KNUT MELLENTHIN

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Provokatorische Ausschreibung

Israels Wohnungsbau-Minister will Raum für zusätzliche 80.000 Siedler in den besetzten Gebieten schaffen.

Das israelische Wohnungsbau-Ministerium hat am Dienstag eine Ausschreibung für rund 20.000 neue Wohneinheiten in den besetzten Gebieten veröffentlicht. Die Bekanntmachung gab nicht nur den letzten Anstoß für den Rücktritt der gesamten palästinensischen Delegation, die auf Drängen der US-Regierung seit Juli Gespräche mit den Israelis führt, sondern hat auch in Israel scharfe Diskussionen ausgelöst. Justizministerin Tzipi Liwni, die auf israelischer Seite die Verhandlungen leitet, warnte am Donnerstag, das Land stehe „an der Schwelle zur Isolation“. Das werde auch Israels Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Premier Benjamin Netanjahu stoppte einen kleinen, aber besonders konfliktträchtigen Teil der Ausschreibung. Darüber hinaus kündigte er eine Überprüfung des gesamten Pakets an. Als Motiv seines Eingreifens erklärte er, dass er einen internationalen Aufschrei befürchte, der Israels Bemühungen, die Welt zu einem härteren Kurs gegen Iran zu drängen, beeinträchtigen könnte.

Verantwortlich für die Veröffentlichung der neuen Ausschreibung ist Minister Uri Ariel von der rechtsextremen Partei Habajit Hajehudi. Liwni wirft ihm vor, dass er Repräsentant einer „Groß-Israel“-Politik sei, „der immer mehr und mehr bauen will, um jede Chance einer Verständigung zu vereiteln“. Von seiner Bekanntmachung wurde angeblich nicht nur die US-Regierung überrascht, sondern auch Netanjahu. Der Minister verteidigt sich damit, dass es sich um einen routinemäßigen Verwaltungsakt gehandelt habe.

Tatsächlich stellen solche Ausschreibungen keine Entscheidung über konkrete Bauvorhaben dar. Es werden sehr viel mehr Wohneinheiten zur Planung ausgeschrieben, auch im eigentlichen Israel innerhalb der Grenzen von 1967, als später tatsächlich gebaut werden. In jedem Fall geht es um Prozesse von mehreren Jahren, und die Verwirklichung der Vorhaben in den besetzten Gebieten müsste, wenn es so weit ist, vom Premier genehmigt werden.

Die Ankündigung vom Dienstag hebt sich aber von den Routinevorgängen, auf die Minister Ariel sich beruft, sowohl durch ihre Größenordnung als auch durch die geplanten Standorte ab. 20.000 Wohneinheiten bedeuten nach der üblichen statistischen Rechenweise der israelischen Behörden, dass Raum für vier Mal so viel Menschen entstehen würde. Es wäre seit zwei Jahrzehnten das erste Mal, dass neue „Siedlungsblöcke“ in den besetzten Gebieten gebaut und nicht bloß bestehende erweitert würden. Und es wäre das erste Mal seit der Anlage der sogenannten Sicherheitsbarriere, dass außerhalb dieser Linie neue Siedlungen gebaut würden. Das gilt für 14.866 Wohneinheiten, also nahezu drei Viertel der Ausschreibung, wie die englischsprachige Tageszeitung Jerusalem Post am Donnerstag berichtete. Praktisch hieße das, dass Israel seinen Anspruch, welche Gebiete es in einer künftigen Friedensregelung unter Allen Umständen behalten will, ausweiten würde.

Ein besonders konfliktträchtiger Teil der am Dienstag veröffentlichten Ausschreibung sind 1.200 Wohneinheiten im „E1-Korridor“, der Jerusalem mit der östlich gelegenen Siedlung Ma'ale Adumim verbinden soll. Die Verwirklichung dieses Vorhabens würde die palästinensische Westbank an ihrer schmalsten Stelle durchschneiden. Aufgrund starken internationalen Drucks sind dort seit 2009 alle Bauvorhaben gestoppt. Netanjahu hat denn auch diesen besonders anstößigen und provokatorischen Teil der neuen Ausschreibung sofort außer Kraft gesetzt.

Indessen lässt auch der Premier keine realistischen Hoffnungen auf die Zulassung eines Palästinenserstaates erkennen. „Israels Sicherheit“ erfordere, dass seine Grenze am Jordan liegt und dass dort israelische Streitkräfte stationiert bleiben, verkündete er im Oktober kategorisch. Praktisch würde das bedeuten, dass die Palästinensergebiete auf der Westbank rundum von israelischem Territorium eingeschlossen bleiben sollen. Es geht dabei nicht zuletzt auch um die wertvollen Wasservorräte des Jordantals.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 16. November 2013