KNUT MELLENTHIN

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Schwere politische Niederlage der US-Regierung in Somalia

Mit Drohungen hat die US-Regierung auf den Machtwechsel in Mogadischu reagiert. Die Milizen der "Islamischen Gerichte" hatten am Montag eine mit den USA verbündete Koalition von Warlords aus der somalischen Hauptstadt vertrieben. Deren letzte Bastion ist nun die 90 Kilometer weiter nördlich gelegene Stadt Jowhar, die bereits von den islamistischen Milizen eingeschlossen ist. Die Entwicklung stellt einen großen Rückschlag für die amerikanischen Bemühungen dar, sich über gekaufte einheimische Agenten einen maßgeblichen Einfluss in Somalia zu sichern, das sich seit 1991 im Bürgerkrieg befindet.

US-Präsident George W. Bush kommentierte die Niederlage seiner Verbündeten mit den Worten: "Klar, wenn es irgendwo in der Welt Instabilität gibt, sind wir besorgt. Unser Hauptanliegen ist natürlich, sicherzustellen, dass Somalia kein al-Kaida-Schlupfwinkel wird, dass es kein Ort wird, von dem aus Terroristen ihre Verschwörungen und Pläne schmieden können."

Damit hängt, nachdem die US-Regierung auf somalische Bundesgenossen kaum noch zählen kann, wieder einmal die Drohung einer Militärintervention in der Luft. Schon nach dem 11. September 2001 galt Somalia als eines jener Länder, die nächstes Ziel einer amerikanischen Aggression werden könnten. Seit dieser Zeit ist in Dschibuti - der ehemaligen französischen Somali-Kolonie - ein regionales US-Hauptquartier stationiert, dem im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" ein internationaler Flottenverband angeschlossen ist. Sein weitgestecktes Einsatzgebiet sind die Gewässer um die arabische Halbinsel und den nordöstlichen Teil Afrikas.

Deutschland beteiligt sich daran derzeit mit einer Fregatte und 250 Marineangehörigen. Auffällig ist jedoch, dass der Bundestag als "Vorratsbeschluss" eine weit höhere, niemals auch n ur annähernd ausgeschöpfte Obergrenze für die Soldatenzahl genehmigt hat. Nämlich 3.900 im Jahr 2001 und immerhin noch 2.800 bei der letzten Erneuerung des Mandats im November 2005. Wofür eine so große Zahl von Soldaten eventuell kurzfristig benötigt werden könnte, hat die Bundesregierung bisher nicht beantwortet. Es hat aber auch - außer der PDS sowie im vorigen Jahr zusätzlich der FDP - niemand wirklich danach gefragt. Es liegt nahe, diesen seltsamen "Vorratsbeschluss" unter anderem mit den latenten Interventionsplänen der USA gegen Somalia in Zusammenhang zu bringen.

Die "Union der islamischen Gerichte" (ICU), deren Milizen jetzt Mogadischu erobert haben, entstand in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Hauptziel war zunächst, in dem vom Bürgerkrieg verheerten Land wieder eine verlässliche Gesetzlichkeit zu schaffen. Finanziert wurde und wird die ICU unter anderem von Geschäftsleuten, die an stabilen Verhältnissen interessiert sind, und von internationalen islamischen Wohlfahrtsorganisationen. Im Laufe der Zeit übernahm die ICU nicht nur Polizei-Aufgaben, sondern kümmerte sich auch um die Rekonstruktion sozialer Dienste vor allem im Erziehungs- und Gesundheitswesen. Das verschaffte ihr eine breite Basis der Sympathie und des Vertrauens in der Bevölkerung. Dieser Faktor, nicht ihre Milizen, macht die ICU derzeit offenbar zur einzigen starken Kraft in Somalia.

Wie weit die ICU eine radikale Islamisierung der somalischen Gesellschaft anstrebt, ist noch offen. ICU-Führer Scharif Scheikh Ahmed, der in westlichen Medien als "relativ gemäßigt" bezeichnet wird, bemüht sich, entsprechende Befürchtungen zu beschwichtigen. Hauptziel sei die Wiederherstellung von Stabilität und Ordnung nach 15 Jahren Gewalt und Anarchie. Über die gesellschaftliche Zukunft müsse das Volk Somalias selbst entscheiden, versicherte der ICU-Chef in mehreren Interviews mit westlichen Medien. Diese verweisen auch darauf, dass Somalia keine Tradition des radikalen Fundamentalismus kennt.

Eine eindeutige Antwort ist indessen nicht möglich, zumal die ICU ein Bündnis von mindestens elf unterschiedlich orientierten Gruppen ist. Von diesen gelten zwei als radikal. Eine von ihnen wird von Scheikh Hassan Dahir Aweis geführt, der auf der US-Liste der "Terror-Verdächtigen" steht. Die US-Regierung wirft ihm Verbindungen zu al-Kaida vor. Ein anderer Führer einer ICU-Gruppierung wurde angeblich in einem afghanischen Lager ausgebildet; er soll für den Tod mehrerer Mitglieder von Hilfsorganisationen verantwortlich sein. Darüber hinaus behauptet die US-Regierung, ohne präzise Angaben zu machen, dass die ICU drei Verantwortlichen für Terroranschläge Unterschlupf gewähren. Stoff genug also, um eine amerikanische Militärintervention zu rechtfertigen.

Um die ICU zu bekämpfen, förderte die US-Regierung im Februar dieses Jahres die Gründung der "Allianz für die Wiederherstellung des Friedens und die Bekämpfung des Terrorismus" (ARPCT). Zu diesem Bündnis haben sich mehrere bis dahin verfeindete Warlords und Clan-Führer zusammengeschlossen. US-Medien berichten, dass die Allianz von der US-Regierung mit 100.000 bis 150.000 Dollar monatlich subventioniert wurde. Das Geld soll regelmäßig von Funktionären des CIA-Büros in der kenianischen Hauptstadt Mombassa direkt übergeben worden sein. Diese Besuche in Mogadischu dienten zugleich dazu, den ARPCT-Führern taktische "Ratschläge" zu geben.

Für den weiteren Gang der Dinge wird entscheidend sein, wie sich das Verhältnis der ICU zur legitimen, das heißt international anerkannten, aber machtlosen Übergangsregierung Somalias gestaltet. Sie hat ihren Sitz in der Stadt Baidoa, 250 Kilometer nordwestlich von Mogadischu, und beherrscht auch nicht wesentlich mehr Territorium. Regierungschef Ali Mohammed Ghedi hatte schon seit Monaten die amerikanische Unterstützung für die ARPCT kritisiert. Nach der Einnahme von Mogadischu gratulierte er den islamischen Milizen. Die von ihnen vertriebenen Warlords hätten "der Versöhnung, Stabilisierung und Befriedung Somalias geschadet", so Ghedi. Seine Übergangsregierung strebt nun Verhandlungen mit der ICU an.

Dass diese noch nicht einmal Mogadischu vollständig unter Kontrolle hat, zeigte sich am Dienstag und Mittwoch in Demonstrationen, zu denen ein einflussreicher, mit den Warlords verbundener Clan aufgerufen hatte. Die ICU ließ diese gewähren. Darüber hinaus kündigte ICU-Chef Ahmed am Donnerstag an, dass seine Milizen nicht vorhaben, die letzte Bastion der Warlords in der Stadt Jowhar zu stürmen, sofern die ARPCT nicht ihrerseits die Kämpfe neu entfacht. Offenbar setzt die ICU zunächst einmal auf jede Chance zur Versöhnung nach 15 Jahren Bürgerkrieg.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 9. Juni 2006