KNUT MELLENTHIN

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Berlin im Nebel

Finanzierte Deutschland die Ausbildung somalischer Söldner für das äthiopische Militär?

925 Somalis, deren Ausbildung im äthiopischen Militärlager Hurso die deutsche Regierung mit rund 770.000 Euro finanziert hatte, bleiben weiterhin „verschwunden“. Entsprechende Informationen aus „Diplomatenkreisen in Kenia“ hat das Bundesaußenministerium inzwischen indirekt bestätigt. In einer Stellungnahme des Amtes heißt es, die Somalis seien nach Abschluss des Trainings im Mai 2010 „unter äthiopischer Verantwortung nach Somalia transportiert“ worden. „Den weiteren Verlauf der Eingliederung in die somalische Polizei wird die Bundesregierung gegenüber der äthiopischen Regierung und der somalischen Übergangsregierung konsequent nachverfolgen.“ Anders ausgedrückt: Berlin tappt hinsichtlich des aktuellen Aufenthalts der 925 und ihrer jetzigen Tätigkeit immer noch im Nebel.

Von einer wirklichen Überraschung kann man indessen nicht sprechen. Die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP hatte nämlich schon am 28. April böse Vorahnungen geäußert: „Ein von Deutschland finanzierter Trainingskurs für 900 somalische Polizisten endete kürzlich in Äthiopien (…), aber es wird befürchtet, dass die Auszubildenden desertieren werden, weil für die Bezahlung ihrer Gehälter keine Vorkehrungen getroffen wurden.“ - Gleichzeitig berichtete die Agentur, dass von rund 2000 somalischen Soldaten, die 2009 in Dschibuti und Uganda auf Kosten der USA ausgebildet wurden, ungefähr die Hälfte desertiert seien, weil ihnen der Sold nicht ausgezahlt wurde.

Das Thema ist nicht neu: Der Vorsitzende der Überwachungsgruppe des UN-Sicherheitsrates für Somalia, der Südafrikaner Dumisani Kumalo, hatte im Dezember 2008 erstaunliche Zahlen vorgelegt. Da hieß es zum Beispiel: „Die äthiopische Regierung informierte die Überwachungsgruppe im Oktober 2008, dass sie 17.000 Personen für die somalischen Sicherheitskräfte ausgebildet habe. (…) Äthiopien nimmt an, dass von dieser Gesamtsumme nur noch weniger als 3000 im Dienst sind. (…) Da die meisten Soldaten, die desertieren oder überlaufen, ihre Waffen und Uniformen mitnehmen, bedeutet das ungefähr 14.000 Waffen, die neu auf somalisches Gebiet gekommen sind.“

Im Fall der 925 „verschwundenen Polizisten“ ist indessen keineswegs sicher, dass sie wirklich desertiert sind. Nach jüngsten Berichten sollen sie „sich im äthiopisch-somalischen Grenzgebiet aufhalten“. Diese Umschreibung erfordert eine kurze Erklärung: Das äthiopische Militär griff in den Jahren 2006 bis 2008 massiv in den somalischen Bürgerkrieg ein. Das führte unter anderem dazu, dass große Teile der Hauptstadt Mogadischu in Trümmer gelegt wurden und dass mehr als die Hälfte der Bewohner aus der Stadt flüchten musste. Ein weiteres Ergebnis war ein enormer Zulauf für die Islamisten, die sich zur stärksten Kraft des Landes entwickelten. Im Januar 2009 zogen sich die äthiopischen Streitkräfte aus Somalia zurück.

Der Abzug war indessen nicht vollständig. Im zentralsomalischen Grenzgebiet tauchen immer wieder äthiopische Truppen auf, die zusammen mit ihnen ergebenen und von ihnen kommandierten somalischen Einheiten operieren. Schwerpunkt dieser militärischen Aktivitäten ist die Region Hiiran mit der Hauptstadt Beledweyn. In Deutschland ist sie bekannter unter dem Namen Belet Huen, seit dort 1993-94 das deutsche Kontingent einer UNO-“Friedenstruppe“ einquartiert war. Frühere Berichte deuten darauf hin, dass die 925 „Verschwundenen“ nicht die ersten Somalis sind, die in Äthiopien auf Kosten der USA und europäischer Staaten ausgebildet wurden, um dann dem äthiopischen Militär als Söldner zu dienen. Ob das wirklich ganz ohne Wissen der beteiligten westlichen Regierungen geschah, bleibt vorerst eine offene Frage.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 2. August 2010