KNUT MELLENTHIN

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Vorteil China

Im Kräftemessen um eine Inselgruppe werden Widersprüche zwischen Washington und Tokio erkennbar.

Die erste Runde ging an China: Die US-Regierung hat den Fluggesellschaften ihres Landes dringend empfohlen, die Luftverteidigungs-Identifizierungszone der Volksrepublik über dem Ostchinesischen Meer zu respektieren. Diese Entscheidung wurde am Freitag offiziell bekanntgegeben, war den Unternehmen aber angeblich schon am Mittwoch mitgeteilt worden. Damit halten gegenwärtig nur noch Japan und Südkorea daran fest, ihre Fluggesellschaften zur Missachtung der Zone zu nötigen und damit die Passagiere erheblichen Risiken auszusetzen. Die meisten ausländischen Gesellschaften, dem Vernehmen nach auch die australische Quantas, hatten sich den neuen chinesischen Anweisungen von vornherein gefügt. Auch die beiden größten japanischen Luftfahrunternehmen hatten sich mehrere Tage lang daran gehalten, bis ihnen das von ihrer Regierung untersagt wurde.

China hatte am Sonnabend vor einer Woche, am 23. Oktober, mit sofortiger Wirkung eine sogenannte Air Defense Identification Zone (ADIZ) über dem Meer zwischen seinem Festland, Japan, Südkorea und der Insel Taiwan eingerichtet. Ausländische Zivil- und Militärmaschinen, die diese Zone durchfliegen wollen, sind aufgefordert, mit den chinesischen Stellen zu kooperieren. Im Wesentlichen bedeutet das, dass sie sich beim Einflug in die ADIZ identifizieren, ihren beabsichtigten Kurs angeben und regelmäßig ihre Position mitteilen. Es handelt sich um eine Maßnahme zur Erhöhung der Flugsicherheit, aber auch zur Früherkennung eines möglichen Angriffs. Mit einem Anspruch auf den betreffenden Luftraum hat das an sich nichts zu tun.

China ist das letzte Land der Region, das eine ADIZ eingerichtet hat. Japan, Südkorea und auch die Separatisteninsel Taiwan besitzen solche Zonen über dem Meer außerhalb ihrer Hoheitsgewässer schon längst. Für China, das eine Küstenlinie von rund 14.500 Kilometer aufweist, ist es die erste ADIZ überhaupt. Sie deckt nur etwa ein Siebtel der chinesischen Seegrenze ab. Peking hat bereits angekündigt, zu gegebener Zeit, wenn die technischen Voraussetzung geschaffen sind und solche Schritte sinnvoll erscheinen, weitere Identifizierungszonen zu schaffen.

Die politische, militärische und wirtschaftliche Brisanz der aktuellen Maßnahme ergibt sich daraus, dass sie eine umstrittene Gruppe winzig kleiner, unbewohnter Inseln einbezieht, die gleichermaßen von Japan, China und auch Taiwan beansprucht wird. Die Gruppe wird in der Volksrepublik Diaoyu-Inseln genannt, in Japan Senkaku-Inseln. Sie wurde schon im 14. Jahrhundert von chinesischen Seefahrern entdeckt und ist auf vielen alten Karten als Teil Chinas eingezeichnet. Japan annektierte die Inseln 1895 während eines Eroberungskriegs gegen China und behauptete, es handele sich um „terra nullius“, Land ohne staatlichen Eigentümer. Die USA, die die Inseln nach Ende des zweiten Weltkriegs besetzten, übergaben sie 1972 - in Widerspruch zu den Beschlüssen der Alliierten auf der Potsdamer Konferenz 1945 - an Japan.

Nördlich der Inseln liegt das unterseeische Erdgasfeld Chunxiao, dessen Reserven als sehr bedeutend eingeschätzt werden. Mehr als auf Indizien gestützte Vermutungen gibt es zu seinem Umfang allerdings bisher nicht. Vor allem die ungeklärte Rechtslage, aber daneben auch technische Probleme haben bisher nicht nur eine Ausbeutung des Vorkommens, sondern auch seine Erforschung verhindert. Versuche der Regierungen in Peking und Tokio, sich über eine Zusammenarbeit zu verständigen, kamen über Grundsatzvereinbarungen und Absichtserklärungen nicht hinaus. Tokio stellt sich traditionell auf den Standpunkt, dass es in diesem Raum überhaupt keinen Territorialstreit gebe, da die Zugehörigkeit der Inseln zu Japan absolut eindeutig und kein Thema für zwischenstaatliche Diskussionen sei.

Japan wird in seiner arroganten Verweigerungshaltung traditionell von den USA unterstützt. Zwar behaupten alle US-Regierungen, sie würden sich im Streit um die Zugehörigkeit der Inselgruppe neutral verhalten. Tatsächlich hat Washington aber mehrfach unmissverständlich und drohend erklärt, dass sich seine militärische Beistandspflicht für Japan auch auf die Diaoyu-Senkaku-Inseln erstreckt. Die USA reagierten denn auch auf die Einrichtung der chinesischen ADIZ mit provokatorischen Militärflügen über der Zone, ebenso wie übrigens auch Japan und in dessen Gefolge Südkorea.

China hat sich ausdrücklich vorbehalten, auf Missachtungen seiner Identifizierungszone mit Gegenmaßnahmen zu reagieren. Dabei ist jedoch klar – und wurde in regierungsnahen Medien auch offen ausgesprochen -, dass man die Militärflüge der USA tolerieren will und auch japanische Maschinen wahrscheinlich nicht angreifen wird. Dagegen wurde angedeutet, dass die chinesische Luftwaffe ihrerseits Flüge in der japanischen ADIZ durchführen könnte, falls Tokio seine Provokationen fortsetzt. Die Empfehlung Washingtons an die zivilen Fluggesellschaften, Chinas ADIZ zu respektieren, lässt eine Differenzierung zwischen den herrschenden Kreisen der USA und Japan erkennen. Damit hätte China ein erstes Etappenziel erreicht.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 3. Dezember 2013