schicken. Auch ein Einsatz in den Kampfgebieten im Süden und Südosten soll nicht ausgeschlossen sein. Das kündigt Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der am Montag erschienenen Ausgabe des Spiegel an.

Nach Angaben des Nachrichtenmagazins sind zur Zeit 3.150 deutsche Soldaten im Rahmen der von der NATO geführten ISAF (International Security Assistance Force) im Einsatz. Die vom Bundestag festgesetzte Obergrenze liegt bei 3.500 Soldaten. Die Deutschen sind überwiegend in den Nordprovinzen stationiert, die nie zum Machtbereich der Taliban gehörten und die bisher weitgehend ruhig sind. Deutschland steht deshalb unter zunehmendem Druck seiner militärisch stärker engagierten Verbündeten, sich direkt an der Aufstandsbekämpfung im Süden und Südosten zu beteiligen.

Angesichts der Gegenstimmung in der deutschen Bevölkerung nähert sich die Bundesregierung diesem Ziel nur in kleinen Schritten. Inzwischen sind schon deutsche Fernmeldetechniker in den umkämpften Provinzen im Einsatz. Bundeswehrflugzeuge übernehmen Transporte dorthin. Seit diesem Frühjahr unterstützen sechs deutsche Tornado-Aufklärungsflugzeuge Kampfeinsätze der amerikanischen Luftwaffe.

Die jüngste Ankündigung Steinmeiers ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Schon seit Monaten wird darüber diskutiert, deutsche Offiziere auch als "Berater" der von ihnen ausgebildeten afghanischen Truppen in die Kampfzonen zu schicken. Die Entsendung von "Beratern" stellt in der neueren Geschichte der Militärinterventionen den üblichen ersten Schritt zum Einsatz von Bodentruppen dar. Auch Steinmeiers tröstende Versicherung, es handele sich nur um Maßnahmen für eine "Übergangszeit", muss man wohl als Irreführung der Öffentlichkeit interpretieren: Es geht um Festlegungen für viele Jahre.

Die Bereitschaft der Bundesregierung, Deutschland noch stärker in diesen politisch längst verlorenen Kolonialkrieg zu verstricken, fällt in eine Zeit zunehmender Angriffe der NATO auf die afghanische Zivilbevölkerung. Zuletzt starben am Freitag nach Angaben der Bewohner und lokaler Beamter 108 Zivilisten durch Luftangriffe in der westlichen, an den Iran grenzenden Provinz Farah. Sie liegt weit entfernt von den Kampfzonen; bisher war über Aufstandstätigkeit dort nichts bekannt. In der ostafghanischen Provinz Kunar wurden am Donnerstag elf Zivilisten bei einem NATO-Luftangriff getötet. 25 Menschen starben am folgenden Tag bei einem weiteren Militärschlag während der Beisetzung der Toten.

Nach einer Zählung der UNO hat die NATO im ersten Halbjahr 314 Zivilisten getötet - mehr als die "Taliban" und andere bewaffnete Gruppen, denen 279 Tote angelastet werden. Die Zahl der zivilen NATO-Opfer liegt damit jetzt schon höher als im gesamten Jahr 2006, für das die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 230 Tote errechnete.

Zur Erinnerung: Die Bundesregierung behauptet, mit dem immer stärkeren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zur Verhinderung von Verlusten der Zivilbevölkerung beizutragen. Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) im Februar wörtlich: "Wir müssen alles daran setzen, um Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Sonst droht die Gefahr, dass sich früher oder später die Stimmung gegen die Schutztruppe richten wird. Mit unseren Tornados werden wir einen Beitrag leisten, um Kollateralschäden zu minimieren."

Die Fakten sprechen jedoch eine ganz andere Sprache.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. Juli 2007

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