KNUT MELLENTHIN

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Tage der Entscheidung

Der Start des iranischen Atomkraftwerks Buschehr soll am Sonnabend beginnen. Jetzt droht ein israelischer "Präventivschlag".

Der Countdown zur Inbetriebnahme des iranischen Atomkraftwerks bei Buschehr läuft. Am kommenden Sonnabend, dem 21. August, soll damit begonnen werden, die Brennstäbe in die Anlage zu bringen. Das teilten am Freitag übereinstimmend Sprecher der Atomenergiebehörden Russlands und des Irans mit. Der Reaktor wurde vom russischen Unternehmen Atomstroiexport gebaut.

Das Einbringen der Brennelemente, die bisher in einem Depot unter Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) aufbewahrt werden, bedeutet indessen noch nicht, dass das Kraftwerk sofort in Betrieb genommen werden kann. Der jetzt bekannt gegebene Zeitplan sieht vor, dass die Installation der 165 Brennstäbe im Reaktor-Kern bis zum 5. September abgeschlossen wird. Am 16. September soll der Reaktor aktiviert werden, das heißt, erst dann würde die nukleare Reaktion beginnen. Die iranische Atomenergiebehörde hofft, dass die Anlage zwei bis drei Monate nach dem Start ungefähr 50 Prozent der angestrebten Stromkapazität erzeugen wird, wie ihr Chef Ali Akbar Salehi am Sonnabend mitteilte. Aus russischen Kreisen verlautet jedoch, dass Buschehr erst in etwa sechs Monaten ans Netz gehen werde.

Internationale Beobachter gehen davon aus, dass Israel versuchen könnte, das Kraftwerk noch vor der Installation der Brennstäbe zu zerstören. Bei einem späteren Angriff wäre mit einer erheblichen nuklearen Kontamination zu rechnen. Die in den USA erscheinende neokonservative Zeitschrift „Weekly Standard“ mahnte deshalb am Sonnabend, die israelische Regierung müsse sich jetzt ganz schnell entscheiden. Aus Israel lag bis zum Sonntag noch keine offizielle Stellungnahme zur angekündigten Einbringung der Brennstäbe vor.

Sprecher des US-Außenministeriums und des Weißen Hauses erklärten, mit der bevorstehenden Inbetriebnahme von Buschehr entfalle für den Iran jeder Grund, selbst Uran als Reaktorbrennstoff anzureichern. Noch im März jedoch hatte Außenministerin Hillary Clinton bei einem Moskau-Besuch ihre Gastgeber bedrängt, die Fertigstellung des Kraftwerks zu verhindern, so lange Iran im Atomstreit nicht „einlenkt“. Ohnehin ist die Baugeschichte von Buschehr aus iranischer Sicht nicht gerade ermutigend, was die Vertragstreue und Zuverlässigkeit ausländischer Partner angeht.

Der Bau war zunächst 1975 von der deutschen Kraftwerkunion begonnen, aber nach dem Sturz des Schah-Regimes 1979 abgebrochen worden. Seit Atomstroiexport 1998 den Weiterbau übernahm, wurden die angekündigten Termine für die Fertigstellung immer wieder hinausgeschoben. Nach mehreren Verzögerungen war das Jahresende 2006 fest in Aussicht genommen worden. Dann hieß es plötzlich, der Reaktor werde im September 2007 gestartet und könne im November des gleichen Jahres in Betrieb genommen werden. Im März 2007 inszenierte Russland die nächste Krise mit der Behauptung, Iran sei mit den Zahlungen im Rückstand. Im Juli 2008 hieß es, die Startvorbereitungen sollten im Herbst beginnen. Später kündigte Irans Außenminister Manuchehr Mottaki die Inbetriebnahme für die erste Jahreshälfte 2009 an. Es folgte eine Verschiebung auf das Jahresende 2009 und dann eine russische Zusicherung, die Anlage bis zur zweiten Märzhälfte 2010 fertigzustellen.

Vor diesem Hintergrund sind trotz der aktuellen Ankündigung erneute Verzögerungen nicht auszuschließen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 16. August 2010