KNUT MELLENTHIN

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Schutzgeld an die Taliban?

Der italienische Geheimdienst soll afghanischen Aufständischen mehrere zehntausend Dollar Schutzgeld gezahlt haben, um sie von Angriffen auf italienische Truppen abzuhalten. Das behauptete die britische Times am Donnerstag unter Berufung auf anonyme NATO-Insider.

Nach den Angaben des Blattes sei dies auch der Hintergrund einer der schwersten Niederlagen der internationalen Interventionstruppen. Am 18. August 2008 war eine französische Einheit in der Nähe ihres Stützpunktes Surobi in der Provinz Kabul in einen Hinterhalt geraten, wobei zehn Soldaten von den Angreifern getötet wurden. Die Franzosen hatten Surobi wenige Wochen zuvor von den Italienern übernommen, die sie – laut Times – nicht über ihre Abmachungen mit den Aufständischen informiert hätten. Die Franzosen hätten im Vertrauen darauf, dass die Italiener zuvor kaum angegriffen worden waren, angenommen, dass die Gegend sicher sei, und sich unvorsichtig verhalten. Tatsächlich war laut damaligen Berichten die überfallene französische Einheit viel zu schwach ausgerüstet gewesen.

Die italienische Regierung von Silvio Berlusconi dementierte den britischen Bericht umgehend: Sie habe niemals irgendwelche Zahlungen an die Taliban autorisiert oder ihnen zugestimmt. Sie habe auch keine Kenntnisse, dass so etwas unter ihrer Vorgängerin, die von Romano Prodi geführt wurde, passiert sei.

Die italienische Reaktion war verdächtig schnell. Berlusconi war erst am 8. Mai 2008 wieder Regierungschef geworden. Falls es wirklich Abmachungen zwischen den Italienern und einzelnen Taliban-Führern gegeben haben sollte, so dürfte das mit einiger Wahrscheinlichkeit noch vor dem Amtsantritt Berlusconis gewesen sein. Die Aussagen der jetzigen Regierung haben also wenig Gewicht und zeigen nur, wie eilig man es in Rom hat. Verteidigungsminister Ignazio La Russa gab eine Erklärung ab, die inhaltliche Dürftigkeit mit empörtem Pathos kombinierte: Die Behauptung der Times sei „eine Beleidigung für unsere Toten und für unsere Soldaten“. Das britische Blatt sei „anti-italienisch“ eingestellt, und es handle sich um eine der vielen Verleumdungen, die von der ausländischen Presse verbreitet werden, „um Italien schlecht zu machen“.

Ein Dementi kam auch vom Sprecher der französischen Streitkräfte in Afghanistan. Admiral Christophe Prazuck bezeichnete den Artikel der Times als „substanzlos“. Es handele sich um Vorwürfe, die man schon früher gehört habe und die niemals eine Bestätigung gefunden hätten. Für eine italienische Mitschuld am Tod der zehn französischen Soldaten gebe es keine Anhaltspunkte. Auch der Sprecher der Interventionskräfte in Afghanistan, Eric Tremblay, gab vor der Presse an, über die von der Times behaupteten Vorgänge nichts zu wissen. Er gab den Vorwurf auch gleich weiter: Es sei viel öfter vorgekommen, dass die afghanische Regierung solche Geschäfte mit örtlichen Aufständischen gemacht habe.

Die italienische Tageszeitung La Repubblica hingegen zitierte anonyme afghanische Insiderquellen mit der Aussage, viele NATO-Länder würden sich durch solche Schutzgeldzahlungen Ruhe in ihrem Stationierungsgebiet erkaufen. Unter diesen sei auch Italien. Die französische Nachrichtenagentur AFP zitierte einen nicht namentlich genannten afghanischen Funktionär mit der Behauptung, er wisse sicher, dass die Italiener in Surobi solche Zahlungen geleistet hätten. Außer den US-Amerikanern und Briten würden das alle so machen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 16. Oktober 2009