KNUT MELLENTHIN

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Blutige Rekorde

Die Verluste der westlichen Kriegskoalition in Afghanistan steigen steil an. US-Militärs: Es kommt noch schlimmer.

Die NATO-Besatzungstruppen in Afghanistan stehen vor ihrem bisher härtesten Jahr. Im vergangenen Monat wurde ein neuer blutiger „Rekord“ registriert: 44 Soldaten kamen ums Leben, weit mehr als in irgendeinem Januar seit Kriegsbeginn. Im Vorjahr starben in dieser Zeit 25 Soldaten. Das stellte bereits nahezu eine Verdoppelung gegenüber 2008 dar. Unter den 44 Toten sind 29 US-Amerikaner; im Januar 2009 waren es 14 oder 15 gewesen. Die Zahl der toten US-Soldaten in diesem Januar lag über dem „Rekordmonat“ des Jahres 2008, dem Juli mit 28 toten Amerikanern.

Im Winter sind die Verluste der internationalen Truppen wegen der Verringerung der Kampftätigkeit deutlich niedriger als im Rest des Jahres. Die höchsten Verluste gibt es von Juli bis September. Im Sommer 2009 starben in Afghanistan zwischen 70 und 77 Besatzungssoldaten pro Monat.

Insgesamt verlor die von den USA geführte Koalition in Afghanistan oder im Zusammenhang mit diesem Krieg seit 2001 nach einer ständigen Zählung des Senders CNN rund 1600 Soldaten durch Tod. 965 von ihnen waren US-Amerikaner, 251 Briten, 139 Kanadier, 39 Franzosen, 32 Deutsche, 29 Dänen, 27 Spanier, 22 Italiener, 21 Niederländer und 16 Polen. Diese Zahlen enthalten auch die durch Unfälle, Krankheit oder Selbstmord ums Leben Gekommen. Darüber hinaus wurden fast 5000 US-Soldaten im Einsatz verletzt. Über die Hälfte von ihnen kehrten nicht wieder an die Front zurück.

Die Gesamtverluste der Koalition sind trotzdem in Afghanistan immer noch sehr viel niedriger als im Irak. Dort starben seit 2003 rund 4700 Besatzungssoldaten, darunter 4380 US-Amerikaner. Fast 32.000 US-Soldaten wurden im Einsatz verletzt. Während die Zahl der toten und verletzten Soldaten pro Jahr im Irak seit 2008 rückläufig ist, steigt sie in Afghanistan seit 2005 kontinuierlich steil an. Im Jahr 2009 waren die Verluste der westlichen Kriegskoalition in Afghanistan (520 Tote) erstmals höher als im Irak (150 Tote). Großbritannien hat in Afghanistan schon jetzt mehr Soldaten durch Tod verloren (251) als im Irak (179). In Kürze wird die Zahl der britischen Toten des Krieges um die Malvinas (Falkland-Inseln) von 1982 überschritten werden: sie lag bei 258.

Wesentliche Gründe für die Zunahme der Verluste in Afghanistan sind die Ausdehnung der Kampftätigkeit beider Seiten und die sprunghafte Aufstockung der Besatzungstruppen. Zur Zeit hat die westliche Kriegskoalition etwa 113.000 Soldaten in Afghanistan stationiert. Bis zum August sollen weitere 40.000, hauptsächlich US-Amerikaner, hinzukommen. Wichtigste Waffe der Aufständischen sind nach wie vor „improvisierte Sprengsätze“, hauptsächlich Straßenminen, von der NATO als IEDs bezeichnet. Die Zahl der durch IEDs verursachten Zwischenfälle lag 2009 um 120 Prozent über der des Vorjahres. Gleichzeitig gelang es den Aufständischen, die Wirksamkeit der Sprengsätze erheblich zu erhöhen. Von den 520 Besatzungssoldaten, die 2009 in Afghanistan starben, wurden 448 im Einsatz getötet, davon 280 durch IEDs.

Im laufenden Jahr erwarten die führenden US-Militärs einen weiteren Anstieg der Verluste. General David Petraeus, der Chef des für Afghanistan ebenso wie für Irak zuständigen Central Command der US-Streitkräfte, hat die Parole ausgegeben, dass es erst schlimmer werden müsse, bevor es besser werden könne. Das sei im Irak auch so gewesen. Petraeus will sich aber nicht darauf festlegen, dass die Verluste der Kriegskoalition in Afghanistan schon im nächsten Jahr sinken oder zumindest weniger stark steigen werden. Eine solche Voraussage wäre „voreilig“, sagte er der Londoner Times in einem am 25. Januar veröffentlichten Interview.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 2. Februar 2010