KNUT MELLENTHIN

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Fakten zum "Kampfhund"-Streit

Die Diskussion um die Gefahr, die vermeintlich von sogenannten "Kampfhunden" ausgeht, hat sich in den letzten Monaten dramatisch zugespitzt. Vorreiter ist dabei der Berliner Senat. Dort fordert Umweltsenator Strieder (SPD) mit Unterstützung seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus, nicht nur die Haltung von "Kampfhunden" in Mietshäusern, sondern auch das Ausführen dieser Hunde auf öffentlichen Straßen zu verbieten. Demnach dürften sie künftig nur noch von Haus-und Grundstücksbesitzern gehalten werden, und auch nur auf deren eigenen, gut befestigten Anwesen. Das ist die bisherige Spitze einer Kampagne, die stellenweise ins Absurde, rein Demagogische abzugleiten droht. Nun gut, mag man da sagen, in Berlin herrscht schon Wahlkampfsstimmung, und die Dinge werden sicher nicht so heiß gegessen, wie sie jetzt gekocht werden. Zumal die Berliner SPD, die zur Zeit noch mit der CDU zusammen regiert, für ihre in Deutschland einmalige Idee wahrscheinlich keine parlamentarische Mehrheit finden wird.

Was sind "Kampfhunde"?

Wenn von "Kampfhunden" die Rede ist, denken wohl die meisten Menschen an Pitbullterrier und Bullterrier, sowie im weiteren Sinn an Hunde, die speziell für den Kampf gegeneinander oder auch für Angriffe auf Menschen scharf gemacht worden sind. Von Politikern und in den Medien wird der Begriff "Kampfhunde" aber sehr viel weiter gehend verwendet. Erstmals wurde 1992 in Bayern ein Katalog von 14 Hunderassen aufgestellt und gesetzlich verankert, die als "Kampfhunde" gelten. Seither haben mehrere andere Bundesländer diese Liste unverändert übernommen.

Außer den schon genannten Rassen Pitbullterrier und Bullterrier werden in dem "Kampfhund"-Katalog folgende weitere Hunde genannt: Bandog. American Staffordshire Terrier. Staffordshire Bullterrier. Tosa Inu. Bullmastiff. Dogo Argentino. Dogue de Bordeaux. Fila Brasileiro. Mastiff. Mastin Español. Mastino Napoletano. Rhodesian Ridgeback. Außerdem gelten auch Mischlinge, an denen Hunde dieser Rassen beteiligt sind, als "Kampfhunde".

Der Katalog zählt etliche Hunderassen auf, die nicht einmal jeder Tierarzt, geschweige denn ein Polizist oder Verwaltungsbeamter eindeutig erkennen kann. Neun von den 14 angeblichen "Kampfhund-Rassen" sind in Deutschland so selten, daß sie in amtlichen Statistiken über Beißzwischenfälle gar nicht auftauchen. Der japanische Tosa Inu, von dem es hierzulande nur eine Handvoll gibt, wird in seiner Heimat zwar für Hundekämpfe eingesetzt. Doch handelt es sich dabei um Spielregeln, die an den absolut unblutigen Wettkämpfen der schwergewichtigen Sumo-Ringer angelehnt sind. Ein Hund, der dabei beißt, wird sofort disqualifiziert. Dogo Argentino und Rhodesian Ridgeback werden in ihrer Heimat zum Bewachen großer Grundstücke und von Viehherden eingesetzt. Und was ein "Bandog" ist, vermag wohl niemand genau zu sagen. Als eigene Rasse ist dieses Wesen jedenfalls nicht existent. Auch der Pitbullterrier, der in seinem Typ etwas klarer definiert ist, ist bisher nicht als eigene Rasse anerkannt.

Kampfhund ist ursprünglich ein klar umrissener Begriff gewesen. Er bezeichnete nämlich Hunde, die speziell zum Kämpfen gezüchtet wurden. Grundsätzlich zu unterscheiden sind zwei Typen: Erstens die großen Hunde, die in alten Zeiten in der Schlacht eingesetzt wurden, um Angst und Schrecken unter den Feinden zu verbreiten. In diese Kategorie sind unter anderem die Vorfahren von Mastino und Mastiff zu rechnen. Die zweite Gruppe bilden niedrig gebaute bis mittelgroße Hunde, die für Tierkämpfe gezüchtet wurden, die nicht nur eine perverse Unterhaltung boten, sondern auch Anlaß für Wetten waren. Besonders in England erfreute sich dieser "Sport" im 18. und 19. Jahrhundert quer durch alle sozialen Schichten großer Beliebtheit. So wurde die Bulldogge gezüchtet und ausgebildet, um, wie schon ihr Namen klar sagt, gegen Bullen zu kämpfen, indem sie sich in deren Maul festbiß, bis das Rind ohnmächtig vor Schmerzen zusammenbrach. Pitbullterrier - die aber mit der heutigen Hundeart dieses Namens nicht identisch sind - wurden im vorigen Jahrhundert zu Kämpfen in der "Pit", dem Ring, eingesetzt. Ihre Gegner waren andere Hunde oder auch Ratten, von denen sie in einer festgelegten Zeit möglichst viele töten sollten.

Generell ist für alle Kampfhunde im ursprünglichen Sinn des Wortes festzustellen, daß sie zwar auf Kraft und Kampfgeist gezüchtet und trainiert wurden, zugleich aber auch auf eine hohe Nervenstärke und Reizschwelle sowie auf eine ganz konsequente, auch in Streßsituationen zuverlässige Unterordnung gegenüber ihrem Leitmenschen. Beim blutigen Tierkampf in der "Pit" konnte man selbstverständlich keine Hunde gebrauchen, die unberechenbar waren und plötzlich im Blutrausch dem nächstbesten Zuschauer an die Kehle sprangen. Auch bei den Kriegshunden wäre es fatal gewesen, wenn sie aus Nervosität durchgedreht wären und sich gegen die eigenen Leute gewendet hätten. Wegen ihrer arteigenen Ruhe eignen sich beispielsweise Bullterrier gut als Rettungshunde bei der Feuerwehr.

Sind "Kampfhunde" besonders gefährlich?

Alle Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema befassen, stellen übereinstimmend fest, daß es zwar "gefährliche Hunde" auf Grund individueller Voraussetzungen und Ursachen gibt, aber keine pauschal "übersteigert aggressiven Rassen".

Diese Aussage wird von den amtlichen Statistiken über Beißzwischenfälle vollauf bestätigt. Dazu muß eine Bemerkung vorausgeschickt werden: Es gibt leider immer noch keine vollständige Gesamtstatistik und erst recht noch keine differenzierten Untersuchungen über die Umstände der Beißvorfälle. Manche Zahlen, mit denen argumentiert wird, dienen mehr der Propaganda als der sachlichen Diskussion. So ist die Behauptung des Deutschen Kinderschutzbundes, jedes dritte Opfer sei ein Kind, eindeutig aus der Luft gegriffen und falsch. Alle veröffentlichten Statistiken lassen darauf schließen, daß etwa jedes sechste Opfer menschenbeissender Hunde ein Kind ist, wobei es sich vermutlich oft um Zwischenfälle mit dem familieneigenen Hund handelt, die mit der öffentlich diskutierten "Kampfhund"-Problematik nicht viel zu tun haben.

Unglaubwürdig ist auch die von manchen Medien verbreitete Behauptung, in Deutschland würden jährlich rund 50.000 Menschen von Hunden gebissen. Nach einer Untersuchung des Deutschen Städtetages wurden im Fünfjahreszeitraum 1991-1995 insgesamt 8.356 Fälle von Körperverletzung durch Hunde registriert, davon 76% leicht, 20% mittelschwer und 4% schwer. Diese Aufstellung umfaßt nicht alle deutschen Städte, da nicht alle dazu Angaben machten, aber doch die größten.

Interessant ist, daß nach dieser repräsentativen Übersicht des Deutschen Städtetages die Gesamtzahl der Beißvorfälle gegenüber der letzten Untersuchung, die in den achtziger Jahren vorgenommen wurde, gesunken ist. Auch der Anteil schwerer Vorfälle an der Gesamtzahl ist niedriger geworden. Das steht im Gegensatz zu dem dramatischen Bild, das von manchen Politikern und Journalisten gezeichnet wird.

Aus einer Detailaufstellung, die auf Grundlage der Angaben von 93 Städten erfolgte, läßt sich überschauen, wie sich die Beißvorfälle auf die Hunderassen verteilten. Danach liegen an erster Stelle Mischlingshunde (33%), gefolgt von Schäferhunden (27,2%). Mit weitem Abstand folgen Rottweiler (7,5%), Pitbullterrier (4,4%), Dobermann (3,1%), Bullterrier (2,3%) und Staffordshire-Bullterrier (2,3%).

Es bleibt demnach festzustellen, daß die sogenannten "Kampfhund-Rassen" für weniger als zehn Prozent aller registrierten Beißvorfälle verantwortlich sind. Schon daraus geht hervor, daß die aktuelle Diskussion von völlig falschen Voraussetzungen ausgeht und keinen ernsthaften, wirkungsvollen Ansatz zur Lösung der tatsächlich bestehenden Problematik verantwortungsloser oder sogar krimineller Tierhalter und individuell gefährlicher Hunde bieten kann.

Leider läßt sich anhand dieser Statistik nicht aufschlüsseln, wie die einzelnen Hunderassen an den wenigen, aber besonders ernsten Fällen von schwerer Körperverletzung oder sogar der Tötung von Menschen beteiligt sind. Aus der Betrachtung von Zeitungsmeldungen über solche Vorfälle läßt sich aber die Feststellung treffen, daß in besonders hohem Maß neben Pitbullterriern auch Rottweiler, Dobermänner und Doggen an schweren Beißvorfällen beteiligt sind.

Was sind die Folgen?

Anhand der Fakten ist eindeutig, daß selbst ein totales Verbot der sogenannten "Kampfhund-Rassen" die Zahl von Beißvorfällen nur unwesentlich mindern würde. Stattdessen treten aber schon spürbare negative Folgen der in fataler Weise fehlgeleiteten "Kampfhund"-Diskussion ein.

1. Bestimmte Rassen bekommen ganz pauschal einen schlechten Ruf. Das macht sie auf der einen Seite nur noch interessanter für Menschen, die unbedingt einen "scharfen", aggressiven Hund haben wollen - und denen man diese Tiere eigentlich besser nicht anvertrauen dürfte. Auf der anderen Seite sind "Kampfhunde" in den Tierheimen kaum noch  vermittelbar, weil die meisten Menschen Angst haben, so ein Tier zu sich zu nehmen, und sei es vielleicht auch nur wegen der Reaktionen des Hauswirts und der Nachbarn.

2. Viele Städte und Gemeinden haben inzwischen Sondersteuern für die sogenannten "Kampfhund-Rassen" erlassen, die bis zum Zehnfachen des normalen Hundesteuersatzes betragen. In manchen Städten werden nun plötzlich 1.800 Mark jährliche Steuer für so einen Hund fällig. Für manche Menschen ist das, zusammen mit der zunehmenden Verteufelung ihres Hundes in der Öffentlichkeit, ein Grund, sich von dem Tier zu trennen. Endstation Tierheim. Über die Rechtmäßigkeit dieser Sondersteuern werden irgendwann die Gerichte entscheiden müssen, aber bis dahin ist auf jeden Fall schon viel Schaden angerichtet worden.

3. Das Bundesland Brandenburg hat den Anfang gemacht, die Haltung der sogenannten "Kampfhund-Rassen" in Mehrfamilienhäusern zu verbieten. Auch das führt als unmittelbare Reaktion zu Tierabgaben und -aussetzungen. In Berlin steht wahrscheinlich eine Übernahme dieser Regelung bevor.

4. Es droht als nächster Schritt die Einbeziehung von Rottweiler und Dobermann in den Pauschalkatalog der "gefährlichen Rassen". Auch in diesem Punkt spielt Berlin wieder den Vorreiter. Sowohl die SPD wie auch die Grünen treten dafür ein.

5. Die Verteufelung bestimmter Hunderassen verschlechtert generell das Klima für deren Haltung. Hausbesitzer, die ihren Mietern den Besitz eines großen Hundes verweigern, bekommen durch diese Kampagne vor Gericht bessere Karten. Auch die Konflikte mit Nachbarn nehmen oft an Schärfe zu. Wiederum ist das Ergebnis eine steigende Zahl von Abschiebungen in die Tierheime. Zugleich wachsen dort die Schwierigkeiten, diese Hunde zu vermitteln. Diese Feststellung gilt nicht nur für die 14 sogenannten "Kampfhund-Rassen" im engeren Sinn, sondern betrifft insbesondere auch Rottweiler und Dobermänner. Verantwortungslos in den Raum gestellte, unausgegorene Ideen wie die des Berliner Umweltsenators Strieder über ein Ausgehverbot für "Kampfhunde" und "zwei oder drei andere Rassen" heizen die Verunsicherung noch weiter an.

Was sollte getan werden?

1. Wir brauchen endlich detaillierte und vollständige Zahlen über alle polizeikundigen Beißvorfälle und Angaben über deren Zustandekommen. Erst auf dieser Basis wäre überhaupt eine seriöse, wissenschaftlich fundierte Ursachenforschung und eine nicht von Vorurteilen belastete Diskussion über Handlungsoptionen möglich. Die allgemeine Erfahrung zeigt, daß in der Mehrzahl der Beißvorfälle die Hauptschuld beim Halter liegt. Verantwortungsvolle, wirksame Politik, die nicht nur der populistischen Schaumschlägerei dient, muß daher in erster Linie bei den Besitzern der Hunde ansetzen.

2. Die Politiker und Verwaltungsfachleute sollten mit Wissenschaftlern, Tierschutzvereinen und Züchterverbänden eng zusammenarbeiten. Vorbildlich, aber leider bisher auch einmalig ist in dieser Hinsicht das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es schon seit 1994 eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Landesregierung einerseits und dem Landestierschutzverband sowie dem Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) andererseits. Der Begriff des "gefährlichen Hundes" wird in NRW nicht bestimmten Rassen zugeordnet, sondern individuell definiert. Der Schwerpunkt der Gegenmaßnahmen liegt auf der Qualifizierung der Hundehalter durch eine Sachkundeprüfung, an der der VDH maßgeblich mitwirkt.

3. Der Gedanke, daß eigentlich jede Tierhaltung. angefangen beim Goldhamster des Kindes, eine gewisse Qualifikation voraussetzt, sollte zum wichtigen Grundsatz der behördlichen Praxis werden. Das müßte schon im Schulunterricht beginnen. Statt daß in verantwortungsloser Weise Unverständnis und diffuse Angst gegenüber Hunden verbreitet werden - die leider sogar in vielen Fällen Beissereien Vorschub leisten können, weil der Hund die Angst des Menschen spürt und darauf aggressiv reagiert - sollten schon unsere Kinder lernen, die Signale und Reaktionen der Tiere zu beobachten und richtig einzuschätzen. Langfristig sollten wir dahin kommen, daß jeder Hundehalter, möglichst auf freiwilliger Basis, die notwendige Sachkunde erwirbt. Für Hunde ab einer gewissen Kraft und Größe wäre dies auch als verbindliche Maßnahme zu erwägen. "Meiner beißt nicht" mag 99 mal stimmen, aber stimmt vielleicht einmal nicht.

4. Das geltende Recht bietet auch ohne "Kampfhunde-Verordnungen" ausreichend Handhabe, gegen wirklich gefährliche Hunde und vor allem gegen deren Halter einzuschreiten. Nur wird davon leider bisher viel zu wenig Gebrauch gemacht. Aus der bereits erwähnten Veröffentlichung des Deutschen Städtetages wird deutlich, daß in der Mehrzahl der Beißvorfälle nur eine mündliche Verwarnung erfolgt. An zweiter Stelle steht Anordnung des Leinenzwangs. Erst dann folgen Bußgelder, wobei diese im Durchschnitt nur bei 500 Mark liegen - also nur bei einem Drittel dessen, was in vielen Städten dem Halter eines sogenannten "Kampfhundes" als jährliche Hundesteuer abverlangt wird, auch wenn sein Tier überhaupt nicht auffällig wird. In Berlin verletzte vor einigen Monaten ein Dobermann einen Jungen lebensgefährlich. Der Halter war Alkoholiker, und der Hund hatte vorher schon zweimal Menschen gebissen! In Hamburg wurde einem Halter der Hund erst abgenommen, nachdem er zum fünften Mal Menschen angefallen hatte - und das wohl auch nur, weil der Besitzer ganz dreist die Aufforderung mißachtet hatte, mit seinem Hund zum Amtstierarzt zu kommen. Erfahrungsgemäß werden insbesondere Beißvorfälle mit schweren Körperverletzungen oft durch Hunde verursacht, deren Halter volltrunken oder drogenabhängig sind. Das sollte bei behördlichen Maßnahmen stärker als bisher beachtet werden.

5. Hundezucht und Hundehandel sollten stärker und konsequenter als bisher überwacht werden. Verantwortungsvolle, kontrollierte Zucht sollte gefördert, Zucht und Ausbildung auf aggressive Überschärfe sollten deutlich geahndet werden. Wenn es in manchen Bundesländern schon soweit gekommen ist, daß vernünftig eingestellte  Züchter vom Verwaltungsapparat schikaniert werden, aber auf der anderen Seite der illegale Handel mit "Hinterhofzüchtungen" blüht, so ist das eine Fehlentwicklung, die schnellstens korrigiert werden sollte.

6. Die Tierheime brauchen eine spürbare Entlastung. Um das zu erreichen, sollte als erste, einfach zu bewerkstelligende und keinerlei Kosten verursachende Maßnahme die verantwortungslose, nur an Emotionen appellierende öffentliche Verteufelung bestimmter Hunderassen eingestellt werden. Darüber hinaus sollten Maßnahmen eingesetzt werden, die den Entschluß erleichtern, einem Hund aus dem Tierheim ein neues Zuhause zu geben. Angefangen bei einer Ermäßigung oder Aussetzung der Hundesteuer für einen längeren Zeitraum.

Knut Mellenthin

Ich & Du, Zeitschrift des Hamburger Tierschutzvereins, 1/1999