KNUT MELLENTHIN

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Tripoli - Hauptstadt des Weltkalifats

Große Aufregung herrscht in der Bloggerszene über den Militärchef der Rebellen in der libyschen Hauptstadt Tripoli: Abdel Hakim Belhadsch ist angeblich „ein Al-Qaida-Mann“, wenn nicht sogar ein „Spitzenführer von Al-Qaida“. Über den Sachverhalt sind sich ausnahmsweise manche Menschen mit linken Selbstverständnis, dubiose Märchenerzähler vom Schlage eines Webster Tarpley und zionistisch-antimuslimische Hass-Webseiten wie „Jihad Watch“ einig. Das gemeinsame Narrativ: Der Westen habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um Muammar Ghaddafi zu stürzen, und nun werde von Tripoli aus der Terrorkampf für das Weltkalifat organisiert.

Belhadsch war, das scheint der wahre Kern der Geschichte zu sein, Mitglied der Libyschen Islamischen Kampfgruppen, englisch abgekürzt LIFG. Welchen Rang er dort hatte – einige Blogger haben ihn rasch zum Chef der Organisation befördert -, ist bisher nicht geklärt. Selbst die genaue Geschichte der LIFG wird sehr unterschiedlich berichtet. Klar ist nur, dass sie in den 1990er Jahren bewaffnete Aktionen gegen die libysche Regierung zu unternehmen versuchte und dass daraufhin sehr schnell Hunderte Kämpfer der Organisation und andere Verdächtige die Gefängnisse füllten.

Im November 2007 gab die angebliche Nummer 2 von Al-Qaida, Ayman al-Zawahiri, bekannt, dass die LIFG sich ihnen angeschlossen habe. Diese Behauptung entsprach aber nicht den feststellbaren Tatsachen. Zu dieser Zeit war bereits eine intensive Zusammenarbeit zwischen den libyschen Sicherheitsdiensten und inhaftierten LIFG-Kadern in Gange gekommen. Das als „Versöhnung“ bezeichnete Unternehmen stand unter der Protektion von Ghaddafis Sohn Saif al-Islam. Als Ergebnis langer Diskussionen wurde im September 2009 ein über 400 Seiten starkes Dossier veröffentlicht, in dem die LIFG ihre Vergangenheit aufarbeitete und dem bewaffneten Kampf abschwor. In der Folgezeit wurden Hunderte islamistischer Gefangener aus der Haft entlassen.

Belhadsch selbst war in den 1990ern Jahren, möglicherweise erst 1999, nach Afghanistan gereist, um der Verhaftung zu entgehen und zugleich die Taliban zu unterstützen. Nach deren Sturz und dem Einmarsch US-amerikanischer Truppen im Herbst 2001 soll er dann – darin stimmen alle Berichte überein – über den Iran geflüchtet sein. Abweichend wird erzählt, wo er später verhaftet wurde. Genannt wurden bisher Thailand, Malaysia, Pakistan und Hongkong. Als Zeit wird sowohl 2003 als auch 2004 genannt. Sicher scheint wiederum, dass er an die USA ausgeliefert und von der CIA – vermutlich in Thailand – unter Anwendung der üblichen Foltermethoden „verhört“ wurde. Anschließend wurde er, möglicherweise schon 2004, nach Libyen überstellt, wo er erneut eingesperrt wurde. Im Zuge der Amnestierung der LIFG-Gefangenen kam er frei, vielleicht 2008, vielleicht aber auch erst im März 2010.

Der Al-Qaida hat Belhadsch wahrscheinlich nicht angehört, zumindest gibt es dafür keine Anhaltspunkte. Außerdem wurde er nirgendwo und niemals vor Gericht gestellt. Aus rechtsstaatlicher Sicht gibt es also überhaupt keine erwiesenen Vorwürfe gegen ihn. Möglicherweise hat die CIA ihn schon „umgedreht“, als sie ihn in der Mangel hatte. Ganz sicher aber organisiert er jetzt nicht mit Barack Obamas Segen die gewaltsame Islamisierung der Welt.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 29. August 2011