KNUT MELLENTHIN

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Bush und Ahmadinedschad: Rededuell vor der UNO-Vollversammlung

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat seine Rede vor der UNO-Vollversammlung am Mittwoch zu einer scharfen Kritik an den derzeitigen Strukturen der Weltorganisation benutzt. Streckenweise klangen seine Sätze wie Auszüge aus der Verfassung der USA, was wohl auch politisch beabsichtigt war: Alle Menschen seien Gottes Geschöpfe, alle verdienten gleichermaßen Würde und Achtung. "Niemand ist mehr wert als andere. Keine Individuen, keine Staaten dürfen sich Sonderprivilegien anmaßen. Niemand darf die Rechte anderer missachten (...). Über sechs Millionen Erdbewohner sind alle gleich und verdienen gleichermaßen Achtung."

Die Realität sehe völlig anders aus, kritisierte Ahmadinedschad: "Nationen sind in der Ausübung ihrer nach internationalem Gesetz anerkannten Rechte nicht gleich. Der Genuss dieser Rechte hängt von der Willkür einiger Großmächte ab. Offenbar kann der Sicherheitsrat nur dazu benutzt werden, die Sicherheit und die Rechte einiger Großmächte durchzusetzen. (...) Die vorherrschende Ordnung der globalen Beziehungen ist so, dass einige Mächte sich selbst mit der internationalen Gemeinschaft gleichsetzen und davon ausgehen, dass ihre Entscheidungen die von über 180 Ländern außer Kraft setzen."

Als ein Beispiel nannte der iranische Präsident die Untätigkeit des UNO-Sicherheitsrats während des israelischen Überfalls auf den Libanon im Juli und August, auch nur einen Aufruf zu einem Waffenstillstand, geschweige denn eine Verurteilung der Aggression und der Angriffe gegen die Zivilbevölkerung zu verabschieden. Offensichtlich sei der Sicherheitsrat absolut nicht in der Lage, sich mit Rechtsverletzungen auseinander zu setzen, an denen eines oder mehrere seiner ständigen Mitglieder beteiligt sind.

Als weiteres Beispiel sprach Ahmadinedschad die von den USA angeführte Kampagne gegen das zivile iranische Atomprogramm an. "Alle unsere nuklearen Aktivitäten sind transparent, friedlich und finden unter den wachsamen Augen der Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Behörde statt." Iran würden seine international verbrieften Rechte verweigert, klagte der Präsident, und dies von Staaten, die selbst im vollen Umfang die Atomenergie nutzen und von denen mehrere sogar große Bestände von Atomwaffen besitzen.

Als Fazit forderte der iranische Präsident eine Strukturreform der UNO und insbesondere ihres Sicherheitsrates. Solange diese aber nicht verwirklicht ist, sollten als Übergangsmaßnahme die Bewegung der Blockfreien, die Konferenz der islamischen Staaten und der afrikanische Kontinent jeweils einen festen Sitz mit Vetorecht im Sicherheitsrat erhalten.

Schon am Dienstag hatte US-Präsident George W. Bush vor der Vollversammlung gesprochen. Allen Völkern des Nahen und Mittleren Ostens, gegen die die USA oder ihr Verbündeter Israel Krieg führen, versicherte Bush bei dieser Gelegenheit, wie gut er es mit ihnen meint. Er ging dabei nicht ganz so weit wie seine Außenministerin Condoleezza Rice, die vor einigen Monaten Krieg, Besatzung, Bürgerkrieg, Zerstörung und Elend im Irak, in Afghanistan, im besetzten Palästina und, damals gerade aktuell, im Libanon als "Geburtswehen eines neuen Nahen Osten" glorifiziert hatte. Bush ließ aber keinen Zweifel daran, dass aus Sicht seiner Regierung die Destabilisierung der gesamten Region ein Teil des erforderlichen Preises für die Durchsetzung der "Demokratie" ist. Den Libanesen versprach er Hilfe - nicht etwa gegen Israel, das seit 1978 immer wieder Zerstörung über das Land gebracht hat, sondern gegen die Hisbollah. Den Palästinensern erklärte er, dass er im Namen der Demokratie auch künftig die von ihnen frei gewählte Regierung bekämpfen und Israels Besatzungsterror unterstützen wird. Und dem iranischen Volk teilte Bush mit, dass die USA gern wieder in Frieden und Freundschaft mit dem Iran leben möchten - wozu aber zunächst der Sturz der iranischen Regierung erforderlich sei.

Im Vorfeld der UNO-Vollversammlung hatte der französische Präsident Jacques Chirac am Montag für Spekulationen gesorgt. Einige Sätze von ihm waren so interpretiert worden, als wolle er Verhandlungen mit dem Iran über dessen Atomprogramm nicht mehr ausdrücklich von der Bedingung abhängig machen, dass Teheran zuvor seine Arbeiten an der Uran-Anreicherung unbefristet und ohne Gegenleistung einstellen muss. Nach einem Treffen mit Bush am Dienstag bekundete Chirac aber, er befinde sich hinsichtlich Iran mit Bush "auf der selben Wellenlänge".

Knut Mellenthin

Junge Welt, 21. September 2006