KNUT MELLENTHIN

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WikiLeaks-Opfer

Die Veröffentlichung von diplomatischen Depeschen aus dem WikiLeaks-Fundus hat, einem Bericht der Welt zufolge, erstmals zwei deutsche Manager um den Job gebracht. Ihre Namen tauchen mehrfach in geheimen Dokumenten auf, die von der konservativen norwegischen Tageszeitung Aftenposten am 3. Januar unredigiert ins Netz gestellt worden waren. Wie das Blatt, das nicht zu den von WikiLeaks-Chef Julian Assange begünstigten Zeitungen gehört, an das Material gekommen ist, wurde bisher nicht verraten. Inzwischen folgen die Norweger der Praxis der anderen fünf Medien, die Namen von Informanten der US-Botschaften unkenntlich zu machen.

Für Thomas Walati, bisher Abteilungsdirektor bei Astrium Friedrichshafen, und Berry Smutny, bisher Vorstandsvorsitzender der Bremer OHB-System AG, kommt diese Maßnahme jedoch zu spät. Beide hatten wiederholt die amerikanische Botschaft in Berlin zu langen Gesprächen aufgesucht, die anscheinend mit ihren Loyalitäten und ihrer Verschwiegenheitspflicht nicht immer in hundertprozentiger Übereinstimmung standen. Walati, hinter dessen Namen in den Depeschen mehrmals Bemerkungen wie „strictly protect“ (strengstens schützen) stehen, hatte einem Bericht vom 10. September 2009 zufolge sogar eine interne Email in die Botschaft mitgebracht, zu deren Weitergabe er vermutlich nicht berechtigt war. So steht es zumindest in der Depesche. Die Welt meldete am Dienstag, dass Walati jetzt nicht mehr für Astrium, das zum deutsch-französisch-spanischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS gehört, tätig ist.

Der zweite Geschasste, Berry Smutny, hatte den Vorstandsvorsitz beim größten deutschen Satellitenhersteller OHB erst zum 1. Juli 2009 übernommen. Das Familienunternehmen, an dessen Spitze das Ehepaar Manfred und Christa Fuchs sowie deren Sohn Marco stehen, hatte Smutny von der Tesat-Spacecom abgeworben, die dem schärfsten OHB-Konkurrenten Astrium gehört. Abgesehen von seinen Insider-Kenntnissen versprach die Familie Fuchs sich von dem neuen Mann offenbar einen kräftigen Anschub bei der Ausweitung ihrer Auslandsgeschäfte, vor allem in den USA.

Die in den Depeschen kolportierten angeblichen Äußerungen, die Smutny jetzt zum Verhängnis wurden, hat er alle mit einer eidesstattlichen Erklärung bestritten. Unter anderem soll er, so steht es in einem vertraulichen Botschaftsbericht vom 22. Oktober 2009, das europäische Satellitensystem Galileo als „Verschwendung von Geldern der EU-Steuerzahler“ und „dumme Idee, die hauptsächlich französischen Interessen dient“ bezeichnet haben. OHB ist nicht nur am Galileo-Projekt beteiligt, sondern hat sich sogar den Löwenanteil gesichert. Tatsächlich werden die Kosten von Galileo sehr viel höher ausfallen als anfangs veranschlagt. Die EU versucht das aufzufangen, indem sie die Zahl der geplanten Satelliten von 30 auf 22 gesenkt hat. Mindestens 14 davon soll OHB bauen, heißt es in einem Botschaftsbericht.

Ebenfalls am Dienstag meldete die Welt „in eigener Sache“, dass sie dank einer Kooperation mit Aftenposten nun ebenfalls Zugriff auf das gesamte Depeschenmaterial von WikiLeaks hat. Springers rechtes Flaggschiff hat zwar bereits mit Enthüllungsartikeln begonnen, aber bisher noch keine Originaldokumente veröffentlicht.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 20. Januar 2011