KNUT MELLENTHIN

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"Old soldiers never die” - Das lange Sterben des Bin Laden

Nach langer Pause hat sich Bin Laden dieser Tage gleich zwei Mal zu Wort gemeldet. Pünktlich zum 11. September kündigt CNN das Erscheinen eines neuen Videos mit dem sagenumwobenen Scheich an. Wie schon in der vorigen Woche wissen auch dies Mal westliche Medien Bescheid, bevor Bin Ladens Botschaft auf einschlägigen islamistischen Internetseiten zu finden ist.

Nach Angaben der US-amerikanischen "Terrorismus-Expertin" Laura Mansfield, die das Band offenbar als eine der ersten zu sehen bekam, haben die Aufnahmen eine Länge von 47 Minuten. Die ersten 14 bis 15 Minuten zeigen ein wenig aussagekräftiges Standbild von Bin Laden. Dazu ist eine Stimme zu hören, die seiner ähneln soll und die einen der 19 mutmaßlichen Attentäter vom 11. September 2001, Abu Musab Walid al-Schehri, preist. Anschließend soll der junge Mann selbst beim Verlesen seines "Letzten Willens" zu sehen sein. Der angeblich von Bin Laden persönlich gesprochene Text lässt laut CNN keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Aufnahme zu.

Am 7. September war ein Video veröffentlicht worden, das - überwiegend gleichfalls nur von einem Standbild begleitet - einen angeblich von Bin Laden gesprochenen Text enthält, der sich in erster Linie direkt an die Bevölkerung der USA wendet. Die Ansprache endet mit einem Aufruf, sich dem Islam anzuschließen. Unter anderem trägt der Redner das nicht unwitzige Argument vor, der Islam kenne keine Steuern, sondern nur eine maßvolle gemeinnützige Abgabe in Höhe von 2,5 Prozent des Einkommens.

Dass Bin Ladens Bart in den jetzt veröffentlichten Aufnahmen kürzer erscheint als früher und dass er anscheinend völlig schwarz ist, während er schon vor Jahren kräftige graue Strähnen zeigte, regte einige Kommentatoren zu unfurchtbaren Überlegungen an. Interessanter ist, dass die Bilder zu schlecht sind, um Schlüsse auf eine mögliche Ähnlichkeit mit Bin Laden zu erlauben. Authentische alte Nahaufnahmen, wie sie beispielsweise am 11. September 2007 in der Londoner Times zu sehen waren, zeigen lebendige, lustige Augen und einen leicht ironisch lächelnden Mund. Beides sehr auffällige Gesichtsmerkmale, die auf Allen in den letzten Jahren veröffentlichten Bildern fehlen. Diese sind durchweg aus größerer Entfernung aufgenommen und unscharf; die Augenpartien erscheinen nur als dunkle Flecken.

Amerikanische Geheimdienste und Regierungsbeamte hatten vor einigen Monaten begonnen, das Publikum an den Gedanken zu gewöhnen, dass der "Terrorscheich", dessen Name mit absoluter Sicherheit Assoziationen zum 11. September 2001 auslöst, vielleicht gar nicht mehr unter den Lebenden sein könnte. Zumindest aber habe er wahrscheinlich längst das Szepter an seinen ägyptischen Stellvertreter Aiman al-Zawahiri abgeben müssen. Der Ägypter hat in den vergangenen zwei Jahren rund 30 Erklärungen veröffentlicht, rechnete die Washington Post am 9. September zusammen. Das letzte Video Bin Ladens hingegen stammt aus dem Jahr 2004, wie jetzt allgemein betont wird. Ganz exakt ist das nicht, denn immerhin gab es im Januar und April 2006 zwei Audios, auf denen angeblich der Scheich zu hören war. Als Lebenszeichen sind diese Bänder nicht weniger wert als die dieser Tage veröffentlichten Videos, die im Grunde auch nur bebilderte Tonaufnahmen sind. Genau gesprochen: Die einen sind so wenig beweiskräftig wie die anderen.

In dem am 29. Oktober 2004 veröffentlichten Video. das von extrem schlechter Bildqualität war, hatte der Sprecher die wenige Tage später anstehende amerikanische Wahl kommentiert. Präsident George W. Bush versuchte, anscheinend mit Erfolg, den Text als Drohung an das amerikanische Volk für den Fall seiner Wiederwahl und damit als indirekte Unterstützung seines demokratischen Kontrahenten John F. Kerry auszuschlachten.

Schon vor diesem Band hatte es lange Pausen gegeben, in denen sich der Scheich nicht blicken ließ. Am 10. September 2003 war "erstmals seit fast zwei Jahren", wie es in den Medien hieß, ein Filmzusammenschnitt veröffentlicht worden, der Bin Laden unter anderem bei einer Bergwanderung gemeinsam mit Zawahiri zeigte. Das Video ließ aber keine Rückschlüsse auf das Alter der Aufnahmen zu.

Tatsächlich wurde das letzte vermutlich authentische Video Bin Ladens Ende Dezember 2001, kurz nach den Kämpfen um das angebliche al-Kaida-Hauptquartier in Tora Bora, von al-Jazeera veröffentlicht. Der Kontext von Bin Ladens Äußerungen deutete darauf hin, dass sie schon Anfang Dezember aufgenommen worden waren. Was seit dieser Zeit unter dem Namen des Scheichs publiziert wurde, deutet lediglich auf das Interesse unterschiedlicher Seiten hin, ihn künstlich am Leben zu erhalten. Sei es durch nicht eindeutig zu identifizierende Tonaufnahmen oder durch bunte Zusammenschnitte von altem Filmmaterial, über das vermutlich die Amerikaner mindestens ebenso reichlich verfügen wie die Gegenseite.

"Old soldiers never die, they simply fade away", lautet eine ironische englische Redensart. Alte Soldaten sterben nicht, sondern sie schwinden einfach dahin. So geht es offenbar auch Bin Laden. Richtig und offiziell sterben darf er nicht so schnell. Als Mythos muss er beiden Seiten noch eine Weile lang dienen. Aber er schwindet dahin, seine "Lebenszeichen" werden immer seltener und schwächer, die in seinem Namen verkündeten Aussagen entfernen sich immer weiter von den zahlreichen Texten, die vor dem 11. September 2001 von Bin Laden verfasst wurden. Bis zu seinem letzten Video-Auftritt im Dezember 2001 hatte der Scheich von diesem Medium einen geradezu verschwenderischen und nicht eben uneitlen Gebrauch gemacht. Warum sollte er seither darauf verzichten, zumal Videos verhältnismäßig leicht herzustellen sind, wenn auch vielleicht unter den gewandelten Umständen nicht in so perfekter Form wie einige von Bin Ladens alten Propagandafilmen.

Vieles spricht dafür, dass Bin Laden schon im Dezember 2001 ums Leben gekommen ist. Mangels anderer glaubwürdiger Schilderungen von Bin Ladens Ende könnte stimmen, was die englischsprachige pakistanische Zeitung "Observer" damals unter Berufung auf einen nicht näher bezeichneten Taliban-Sprecher berichtete: Bin Laden, der an einer schweren Lungenkrankheit gelitten habe, sei Mitte Dezember, während der amerikanischen Angriffe auf das Berggebiet von Tora Bora, aus Mangel an medizinischen Behandlungsmöglichkeiten gestorben. Etwa 30 Menschen - enge Kampfgefährten, Familienmitglieder und einige afghanische Freunde - seien bei seinem Begräbnis dabei gewesen. "Bin Laden war zufrieden, dass er nicht umsonst starb. Er hatte das Gefühl, den Moslems die hegemonistischen Pläne und die Verschwörungen der Ungläubigen gegen den Islam bewusst gemacht zu haben", zitierte die pakistanische Zeitung ihre Quelle.

Knut Mellenthin, 11. September 2007

Veröffentlicht auf www.hintergrund.de

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