KNUT MELLENTHIN

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Denn sie wissen nicht, was sie tun?

„Es kann nicht bestritten werden, dass die internationale Gemeinschaft anfangs das Ausmaß dieser Herausforderung unterschätzte“, stellte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen einen Tag vor der Afghanistan-Konferenz in Kabul fest. Eine vergleichbare Aussage der SPD- und Grünen-Politiker, die Deutschland vor bald neun Jahren in diesen Krieg hineinführten, fehlt bisher ebenso wie eine selbstkritische Bilanz der Unions- und FDP-Politiker, die den militärischen Kampf so lange fortsetzen wollen, bis die US-Regierung definitiv das Signal zur Beendigung des blutigen und sündhaft teuren „Engagements“ gibt.

Als der deutsche Bundestag im Dezember 2001 erstmals Soldaten nach Afghanistan schickte, war von nichts anderem als der „Unterstützung der afghanischen Staatsorgane bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung“ die Rede. Die Obergrenze des deutschen Kontingents wurde auf 1200 festgelegt. Zur Zeit liegt sie bei 5300. Eine Allparteienkoalition, an der sich nur die Linke nie beteiligte, hat Jahr für Jahr das Mandat verlängert und oft gleich noch eine neue Eskalationsstufe abgesegnet.

Die meisten Bundestagsabgeordneten sind oberflächlich, gleichgültig, denkfaul und korrumpiert. Parteipolitische Spielchen und das eigene Vorankommen sind ihnen wichtiger als ethische Verantwortung. Zivilcourage nötigenfalls auch gegen den Kurs ihrer eigenen Partei ist nicht ihre Sache. Daher kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass viele Parlamentarier zu Anfang wirklich nicht begriffen und auch gar nicht wissen wollten, in was für ein unkontrollierbar langes und riskantes Militärabenteuer sie unser Land führten. Angesichts vieler ernsthafter Warnungen, die sich sowohl auf die mehrtausendjährige Geschichte Afghanistans als auch die jüngste Vergangenheit des Landes seit Beginn der sowjetischen Intervention stützten, scheint es allerdings nicht ausreichend, das Verhalten von Union, SPD, Grünen und FDP nur mit buchstäblich gnadenloser Selbstherrlichkeit und Ignoranz zu erklären. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass Deutschland von den herrschenden Politikern schrittweise, aber systematisch in einen sich immer mehr ausweitenden Krieg hineingelogen wurde, der bei der Mehrheit der Bevölkerung von Anfang an unpopulär war.

Nach dem gleichen Verfahren lassen die herrschenden Politiker heute die Bevölkerung im Unklaren, wohin die von Deutschland mitgetragene Kampagne gegen den Iran führen soll und wird. Die Sanktionen werden Iran selbst auf lange Sicht nicht in die Knie zwingen. Sie können nur dazu dienen, ein Klima der Isolierung und Dämonisierung zu schaffen, das den Weg zur „ultima ratio“, zur Anwendung militärischer Zwangsmittel, frei macht. Das Ergebnis beschreiben selbst US-Generäle als „Katastrophe“ für die Region, wenn nicht für die Welt insgesamt. Nur deutsche Politiker wissen wieder einmal von gar nichts.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 21. Juli 2010