KNUT MELLENTHIN

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"Hoher Zuspruch"

Bundeswehr sonnt sich im Lob afghanischer Machthaber für das Kundus-Massaker

In einem Kabinettsbeschluss der Bundesregierung vom 16. November 2009 heißt es, nach einer Klage über Korruption und Willkür afghanischer Behörden: „Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane und Justiz mindern die Legitimität der afghanischen Regierung zusätzlich.“ All das stärkt, so steht dort ebenfalls, die Aufständischen.

Das ist so banal wie richtig. Counterinsurgency für Anfänger. Aber was sagt uns das über den Beifall afghanischer Regierungsbeamter und örtlicher Machthaber für das Massaker von Kundus, der sich zum Teil explizit auch auf die Tötung von Jugendlichen und Kindern bezieht? Bisher haben die Bundesregierung und die Bundeswehr den Applaus ihrer Kollaborateure ungeniert unter der Rubrik verbucht: „Unser Vorgehen wird von den Afghanen begrüßt“. Als Verbündete sind offenbar Leute willkommen, die ohne Rücksicht auf Recht und Menschlichkeit Krieg gegen Teile der Bevölkerung führen wollen – und die vielfach eine blutige Vergangenheit aus der Zeit des afghanischen Bürgerkriegs haben. Aus einigen Teilen Afghanistans liegen bereits Berichte vor, dass die örtliche Bevölkerung die „eigenen“ Streitkräfte mehr fürchtet als die NATO-Truppen oder die Taliban.

Der von der Bundesregierung immer noch geheim gehaltene „Feldjäger-Bericht“, der seit Montag zumindest teilweise im Internet zu lesen ist (http://88.80.16.63/leak/de-isaf-cas-kunduz-sep09.pdf), bietet aufschlussreiche Einblicke in die Vorstellungen dieser einheimischen Stützen der NATO-Besatzungsherrschaft.

Beispielsweise heißt es über ein Auswertungsgespräch, das die deutschen Ermittler am 5. September mit den Distriktchefs von Chahar Darreh und Aliabad führten: „Es werden dabei keinerlei Vorwürfe gegen ISAF hinsichtlich des Bombenabwurfs vorgebracht, im Gegenteil wird ein hartes und robustes Vorgehen von ISAF, ANA und ANP gegen die INS in der Region als längst überfällig bezeichnet und daher sehr begrüßt.“ (INS: Aufständische; ANA: Afghanische Armee; ANP: Afghanische Polizei)

Über ein wenig später am selben Tag geführtes Gespräch mit drei Provinzräten aus Kundus steht im „Feldjäger-Bericht“: „Die Räte weisen darauf hin, dass sich die Sicherheitslage in KDZ in den letzten 3-4 Jahren drastisch verschlechtert hätte und das schwache Eingreifen von ISAF, ANA und ANP die Bevölkerung in die Hände der bald übermächtigen Aufständischen getrieben würde. (Anm.: Fehler so im Bericht) Übereinstimmend bezeichnen sie diese nächtliche ISAF-Operation als genau die richtige Antwort gegenüber den INS zur richtigen Zeit und am richtigen Ort. Die Toten aus den umliegenden Ortschaften werden mit einer Gesamtzahl von 73 angegeben und diese werden übereinstimmend alle als INS (auch die Kinder und Heranwachsenden unter den Toten) bezeichnet. Keiner würde Vorwürfe gegen ISAF erheben, ganz im Gegenteil wäre man froh, wenn man von dieser Geißel Gottes befreit werden könnte.“ (KDZ: Kundus)

Aus den Protokollnotizen der Ermittler zu diesem Gespräch geht überdies hervor, dass mindestens einer der drei Provinzräte die beim Bombenabwurf getöteten „Aufständischen“ hauptsächlich mit einem bestimmten Stamm oder Clan identifizierte, den er offenbar pauschal, einschließlich der Kinder, als „Feind“ betrachtete.

Auch der Leiter der von Präsident Hamid Karsai aus Kabul entsandten „Untersuchungskommission“ teilte nach knapp dreistündiger Anwesenheit vor Ort im Gespräch mit den Deutschen die bis dahin gehörten Kommentare: „Die eigenen Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, aber ein Zwischenfazit sei bereits möglich: (…) Alle Getöteten müssen INS gewesen sein, da der Ort von bewohntem Gebiet entfernt liege und die Gegend um diese Uhrzeit gefährlich sei. Den Ausführungen der Provinzräte wird ansonsten voll zugestimmt.“

Wie Spiegel Online am Mittwoch meldete, stammte die Empfehlung an die Deutschen, sich afghanische Zustimmungserklärungen einzuholen, von Mike Flynn, dem Geheimdienstchef des US-amerikanischen Oberkommandierenden in Afghanistan, Stanley McChrystal. „Das Wichtigste ist, dass lokale Stellen den Vorwurf widerlegen, es habe zivile Opfer gegeben“, soll Flynn bei einer Telefon-Konferenz mit deutschen Militärs geraten haben, die am 4. September wenige Stunden nach dem Luftangriff stattfand.

Brigadegeneral Vollmer, der Chef der Bundeswehrtruppen in Nordafghanistan, führte daraufhin laut Spiegel eine Reihe von Gesprächen, zunächst mit dem Gouverneur und dem Polizeichef der Provinz Kundus, anschließend auch mit den Bezirkschefs von Chahar Darreh und Aliabad.

Die Angesprochenen reagierten auf die Aufforderung, sich mit dem Vorgehen der Bundeswehr öffentlich zu solidarisieren, vielleicht etwas zu übereifrig, aber höchstwahrscheinlich nicht gegen ihre eigene Überzeugung. Provinzchef Mohammad Omar erklärte der britischen Nachrichtenagentur Reuters am 5. September: „Die Dorfbewohner haben den Preis dafür bezahlt, dass sie den Aufständischen helfen und ihnen Unterschlupf gewähren.“ - Der Vorsitzende des Provinzrates, Ahmadullah Wardak, äußerte seine Genugtuung über das Massaker im Gespräch mit McChrystal: „Wenn wir mehr solche Operationen wie diese durchführen, wird die Stabilität nach Kundus kommen. Wenn Leute nicht in Frieden und Harmonie leben wollen, ist das nicht unsere Schuld.“ (Washington Post, 6.9.)

Fazit im „Feldjäger-Bericht“: Wegen der „durchgeführten Maßnahme“ - gemeint ist die Tötung von mindestens 140 Menschen bei dem Luftangriff – habe es „von afghanischer Seite“ nicht nur keine Vorwürfe, sondern „hohen Zuspruch vor allem bei den verschiedenen afghanischen Repräsentanten aus Kabul und Kundus“ gegeben. „Es sollte daher intensiv untersucht werden, ob und gegebenenfalls wie dies für die künftige Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften und mit der Bevölkerung genutzt werden kann.“

Knut Mellenthin

Junge Welt, 17. Dezember 2009