KNUT MELLENTHIN

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Eine neue Pro-Israel-Lobby für die USA?

Mit zwei Aktionstagen in der US-Hauptstadt Washington will sich am 18. und 19. Juli eine neue amerikanische pro-Israel-Lobby vorstellen. Zwar gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten eine sehr effektiv arbeitende Organisation, die sich die gleiche Aufgabe gestellt hat, nämlich das AIPAC (American Public Affairs Committee). Mit 100.000 Mitgliedern, 170 hauptamtlichen Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 50 Millionen Dollar bringt das AIPAC pro Jahr nach eigenen Angaben rund 100 Gesetzesinitiativen erfolgreich auf den Weg.

Wozu also jetzt plötzlich noch eine zweite pro-Israel Lobby? AIPAC ist, was die Führungsspitze und die Strukturen angeht, eine jüdische Institution, die eng mit den großen jüdischen Organisationen der USA und mit dem Staat Israel verbunden ist. Die neue Lobby hingegen ist christlich-fundamentalistisch, wie schon ihr Name - Christians United for Israel (CUFI) - verkündet. Das ist nicht ohne Logik, denn unter den amerikanischen Freunden Israels gibt es sehr viel mehr Christen als Juden. Sie finden sich mit ihren speziellen, mehr theologisch-ideologischen als politischen Vorstellungen im pragmatisch orientierten AIPAC kaum wieder.

Von vornherein ist absehbar, dass es zwischen den ganz unterschiedlichen Lobby-Unternehmen nicht nur Synergie-Effekte, sondern auch Konfliktfelder geben wird. Beide Seiten sind bisher allerdings bemüht, sich in der Öffentlichkeit nicht in Konkurrenz zueinander darzustellen, sondern das Verbindende zu betonen. "Wir sehen die Christen in den Vereinigten Staaten als treue Freunde und wichtige Unterstützer auf der Grundlage gemeinsamer Werte", erklärte Israels Botschafter in den USA, Danny Ayalon, sehr diplomatisch zur CUFI-Gründung im Februar.

Tatsächlich gibt es eine lange Tradition der Zusammenarbeit christlicher Fundamentalisten sowohl mit dem AIPAC als auch mit israelischen Stellen. Das wird sich voraussichtlich auch künftig, zumindest in absehbarer Zeit, nicht wesentlich, ändern. Dennoch hat die jüdische Seite Grund, das neue Projekt skeptisch zu beurteilen: Das AIPAC kann auf die feste Unterstützung von über 90 Prozent der Abgeordneten und Senatoren zählen. Der damit verbundene Einfluss auf alle Israel auch nur entfernt berührenden Kongress-Entscheidungen ist durch zusätzliche christliche Lobby-Bemühungen nicht mehr relevant zu steigern. Also dürften aus Sicht des AIPAC die Nachteile des neuen Projekts eindeutig überwiegen.

Sprecher von 30 Millionen Christen?

CUFI behauptet, 30 Millionen Christen zu repräsentieren. Das wäre ein Zehntel aller Einwohner der USA. Diese Angabe entzieht sich einer sachlichen Prüfung und Bewertung. Die Gesamtzahl der sogenannten Evangelikalen (fundamentalistische Christen) wird sehr unterschiedlich auf 30, 40, 50 oder gelegentlich (aber selten) sogar auf 70 Millionen geschätzt. 30 Millionen, wie von CUFI behauptet, wären also auf jeden Fall ein sehr hoher Anteil an der Gesamtzahl. Die Evangelikalen bilden keine einheitliche Glaubensrichtung, sondern gehören verschiedenen Strömungen und Kirchenverbänden, überwiegend des Protestantismus, an. Diese sind außerdem auch noch regional stark aufgesplittert. Das erschwert zusätzlich das Ermitteln halbwegs zuverlässiger Mitglieder- bzw. Anhängerzahlen. Noch schwerer ist eine Einschätzung, wie viele Menschen tatsächlich die extremen Auffassungen der evangelikalen Wortführer zum Nahost-Konflikt teilen und sich davon beispielsweise bei Wahlentscheidungen beeinflussen lassen.

An der Spitze der CUFI steht Pastor John C. Hagee aus San Antonio, Texas. Seine Gemeinde soll 17.000 Mitglieder haben. Im Vorstand sind eine Reihe weiterer Prediger, die zum Teil auch durch einschlägige Rundfunk- und Fernsehsender bekannt sind: Jerry Falwell, Gary Bauer, Benny Hinn, Jack Hayford, George Morrison, Rod Parsley und Steven Strang. Der wegen seiner extravaganten Äußerungen besonders umstrittene "Tele-Evangelist" Pat Robertson nahm zwar auch an der Gründungsversammlung teil, gehört aber nicht dem CUFI-Vorstand an. Er hatte gerade kurz zuvor den Gehirnschlag von Ariel Scharon als Strafe für den Abzug aus dem Gaza-Streifen bezeichnet, was in Israel selbstverständlich große Empörung ausgelöst hatte. Robertson ist für solche Entgleisungen schon berüchtigt. So rief er im vorigen Jahr zur Ermordung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez auf.

Evangelikalen Predigern geht es in erster Linie um werbewirksame, polarisierende Auftritte, nicht um politische Korrektheit. Verbale Fehlleistungen und mutwillige Grenzüberschreitungen, meist kurz darauf gefolgt von Entschuldigungen, gehören deshalb zum normalen Geschäft. Jerry Falwell beispielsweise, Vorstandsmitglied der CUFI, erging sich nach dem 11. September 2001 in Schimpfkanonaden gegen Befürworter freier Abtreibungen, Feministinnen, Homosexuelle und sämtliche Anhänger von alternativen Lebensstilen, die für den Angriff auf das World Trade Center mitverantwortlich seien. Falwell entschuldigte sich später, ebenso wie sich Robertson beim Sohn von Ariel Scharon und beim israelischen Volk entschuldigt hat. Auch seine Äußerung zu Chávez nahm Robertson zurück.

Cristlicher Zionismus

Die amerikanischen Evangelikalen werden oft auch als "Christliche Zionisten" bezeichnet. Der Begriff ist genau genommen irreführend, weil er nur einen kleinen Teil des evangelikalen Programms, und nicht einmal den zentralen, erfasst. Außerdem: Es gibt ein breites Spektrum israelischer und anderer jüdischer Zionisten. Angefangen bei Sozialdemokraten und Leuten, die sich selbst sogar für Sozialisten halten, bis hin zu Rechtsextremisten. Die christlichen Zionisten hingegen haben im Wesentlichen ein gemeinsames gesellschaftspolitisches Programm, das man kurz als Reaktion auf der ganzen Linie bezeichnen kann.

Wenn man vergleichsweise die politische Landschaft Israels nimmt, stehen die christlichen Zionisten am äußersten rechten Rand. Am ehesten kommen ihnen, soweit es ihren Begriff von Zionismus angeht, faschistoide Gruppen wie die Moledet-Partei nahe, mit denen sie auch tatsächlich besonders eng zusammenarbeiten. Gesellschaftspolitisch gibt es viele Berührungspunkte mit Ultra-Orthodoxen und anderen jüdischen Fundamentalisten.

Eine zentrale Annahme des christlichen Zionismus ist, dass Gott dem jüdischen Volk das Land Israel zum ewigen uneingeschränkten und ungeteilten Besitz gegeben hat, so wie es in der Thora (fünf Bücher Moses) steht. Die Grenzen dieses Landes werden in der Bibel beschrieben und gehen über den heutigen Staat und die von ihm besetzten Palästinensergebiete hinaus: Israel soll vom Fluss Euphrat (in Syrien) bis zum "Wasser Ägyptens" reichen, wobei ungewiss ist, ob damit wirklich der Nil oder ein weiter östlich gelegener kleiner Fluss gemeint ist. Das Gebiet schließt auf jeden Fall etwa 70 Prozent von Syrien und einen großen Teil Jordaniens mit ein.

Dass Israel auch nach einer dauerhaften Annektion der besetzten Gebiete bei weitem noch nicht komplett im Sinne des biblischen Anspruchs wäre, wird heute allerdings in der Regel weder von christlichen Zionisten noch von jüdischen Fundamentalisten problematisiert. Einig sind sie sich aber darin, dass Israel kein noch so kleines Stück der besetzten Territorien wieder hergeben darf und dass auf gar keinen Fall die Bildung eines palästinensischen Staates in diesem Gebiet zugelassen werden darf. Jeder Verstoß gegen diesen Grundsatz würde, so die Annahme der Fundamentalisten beider Konfessionen, schwere göttliche Strafen auf sich ziehen. Und da Gott in der Thora den Juden geboten hat, alle früheren Einwohner des Landes Israel auszurotten oder zu vertreiben, setzten sich christliche und jüdische Ultra-Zionisten gemeinsam für den "Transfer" der arabischen Bevölkerung ein. Gemeint ist die Aussiedlung nicht nur aus den besetzten Gebieten, sondern auch aus Israel selbst, um dessen "jüdischen Charakter" für alle Zeiten sicher zu stellen.

Für viele christliche Zionisten stellt die Rückkehr der Juden ins "Land ihrer Väter" und die Gründung des Staates Israel ein zentrales Signal für den Beginn der von einigen jüdischen Propheten und in der christlichen Johannes-Apokalypse beschriebenen "Endzeit" dar, die dem Kommen des Messias und dem Jüngsten Gericht vorangehen soll. Auch darin treffen sie sich teilweise mit jüdischen Fundamentalisten.

So gibt es extreme jüdische Gruppen, die immer wieder Pläne für die Zerstörung der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, etwa durch massiven Sprengstoff-Einsatz, schmieden. Denn die Moschee steht an der Stelle des im Jahre 70 von den Römern zerstörten jüdischen Tempels, dessen Wiedererrichtung nach Ansicht jüdischer Fundamentalisten Voraussetzung für die Ankunft des Messias ist. Einige christliche Zionisten schließen sich dieser Auffassung an. Dabei kümmert sie wenig, dass es in der Johannes-Apokalypse ausdrücklich heißt, im endzeitlichen "neuen Jerusalem" werde es keinen Tempel mehr geben. Tatsächlich schätzte das frühe Christentum Kultstätten sehr gering und ging davon aus, dass die Gemeinschaft der Gläubigen der eigentliche Tempel sei.

Alle Arten von "endzeitlichen" Spekulationen erfreuen sich in den USA einer riesigen Beliebtheit, nicht nur bei streng religiösen Fundamentalisten. Mindestens zwei US-Präsidenten der letzten Jahrzehnte, nämlich der jetzt amtierende George W. Bush und Ronald Reagan (1981-89), haben aus diesem Hobby kein Geheimnis gemacht. Die große Schlacht zwischen "Guten" und "Bösen" nimmt in den apokalyptischen Konstruktionen einen zentralen Platz ein. In der Johannes-Apokalypse wird eine Belagerung Jerusalems durch nicht näher bezeichnete Staaten mit den Phantasienamen Gog und Magog beschrieben, die mit deren Vernichtung endet. Nach einer geläufigen Interpretation werden in dieser finalen Schlacht aber auch die Bewohner Israels untergehen - bis auf einen Rest von 144.000, die zum Christentum konvertieren.

Diese Deutung ergibt sich aus der Johannes-Apokalypse aber nicht zwingend. Und schon aus Rücksicht auf die Zusammenarbeit mit israelischen und anderen jüdischen Personen und Stellen hängen christliche Zionisten diesen Punkt ihrer "endzeitlichen" Spekulationen in der Regel nicht an die große Glocke. Überdies steht, was häufig ignoriert wird, in der Johannes-Apokalypse eindeutig, dass dem Krieg von Gog und Magog gegen Jerusalem zuerst das Kommen des Messias und dessen tausendjährige Herrschaft vorangehen wird.

Gemeinsamer Pionier-Mythos

Uri Avnery hat in der Diskussion über den Einfluss der amerikanischen pro-Israel-Lobby darauf hingewiesen, dass es neben wirtschaftlichen und politischen Interessen auch eine "geistige Dimension" der Sonderbeziehungen zwischen USA und Israel gibt: "An der Basis des Phänomens liegt die unheimliche Ähnlichkeit zwischen den beiden national-religiösen Geschichten: der amerikanische Mythos und der israelische. In beiden haben Pioniere, die wegen ihrer Religion verfolgt wurden, die Küsten ihres Verheißenen Landes erreicht. Sie wurden gezwungen, sich gegen die 'wilden' Einheimischen zu wehren, die sie ausrotten wollten. Sie 'erlösten' das Land, brachten die Wüste zum Blühen, schufen mit Gottes Hilfe eine blühende, demokratische und moralisch hochstehende Gesellschaft. Beide leben in einem Zustand der Leugnung und der unbewussten Schuldgefühle - drüben wegen des Genozids an den einheimischen Amerikanern und der entsetzlichen Sklaverei der Schwarzen - hier wegen der Entwurzelung des halben palästinensischen Volkes und der Unterdrückung der andern Hälfte. Hier wie dort glauben die Menschen an einen ewigen Krieg zwischen den Söhnen des Lichts und den Söhnen der Finsternis." (ZNet, 22.4.2006)

Die Affinität, von der Uri Avnery spricht, zeigt sich besonders deutlich in der Kooperation amerikanischer und israelischer, christlicher und jüdischer Fundamentalisten. Diese Zusammenarbeit war nur wenig durch die zweifellos vorhandenen theologisch-ideologischen Unterschiede getrübt, solange Israel von Politikern regiert wurde, für die ein Rückzug aus den besetzten Palästinensergebieten generell nicht in Frage kam. Der Oslo-Friedensprozess in der ersten Hälfte der 90er Jahre war für die Fundamentalisten beider Konfessionen ein Stein des Anstoßes - und beide Seiten gaben sich keine große Mühe, ihre Erleichterung über die Ermordung des sozialdemokratischen Regierungschefs Jitzchak Rabin am 4. November 1995 zu verbergen. Als Ariel Scharon sich den Anschein gab, mit den Palästinensern über einen Teilabzug aus den besetzten Gebieten verhandeln zu wollen, gab es für Amerikas christliche Zionisten immer noch die Alternative, demonstrativ den israelischen Tourismus-Minister Benny Elon zu verhätscheln, der mehrmals jährlich in die USA reiste. Denn Elon, Vorsitzender der rechtsextremen Moledet, trat öffentlich gegen Scharons Verhandlungen auf, lehnte die "Preisgabe" besetzter Gebiete ab und warb für den "Transfer" der arabischen Bevölkerung aus ganz Israel.

Heute hingegen lässt sich kaum noch verbergen, dass die christlichen Zionisten der USA in Opposition zur israelischen Regierung von Ehud Olmert stehen, die den Rückzug aus Teilen des Westjordanlands vorbereitet. Aus taktischen Gründen vermeiden vorläufig beide Seiten offene Konflikte und halten an der Zusammenarbeit fest. Für die Pläne Olmerts ist es im Übrigen nicht einmal wirklich ungünstig, dass es in den USA starke Kräfte gibt, die ihm viel zu große Nachgiebigkeit gegenüber den Palästinensern vorwerfen. Das verschiebt den ganzen amerikanischen Diskurs von vornherein weit nach rechts und stärkt Olmerts Position, wenn es künftig um das Festhalten an zentralen Siedlungen wie etwa Hebron gehen wird.

Die christlichen Zionisten der USA sind dennoch für die jetzige Regierung Israels kein bequemer Verbündeter. Und falls ein großer Teil dieses Spektrums in den kommenden Monaten wirklich seine Ankündigung realisiert, als Lobby in Washington Abgeordnete und Senatoren zu bearbeiten, sind Konflikte zu erwarten.

Dass es zwischen den Partnern des Zweckbündnisses ein erhebliches Widerspruchspotential gibt, wurde schon vor zwei Jahren im Streit um den Jesus-Film von Mel Gibson deutlich: Während christliche Fundamentalisten zu Millionen in die Kinos strömten und das Werk feierten, kritisierten viele Vertreter jüdischer Organisationen den Film als antisemitisch. Schon aus taktischen Gründen gehen aber wenige jüdische Politiker so weit wie Abraham H. Foxman, der Präsident der einflussreichen Anti-Defamation League, der in nicht sehr geschickt gewählten Worten vor einer "Christianisierung Amerikas" warnt. Gemeint ist mit diesem auf den ersten Blick verblüffenden Begriff der wachsende gesellschaftspolitische Einfluss christlicher Fundamentalisten, die in Präsident George W. Bush einen mächtigen Verbündeten haben. Die Kritik der Sprecher anderer jüdischer Organisationen an Foxmans Polemik fiel zurückhaltend aus: Einerseits will man keinen Konflikt mit der christlichen Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung eingehen. Andererseits teilen aber große Teile des jüdischen Spektrums der Vereinigten Staaten die Befürchtungen, die Foxman ausdrücken wollte. Rund 80 Prozent der amerikanischen Juden stehen, gerade in Hinblick auf die umstrittenen, von Bush hochgespielten gesellschaftspolitischen Fragen wie etwa Abtreibung und Schwulen-Ehe, den Demokraten sehr viel näher als den Republikanern.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 5.6.2006