KNUT MELLENTHIN

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Der Sponti, der seine Seele verkaufte

Joschka Fischer wird voraussichtlich der nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören. Er war der furchtbarste deutsche Außenminister seit 1945 und der erste, der Blut an den Händen hat.

Auch wenn sich in den vergangenen Wochen die Umfrageergebnisse für Rot-Grün verbessert haben, zeichnet sich keine Konstellation ab, in der Joschka Fischer Chef des Außenministeriums bleiben könnte, das er seit 1998 leitet. Auch das Amt eines EU-Außenministers, für das sich Fischer schon vor zwei Jahren interessiert haben soll, steht als nächste Lebensstation für den immer noch putzmunteren 57-Jährigen vorerst nicht zur Verfügung. Erstens ist nicht abzusehen, ob und wann eine solche Position in den nächsten Jahren geschaffen wird. Und zweitens ist keineswegs gesichert, dass die anderen europäischen Staaten dann wirklich ausgerechnet einen Deutschen in diesem Amt sehen wollen.

Es muss daher damit gerechnet werden, dass Joschka Fischer demnächst im Bundestag wieder den wortgewaltigen Oppositionssprecher spielen wird. Er wird dann vermutlich der nächsten Regierung genau das vorwerfen, was er selbst in den vergangenen sieben Jahren praktiziert hat: Militarisierung der Außenpolitik. Und es ist zu befürchten, dass ihm dann etliche Linke mit kurzem Gedächtnis oder einem übermäßigen Hang zum Verzeihen begeistert applaudieren werden, statt ihn einfach auszulachen.

Feindliche Übernahme der Grünen

Joschka Fischers politische Laufbahn begann 1967 am Rande der Studentenbewegung. In den 70er Jahren gehörte er zur Frankfurter Sponti-Gruppe Revolutionärer Kampf, die ohne politische Strategie und Taktik, dafür aber mit viel "Militanz" die Massen zum Widerstand mobilisieren wollte. Wie Fischer immer wieder zutreffend betont, war er nie ein Anhänger der Gewaltfreiheit. Aus seiner Sicht führte ein gerader Weg vom Straßenkampf um besetzte Häuser in den 7oer Jahren zum Bombenkrieg gegen Jugoslawien. Ziele und Mittel haben sich für Fischer im Laufe der Zeit nicht unwesentlich verändert, aber als Konstante ist eine Überschätzung gewalttätiger Politikformen und eine fatale Leidenschaft für das Androhen von Gewalt zu erkennen. Fischer bekennt sich zum Gewaltmonopol des Staates - obwohl er aus seiner linken Vergangenheit sicher noch weiß, dass dieses für zig Millionen Tote verantwortlich ist und an Brutalität jeden individuellen Terror bei weitem übertrifft.

In die 1980 gegründete Grüne Partei trat Fischer erst zwei Jahre später ein. Zuvor hatte er 1981 zusammen mit Daniel Cohn-Bendit und anderen Freunden aus der ehemaligen Frankfurter Sponti-Szene einen "Arbeitskreis Realpolitik" gegründet. Ziel: Planmäßige Übernahme der Grünen und deren Umgestaltung zu einer systemkompatiblen, ihrer ursprünglichen Inhalte beraubten Partei. Wie sich das mit dem wenige Jahre zuvor gepredigten Linksradikalismus vertrug, war nicht mehr auszumachen. Fischers Seilschaft aus Sponti-Zeiten sorgte im Kreisverband Frankfurt der Grünen dafür, dass ihr Frontmann schon wenige Monate nach dem Parteieintritt als Bundestagskandidat aufgestellt wurde und 1983 als Abgeordneter ins Parlament einzog.

Damals galt bei den Grünen noch das sogenannte Rotationsprinzip. Das hieß für die Bundestagsabgeordneten, dass sie nach zwei Jahren ausgetauscht wurden. Das passte gut, denn für Fischer bot sich gerade die nächste Chance zum weiteren Aufstieg: 1985 wurde in Hessen, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik, eine rot-grüne Landesregierung gebildet. Joschka Fischer übernahm das Ministerium für Umwelt und Energie.

Hessen war zu dieser Zeit ein Zentrum, wenn nicht sogar die Avantgarde der deutschen Atomwirtschaft. Die Grünen schluckten der Koalition zu Liebe eine Menge Kröten und ließen sich mit leeren Formeln abspeisen. Auf der anderen Seite war damals aber der Druck der Anti-AKW-Bewegung auf die Partei noch stark genug, um ein Gegengewicht gegen deren staatstragenden Opportunismus zu bilden. Unter diesem Einfluss machte Fischer im Februar 1987 den Fortbestand der Koalition von der Rücknahme der widerrechtlich erteilten Betriebserlaubnis für die Hanauer Atomfabrik Alkem abhängig, wo angeblich waffenfähiges Plutonium produziert werden sollte. SPD-Regierungschef Holger Börner reagierte mit Fischers Entlassung und ließ seinerseits die Koalition platzen. Nach einem CDU-FDP-Intermezzo gab es in Hessen 1991 erneut eine rot-grüne Koalition, der Fischer wieder als Umweltminister angehörte.

Nicht lange, denn 1994 ließ Joschka Fischer sich zum zweiten Mal in den Bundestag wählen und wurde Fraktionssprecher. Innerhalb eines Jahres mutierte er dann vom Kritiker zum Befürworter von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Anlass dafür bot der Zerfall Jugoslawiens und der Bürgerkrieg in einigen Teilrepubliken.

Ein rätselhafter Umfall

Seit Juli 1992 war die Bundeswehr in der Adria mit einem Kriegsschiff und drei Aufklärungsflugzeugen an der Überwachung des vom UNO-Sicherheitsrat gegen ganz Jugoslawien verhängten Waffenembargos beteiligt. SPD und Grüne äußerten schwere Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Einsatzes. Der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Klose warf im Bundestag der Kohl-Regierung vor, sie würde "scheibchenweise eine fundamentale Änderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vollziehen". Die SPD zog sogar vor das Bundesverfassungsgericht. Das entschied im Juli 1994, dass die Beteiligung deutscher Soldaten an "friedenssichernden" Einsätzen im Rahmen der UNO oder anderer "kollektiver Sicherheitssysteme" verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.

Im Juni 1995 gab die CDU-FDP-Regierung ihre Entscheidung bekannt, sich an der vom UNO-Sicherheitsrat mandatierten Schnellen Eingreiftruppe der NATO für Bosnien-Hercegowina zu beteiligen. Im Wesentlichen ging es zunächst lediglich um ein Feldlazarett und um Aufklärungsflüge. Die Grünen stimmten am 30. Juni 1995 im Bundestag, zusammen mit der Mehrheit der SPD-Abgeordneten, gegen den Einsatz. Joschka Fischer hatte an diesem Tag im Parlament seinen letzten großen rhetorischen Auftritt als vorgeblicher Kritiker einer militarisierten Außenpolitik. Zunächst erinnerte er an ein Statement von Außenminister Klaus Kinkel (FDP), der im Oktober 1994 erklärt hatte: "Eine deutsche Beteiligung (Anm.: an Militärinterventionen) darf nicht konfliktverschärfend wirken. Dies könnte vor allem dort der Fall sein, wo aus der Zeit deutscher Besatzung während des Zweiten Weltkrieges noch besondere Animositäten lebendig sind. Aus diesen Gründen lehnt die Bundesregierung eine unmittelbare Beteiligung deutscher Truppen an Friedensmissionen im ehem. Jugoslawien ab. Sie könnten dort eher eskalierend als beruhigend wirken." - Fischer fuhr dann fort, seine Fraktion unterstütze zwar humanitäre Einsätze. "Aber wir sagen klar nein zu dieser Zäsur, die Sie heute anstreben. Wir wollen keine neue deutsche Außenpolitik, die die Selbstbeschränkung aufgibt, und sei es unter Bündniskriterien. (...) Die Mär, dass die Bundesrepublik Deutschland am Pazifismus kranken würde, ist eine Absurdität sondergleichen."

Einen Monaten später sah für Joschka Fischer alles völlig anders aus. Vor dem Hintergrund der mit Massenvertreibung und Massakern verbundenen Einnahme der moslemischen Orte Srebrenica und Zepa durch serbische Milizen (am 12. und 25. Juli 1995) richtete Fischer am 31. Juli 1995 ein Schreiben an die grünen Bundestagsabgeordneten, in dem er ein radikales "Umdenken" in Sachen Gewaltfreiheit und eine Neubestimmung der außenpolitischen Grundsätze der Partei forderte. Von nun an sprach Fischer, bezüglich der serbischen Politik, ständig vom "Vormarsch eines neuen Faschismus" und von der Notwendigkeit, mit militärischen Mitteln "ein neues Auschwitz zu verhindern". "Wenn andere Methoden nicht mehr helfen", müssten auch Pazifisten "zu den letzten Mitteln Ja sagen", forderte Fischer im SPIEGEL.

Die beabsichtigte Identifizierung Serbiens mit dem nazistischen Deutschland und die Gleichsetzung zweier örtlicher Bürgerkriegsmassaker mit dem organisierten Völkermord an sechs Millionen Juden war, ganz gelinde gesagt, ebenso geschmacklos wie sachlich falsch. Im Übrigen war keines der Argumente, die Fischer plötzlich zugunsten "humanitärer" Militärinterventionen vortrug, wirklich neu. Jeder Kriegsdienstverweigerer kennt sie aus dem Anhörungsverfahren. Sie gehören zur Grundausstattung bürgerlicher Kriegsrechtfertigung - und Fischer selbst hatte sich noch kurz vor seiner plötzlichen Kehrtwende mit ihnen auseinandergesetzt, hatte in diesem Zusammenhang gerade auch die Instrumentalisierung von "Menschenrechts- und Humanitätsfragen" kritisiert.

Joschka Fischer wird die folgende Frage wohl nicht aufklären wollen, aber sei's drum: War es wirklich nur ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen, dass die namhaftesten US-amerikanischen Neokonservativen - unter ihnen auch der spätere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Stellvertreter Paul Wolfowitz - gleichfalls die Massaker von Srebrenica und Zepa zum Anlass nahmen, eine radikale Umkehr der amerikanischen Jugoslawien-Politik zu fordern? War es Zufall, dass auch führende Neokonservative genau zu diesem Zeitpunkt die Schlagworte "Auschwitz" und "neuer Faschismus" ausgaben, um die zu Beginn des jugoslawischen Bürgerkriegs eher pro-serbische Stimmung der amerikanischen Öffentlichkeit umzukippen?

Erster Kampfeinsatz der Bundeswehr

Wie Joschka Fischer es in den folgenden Jahren gemeinsam mit einer Clique Gleichgesinnter schaffte, der grünen Partei die Gewaltfreiheit - eine ihrer vier programmatischen Säulen - auszutreiben, kann im Rahmen dieses Artikels nicht dargestellt werden. Tatsache ist, dass Fischer immer wieder damit durchkam, eindeutigen Parteitagsbeschlüssen zuwider zu handeln und Schritt für Schritt neue Realitäten zu schaffen.

Am 16. Oktober 1998, wenige Tage vor dem Regierungsantritt des Duos Schröder-Fischer, stimmte die Mehrheit der grünen Bundestagsabgeordneten der deutschen Beteiligung an dem geplanten NATO-Bombenkrieg zur Erzwingung des serbischen Abzugs aus dem Kosovo zu. Von 48 Mitgliedern der grünen Fraktion votierten nur neun dagegen; acht enthielten sich.

Im Gegensatz dazu wurde auf dem Erfurter Parteitag der Grünen am 5.-7. März 1999 mit klarer Mehrheit ein Beschluss "Für eine friedliche und nachhaltige Lösung des Kosovo-Konflikts" verabschiedet. Es heißt darin, dass Deutschland sich "in angemessener Form" an internationalen friedenssichernden Einheiten zur Überwachung eines erhofften Friedensabkommens im Kosovo beteiligen sollte. Aber, so hieß es einschränkend: "Eine Beteiligung darf nur zur Umsetzung eines Friedensabkommens bei Zustimmung und nach Unterschrift der beiden Konfliktparteien erfolgen. Darüber hinaus soll ein mandatierender Beschluss des UN-Sicherheitsrates herbeigeführt werden." Die Grünen seien "grundsätzlich gegen eine NATO-Selbstmandatierung für Militäreinsätze, damit das Gewaltmonopol der UNO nicht außer Kraft gesetzt wird".

Formuliert war dieser mit großer Mehrheit angenommene Antrag von Joschka Fischer, Jürgen Trittin und Angelika Beer. Selbstverständlich hatten sie keineswegs vor, sich an ihre eigene Resolution zu halten. Ihnen ging es nur darum, den Parteitag ohne Eklat über die Bühne zu bringen. Am 24. März 1999 begann der NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien. Die Angriffe dauerten bis zum 10. Juni, zerstörten große Teile der Infrastruktur des Landes und richteten Milliardenschäden an. Mehr als 1500 Menschen, überwiegend Zivilisten, wurden getötet. Er habe immer gewusst, dass Krieg ohne Opfer nicht zu haben sei, kommentierte der Bundesaußenminister.

Die rot-grüne Regierung hatte vollbracht, wovor Helmut Kohl noch zurückgeschreckt war: den ersten großen Kampfeinsatz der Bundeswehr. Ausgerechnet gegen Jugoslawien, das in dem von Nazi-Deutschland aufgezwungenen Krieg die zweitgrößten Menschenverluste, hinter der Sowjetunion, erlitten hatte. Noch wenige Jahre vor dem Kosovo-Krieg hatten selbst CDU-Politiker erklärt, dass ein Bundeswehr-Kampfeinsatz in Jugoslawien aus historischen Gründen außerhalb jeder Diskussion stehe. So schnell haben sich die Zeiten geändert. Und Joschka Fischer kann stolz darauf sein, mit seiner bösartigen "Auschwitz"-Demagogie zu diesem Umschwung entscheidend beigetragen zu haben.

Das Schlimmste kommt erst noch

Bis zum Anschluss der DDR 1990 war die Existenz der Bundeswehr im Wesentlichen damit gerechtfertigt worden, sie sei nur dazu da, um auf die bösen Russen abschreckend zu wirken und niemals kämpfen zu müssen. Konsens der Parteien war, dass vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte jene "Selbstbeschränkung" zu gelten habe, auf die sich Joschka Fischer noch am 30. Juni 1995 im Bundestag berief, bevor er vier Wochen später alles über Bord warf. Unter Helmut Kohl hatte sich das größer gewordene Deutschland mit kleinen, humanitär dekorierten Schritten (Sanitäter, Lazarette, Hilfstransporte) in Somalia und Kambodscha an die "Zäsur" - den grundsätzlichen Einschnitt - herangearbeitet, vor der Fischer in seiner Bundestagsrede gewarnt hatte. Die Ironie der Geschichte ist, dass es schließlich SPD und Grüne waren, die nach ihrem Regierungsantritt 1998 genau diese Zäsur vollzogen. Das Ziel, mit dieser Konstellation die öffentliche Kritik an der Militarisierung der Außenpolitik wesentlich zu schwächen, kann in der Praxis als erreicht gelten. Ein CDU-Verteidigungsminister, der - wie SPD-Mann Peter Struck - öffentlich erklärt hätte, dass Deutschlands Freiheit auch am Hindukusch, in Afghanistan, verteidigt werden müsse, hätte es wahrscheinlich schwer gehabt.

Seit der Übernahme der Regierung durch Rot-Grün wurden nach Berechnungen der Linkspartei/PDS über 7 Milliarden Euro für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausgegeben. Darunter so kostspielige und militärisch absurde Veranstaltungen wie die deutsche Teilnahme an einer internationalen Kriegsflotte, die seit drei Jahren die Gewässer zwischen Nordostafrika und der arabischen Halbinsel vor Terroristen schützen soll.

Die Auslandseinsätze sind aber lediglich als Spitze des Eisbergs anzusprechen. Langfristig noch schwerwiegender ist, dass Rot-Grün die Militärdoktrin auf weltweite Interventionen umgestellt hat und mit riesigen Beschaffungsprogrammen für die langfristige materielle Umsetzbarkeit dieser Doktrin gesorgt hat. Die Details hat Frank Brendle in der Jungen Welt vom 5. und 6. September dargestellt. ("Die Transformation der Bundeswehr: Aufrüstung für den Angriffskrieg. Rüstungsgroßprojekte und Kriegsstrategien")

Die nächste große Zäsur steht vermutlich in absehbarer Zukunft bevor. Die Bundeswehr ist zwar dank Rot-Grün an etlichen Plätzen der Welt präsent, teilweise auch mit nominellen Kampfaufträgen, ist aber bisher wirklichen Kampfeinsätzen weitgehend aus dem Weg gegangen. Dementsprechend sind die Verluste an Menschenleben bisher relativ gering, und auch die Kosten sind im internationalen Vergleich immer noch niedrig. Rund eine Milliarde Euro im Jahr kosten derzeit die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das entspricht einem Fünftel der Ausgaben, die die USA jeden Monat für ihre Kriegführung im Irak und in Afghanistan haben.

Mit anderen Worten: Rot-Grün hat die Dinge auf den Weg gebracht, aber das Fürchterlichste soll erst noch kommen. Dann sollte man nicht vergessen, dass Joschka Fischer einer der wichtigsten Türöffner für diese Entwicklung war, auch wenn er dann vermutlich "mit tiefer Sorge" und zerfurchter Stirn behaupten wird, das habe er wirklich nicht gewollt.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 14. September 2005