KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Die Jubilarin ist schon gegangen

Anmerkungen zur SED-Gründung vor 50 Jahren

Im April wäre sie 50 geworden, die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschland). "Von der Parteien Haß und Gunst verzerrt schwankt ihr Charakterbild in der Geschichte", oder so ähnlich hat es wohl mal einer der Klassiker unseres humanistischen Erbes formuliert.

Die SPD zog am 21. April an historischer Stätte, im Metropol-Theater an der Friedrichstraße, eine Gedenkveranstaltung durch, die es in sich hatte. Da meinte man, noch die rostigen Räder und Ketten der Folterwerkzeuge knirschen zu hören, mit denen vor fünfzig Jahren biedere Sozialdemokraten unters kommunistische Joch gezwungen wurden. "Euer Leiden war nicht vergebens, Euer Andenken bleibt uns Verpflichtung", rief Oskar Lafontaine pathetisch aus, als hätte er versehentlich ein Redemanuskript für die Opfer des Faschismus eingesteckt.

Die SPD besteht auf dem Reizwort "Zwangsvereinigung", auf das sie sich schon vor Jahrzehnten festgelegt hat. Dieser Kampfbegriff geht meilenweit an den unterschiedlichen Motivationen und Stimmungen vorbei, mit denen nach dem 21./22. April 1946 Hunderttausende Sozialdemokraten in der Sowjetisch Besetzten Zone und Ostberlin den Beitritt zur neugegründeten SED vollzogen. Die SPD-Politiker der Westzonen haben damals nicht begriffen, was vor sich ging, oder sie wollten kein Verständnis dafür entwickeln, und sie wirken auch fünfzig Jahre später noch kein Stück schlauer.

Andererseits: Betrachtet man den gesamten Zeitraum der Formierung der SED, der sich über mehrere Jahre erstreckte, so gewinnt der Begriff der "Zwangsvereinigung" an Berechtigung. Die SED entwickelte sich nicht zu einer Synthese sozialdemokratischer und kommunistischer Elemente, sondern zur einseitigen Fortsetzung der KPD unter gewandelten Bedingungen. Es gab für Sozialdemokraten keine eigenständige Betätigungsmöglichkeit in der DDR. In dem Land, das sich - wenn auch als domestiziertes Deko-Stück - sogar eine Nationaldemokratische Partei leistete, waren sozialdemokratische Gruppen nur ein Fall für die Justiz. Die Umformung der SED zur stalinistischen "Partei neuen Typs" erfolgte mit Massenausschlüssen, "Säuberungen" (die oft mit der Kriminalisierung der Betroffenen einhergingen) und über den Parteiaustritt von zigtausenden Sozialdemokraten als Reaktion auf diese Entwicklung.

Das alles zusammengenommen bedeutet, daß es zur Verschmelzung mit der KPD überhaupt keine praktische Alternative gab, also auch keine wirkliche Entscheidungsfreiheit zwischen Aufgehen in der SED oder eigenständiger Fortexistenz. Das ist aber eine Schlußfolgerung aus dem Rückblick; im Frühjahr 1946 stellte sich die Sache noch keineswegs in dieser Schärfe und Eindeutigkeit dar. Die Mehrheit der ostzonalen Sozialdemokraten traten der SED bei, weil sie von ihrer Parteiführung ständig in der Logik des "kleineren Übels" und der Anpassung ans "Machbare" erzogen worden waren, weil sie erwarteten, Kraft ihrer überlegenen Zahl die neue Partei wesentlich mitformen zu können, oder einfach aus dem Wunsch nach einer einheitlich organisierten Arbeiterklasse, als zentrale Voraussetzung für antifaschistische und antikapitalistische Veränderungen der Gesellschaft. Mit dieser klassenkämpferischen Zielstellung hat die heutige SPD der Gesundbeter des Kapitalismus kaum noch etwas zu tun. Insoweit ist in der Sache Franz Walter zuzustimmen, der in der "Zeit" schrieb: "Es mag die Sozialdemokraten schmerzen, aber in der PDS sind gewiß mehr - personelle, mentale, organisatorische, normative und kulturelle - Traditionselemente der alten, 1946 untergegangenen SPD aufbewahrt als in der neuen SPD der protestantischen Pfarrer und Individualisten." (15.3.96)

Exkurs: Die Einheit der Arbeiterklasse

Die Forderung nach organisatorischer Einheit der Arbeiterklasse kam nach dem Zusammenbruch des NS-Systems zunächst in erster Linie aus sozialdemokratischen Basiskreisen. Zu diesem Zeitpunkt wäre sie darauf hinausgelaufen, von Anfang an eine gemeinsame neue Partei aufzubauen, die Wiedergründung von SPD und KPD in den vier Besatzungszonen gar nicht erst zuzulassen.

Die KPD-Führung, in deren Anhängerschaft solche Stimmungen gleichfalls vorhanden waren, stieg erst ungefähr Mitte September 1945 auf die Einheits-Parole ein, dann aber bald mit großem Einsatz und Druck aufs Tempo. Für ihr anfängliches Abwarten fallen zwei Gründe vor Allen anderen ins Auge: 1. Der Neuaufbau und die Stabilisierung der eigenen Partei stand im Vordergrund, da ohne diese Voraussetzung eine sozialdemokratische Dominanz in einer Einheitspartei zu erwarten gewesen wäre. - 2. Im gemeinsamen Interesse der KPD und der sowjetischen Besatzungsmacht sollte vor Lancierung einer Einheitskampagne die Besetzung wesentlicher Verwaltungsstellen in der SBZ mit kommunistischen Kadern abgeschlossen sein.

Realpolitisch war außerdem zu berücksichtigen: Die SPD hatte nahezu überall und insgesamt in Deutschland weit mehr Mitglieder als die KPD. Auf der Ebene der Anhängerschaft und des Wählerpotentials war der Unterschied noch stärker. Bei einem Zusammenschluß der beiden Parteien wäre die KPD durch das Gewicht der sozialdemokratischen Zahl majorisiert worden. Nur in der SBZ bestand die Möglichkeit, mit Hilfe der Besatzungsmacht eine politische und personelle Hegemonie der KPD in einer Einheitspartei durchzusetzen. Die kommunistische Führung konnte ihren Druck auf das Tempo der Vereinigung also erst steigern, als aus der unterschiedlichen Entwicklung in den Besatzungszonen und aus dem kategorischen Nein der West-SPD klar zu erkennen war, daß die Bildung der Einheitspartei auf die SBZ beschränkt bleiben würde.

Die nach Kriegsende in der Arbeiterbewegung aufgrund der Erfahrung mit dem Faschismus verbreitete Vorstellung, die "Spaltung der Arbeiterklasse" müsse und könne durch den Zusammenschluß von SPD und KPD in verhältnismäßig kurzer Zeit überwunden werden, war ebenso gutwillig wie bodenlos naiv. Es wäre auch falsch, die dahinter stehende, im Grunde herzlich unpolitische Blauäugigkeit einfach nur als proletarische Tugend zu glorifizieren. Wenn viele Mitglieder und Anhänger der Arbeiterparteien oftmals nicht recht begriffen, worüber sich ihre Führer eigentlich stritten und was die Bedeutung dieser oder jener Meinungsverschiedenheit war, lag darin ebenso viel Richtiges wie Falsches. Richtig deshalb, weil es sich oft tatsächlich um parteibornierte Zuspitzungen und Haarspaltereien handelte. Falsch aber deshalb, weil sich in dem Unverständnis vieler "einfacher Arbeiter" für politischen Streit auch Theoriefeindlichkeit, mangelndes Problembewußtsein und ein fragwürdiges Harmoniebedürfnis ausdrückten.

In Verlautbarungen der KPD während des Krieges und in der ersten Nachkriegszeit erscheint die "Spaltung der Arbeiterbewegung" als großes tragisches Ereignis, für das natürlich in erster Linie die SPD-Führer verantwortlich waren, aber das jedenfalls schnellstens rückgängig gemacht werden müßte. So wurde es auch Bestandteil der offiziellen SED-Geschichtsschreibung.

Die "Spaltung der Arbeiterbewegung" ist aber kein historischer Unfall, sondern wurde von ihrem revolutionären Flügel bewußt herbeigeführt und organisatorisch verfestigt. Lenin hat einen großen Teil seiner Energie darauf verwendet, die Unvermeidlichkeit dieser Spaltung argumentativ zu begründen und die "Einheits"-Illusionen gnadenlos zu zerpflücken. Die "Spaltung der Arbeiterbewegung" ist ihrer Entstehung nach nichts anderes als die Abspaltung revolutionärer Organisationen vom reformistischen Mainstream, der sich mit dem Kapitalismus zu arrangieren begonnen hatte. Jenseits beklagenswerter Überspitzungen - wie das böse Wort vom "Sozialfaschismus" - war die Gegnerschaft von SPD und KPD in der Weimarer Republik darin begründet, daß man sehr unterschiedliche Ziele verfolgte und verschiedene Wege ging.

Hierzu gehört:

  • daß die SPD sich 1918 bis zum Anfang der zwanziger Jahre mit den rechtsextremen Kräften der "Freikorps" verbündete, um die revolutionäre Bewegung niederzuschlagen, und daß sie auf diese Weise die Vorläufer der Nazi-Diktatur organisierte und bewaffnete.
  • daß sich das Sozialismus-Bild der SPD zum Ziel eines humanisierten Kapitalismus wandelte.
  • daß die SPD die Wiederwahl des Weltkrieg-Generals Hindenburg zum Reichspräsidenten ermöglichte, der dann Hitler zum Kanzler machte.
  • daß die SPD kategorisch jede Zusammenarbeit mit der KPD gegen die nazistische "Machtergreifung" ablehnte, was mit den Fehlern der KPD keineswegs zu rechtfertigen ist.

Besonders der letzte Punkt verdient Beachtung, wenn heute SPD-Politiker eine Schuld-Debatte zu Lasten der PDS anzuzetteln versuchen. Zweifellos hat die KPD vor 1933 versucht, die sozialdemokratische Basis von ihren Führern zu trennen. Übrigens ist das parteipolitisch ein völlig legitimes Verhalten; Lafontaine hat das gerade eben wieder als Taktik gegenüber der PDS empfohlen. Ebenso zweifellos hatte die KPD allezeit ein "taktisches Verhältnis" zu ihren Einheitsfront-Angeboten an die SPD. Auch das ist, solange es in Maßen praktiziert wird, das normale Verhalten jeder Partei, die mit anderen konkurriert und selbstverständlich ihre eigene Position zu verbessern trachtet.

Der größte, grundlegende Fehler der KPD vor 1933 bestand in der Theorie vom "Sozialfaschismus". Das war nicht nur ein leichtfertig dahergesagtes Schlagwort, mit dem überflüssigerweise und sinnlos alle Sozialdemokraten vor den Kopf gestoßen wurden, sondern drückte auch eine verkehrte Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung aus. Dahinter stand die These, daß die SPD die "soziale Hauptstütze der Bourgeoisie" sei, was für einen bestimmten Zeitraum der Weimarer Republik halbwegs zutraf, aber angesichts des schnellen Anwachsens der Nazi-Bewegung seit 1930 katastrophaler Unfug war. Zu diesen Fragen hat sogar die offizielle DDR-Geschichtsschreibung selbstkritische Positionen entwickelt.

Dennoch bleibt festzuhalten, daß die KPD tatsächlich eine Vielzahl von Aufforderungen zur gemeinsamen antifaschistischen Aktion an die SPD gerichtet hat. Die SPD-Führung hat sie alle ausgeschlagen, offenbar in der grundfalschen Annahme, daß es überhaupt kein größeres Übel geben könnte als eine Zusammenarbeit mit der KPD.

Daß eine breite Mehrheit der Sozialdemokraten 1945 zur Aktionseinheit mit der KPD grundsätzlich bereit war, stellte auch eine Antwort auf die Verweigerungshaltung der SPD-Führung vor 1933 dar. Oft verband sich damit das Schuldbewußtsein, angesichts der nazistischen Herausforderung letztlich versagt zu haben - eine Haltung, die den Lafontaines, Schröders und Scharpings selbstverständlich völlig fremd ist.

Mittel zum Zweck

Die von der KPD-Spitze in Absprache mit der sowjetischen Militärverwaltung forcierte Kampagne für die einheitliche Arbeiterpartei bediente sich des verbreiteten Einheitsbedürfnisses nach der Niederlage und Unterdrückung durch den Nazismus. Daß die maßgeblichen Politiker aber selbst von dieser Stimmung infiziert und mitgerissen waren, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit als Partei aufzugeben zugunsten eines neuen Zusammenschlusses, in dem die eigene Hegemonie nicht gesichert gewesen wäre, wäre nach den Maßstäben der kommunistischen Tradition eine Riesendummheit gewesen. Auch die sowjetische Besatzungsmacht, an der nicht vorbei gehandelt werden konnte, hätte an der Auflösung der KPD zugunsten einer unberechenbaren neuen Partei keine Freude gehabt.

Nach Lage der Dinge stellte die Bildung der SED für die KPD-Führung in der SBZ und Ostberlin den zweckmäßigsten Weg dar, um sich den großen sozialdemokratischen Flügel der Arbeiterbewegung unterzuordnen und der SPD die Basis für eine selbständige Politik in diesem Teil Deutschlands zu entziehen. Nichts spricht dafür, daß die KPD-Spitze diese Möglichkeit erst im Laufe der Zeit allmählich entdeckte.

Einschränkend ist anzumerken: Die Zukunft war 1945/46 nicht so eindeutig planbar, daß das Unternehmen Einheitspartei für die Führungsspitze um Ulbricht und Pieck absolut berechenbar und risikofrei war. Es bestand zu dieser Zeit immer noch die - wenn auch vermutlich geringe - Möglichkeit, daß sich die alliierten Mächte auf die Wiederherstellung eines gesamtdeutschen Zusammenhangs verständigten. Das hätte die Wiederzulassung der SPD in der SBZ, andererseits die Ausdehnung der SED auf die drei Westzonen und schließlich eine für die KPD/SED aussichtslose Konkurrenzsituation in freien Wahlen bedeuten können. Gerade darum sahen auf der anderen Seite viele ostzonale Sozialdemokraten, die eigentlich keine unbedingten Einheitsbefürworter waren, im Beitritt zur SED eine reale Chance, die Entwicklung politisch mitzugestalten und eine sozialdemokratische Basis in der SBZ zu erhalten.

"Einheit von unten"

Am 20./21. Dezember 1945 fand eine erste gemeinsame Konferenz zwischen Vertretern des Zentralausschusses der SPD - praktisch die Leitung der Partei in der SBZ - und dem Zentralkomitee der KPD statt. Ergebnis war die Einsetzung einer Studienkommission aus je vier Mitgliedern beider Parteien; sie sollte das Programm der künftigen Einheitspartei entwerfen. Ansonsten enthielt die vereinbarte Entschließung außer dem allgemeinen Bekenntnis zur Notwendigkeit einer "Einheitspartei der Arbeiter" kaum Konkretes. Die KPD hatte vergeblich versucht, die SPD darauf festzulegen, den Vereinigungsprozeß mit Parteitagen der Provinzen und Länder in der SBZ unmittelbar einzuleiten. Die Gegenposition des Zentralausschusses war, daß der Zusammenschluß nicht zonal, sondern gleich gesamtdeutsch erfolgen müsse. In diesem Zusammenhang bestand der Zentralausschuß zunächst darauf, daß nur ein Reichsparteitag der SPD definitiv über die Verschmelzung mit der KPD entscheiden könne.

Äußerungen des westdeutschen SPD-Führers Schumacher und Beschlüsse von SPD-Funktionärskonferenzen in der britischen und in der amerikanischen Zone machten aber sofort deutlich, daß von einem gesamtdeutschen Parteitag kein Votum für die Vereinigung zu erwarten war. Schumacher - ein verbissener Kommunistenfresser und nationalistischer Demagoge - sprach erstmals von der beabsichtigten "Zwangsvereinigung", die "auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer kommunistischen Handlanger" erfolgen solle. Sein Verhalten gegenüber dem SPD-Zentralausschuß war von gnadenloser Arroganz und Kompromißlosigkeit geprägt: Schumacher demonstrierte, daß er die Sozialdemokratische Partei in der SBZ bereits abgeschrieben hatte, daß er ihre Führer nicht als gleichberechtigte Gesprächspartner akzeptierte. Tatsächlich empfahl er Anfang Februar 1946 sogar die Selbstauflösung der Partei in der Ostzone.

Das bedeutete, daß die Politik der SPD in den Westzonen für die Masse der sozialdemokratischen Mitglieder in der SBZ keine Alternative zum Zusammengehen mit der KPD und noch nicht einmal einen Rückhalt darstellte. Denn die große Mehrheit dieser Sozialdemokraten wollte ja, ganz anders als Schumacher und andere westdeutsche SPD-Führer, eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Sehr viele befürworteten offenbar auch die Bildung einer gemeinsamen Partei, nur nicht in dem von der KPD aufgezwungenen Eiltempo und nicht unter dem Drängen und den Drohungen der sowjetischen Besatzungsmacht.

Die KPD setzte in dieser Phase auf organisierten und inszenierten "Druck von unten". In vielen Betrieben wurden Resolutionen von Arbeiterversammlungen herbeigeführt, in denen die "schnellste Vereinigung beider Parteien" gefordert wurde. In Thüringen und Sachsen, den ostzonalen Hochburgen der Sozialdemokratie, fanden Mitte 1946 gemeinsame Funktionärskonferenzen beider Parteien statt, um Bekenntnisse zum Zusammenschluß abzulegen.

In Sachsen erfolgte zugleich die Bildung zahlreicher gemeinsamer Kommissionen, Bildung eines zentralen Büros zur Koordinierung der Arbeit, Organisierung einer einheitlichen Schulung und gemeinsame Herausgabe von Schulungsmaterial, Beratungen der Redaktionen der Parteizeitungen "zwecks Einstellung der Arbeiterpresse auf die gemeinsame Politik" usw.

In Mecklenburg-Vorpommern beschloß der Landesarbeitsausschuß beider Parteien am 6. Januar 1946 "die unmittelbare Durchführung einer breiten Kampagne unter den Mitgliedern und Funktionären der beiden Arbeiterparteien mit dem Ziel, die Einheit zu schaffen". Dazu gehörte die Bildung gemeinsamer Ausschüsse für die zentralen Politikbereiche, die "sofortige Durchführung gemeinsamer Schulungsarbeit" und die Ansetzung gemeinsamer Funktionärskreiskonferenzen noch im Januar.

Die Entscheidung auf zentraler Ebene fiel am 11. Februar: Auf einer Tagung des SPD-Zentralausschusses gemeinsam mit den ostzonalen Landesvorsitzenden wurde mit knapper Mehrheit beschlossen, "sofort einen Parteitag für die sowjetische Besatzungszone, einschließlich Berlin, einzuberufen," der über das Zusammengehen mit der KPD entscheiden sollte. Damit war der Einwand fallengelassen worden, daß nur ein Reichsparteitag aller vier Zonen über die Vereinigung beschließen könne.

Otto Grotewohl - SPD-Chef in der SBZ und später erster Ministerpräsident der DDR - begründete das so: In einer Verhandlung am 8. Februar habe ihm der westdeutsche SPD-Vorsitzende Schumacher ausdrücklich erklärt, "daß die Abhaltung eines Reichsparteitages nicht in Frage kommen könne, bevor nicht Deutschland wieder ein Reich sei". Daher seien die Parteiorganisationen in der SBZ, mit Ausnahme des Bezirks Berlin, der Meinung, daß "eine weitere Herauszögerung der eigenen Entscheidung in der Frage der Vereinigung der beiden Organisationen unter keinen Umständen mehr tragbar sei".

Am 26. Februar fand die zweite Konferenz der zentralen Gremien von SPD der SBZ und KPD statt. Die insgesamt 60 Vertreter beider Parteien verständigten sich darauf, zu Ostern, zwischen 19. und 22. April 1946, zunächst getrennte Parteitage stattfinden zu lassen und im Anschluß daran die Gründung der SED offiziell zu vollziehen. Noch vorher kam es auf Allen Ebenen, von Betrieben bis hin zu Bezirken und Kreisen, zu Vereinigungskonferenzen.

Nach offiziellen Angaben repräsentierte der Gründungsparteitag der SED 679.159 sozialdemokratische und 619.256 kommunistische Mitglieder; die von der KPD selbst angegebene Stärke war möglicherweise übertrieben. Vereinbarungsgemäß wurden in der SED die Positionen auf Allen Ebenen zunächst paritätisch mit Mitgliedern beider Parteien besetzt. Dieses Prinzip wurde offiziell Anfang 1949 außer Kraft gesetzt, nachdem es in den Landesverbänden bereits durchlöchert worden war. Zur Begründung hieß es, daß man die unterschiedliche Herkunft der SED-Mitglieder nicht verewigen dürfe und daß es bei dem Paritätsverfahren keinen Platz für die sehr zahlreichen Neu-Mitglieder gebe, die weder der SPD noch der KPD angehört hatten.

20.000 Vereinigungsopfer?

Die SPD spricht heute davon, daß etwa 20.000 Sozialdemokraten der SBZ Opfer von Verfolgung geworden seien, weil sie sich der Vereinigung widersetzten. Das entspräche knapp drei Prozent der SPD-Mitglieder in der SBZ. Die Zahl ist willkürlich gewählt - Erkenntnisse liegen dazu nicht ausreichend vor - und sie faßt qualitativ sehr verschiedene Formen des Leidens zusammen: von Parteiausschlüssen, Einschüchterungsversuchen durch sowjetische Besatzungsoffiziere, Übersiedlungen in die Westzonen, bis hin zu Haft und Mißhandlungen. Letzteres war aber zu dieser Zeit offenbar eine seltene Ausnahme.

Es war keineswegs so, daß es generell eine große persönliche Gefährdung bedeutete, gegen den Zusammenschluß zu diesem Zeitpunkt und unter den gegebenen Umständen Stellung zu nehmen. Viele Sozialdemokraten, die sich anfangs gegen die Vereinigung ausgesprochen hatten, traten dann doch der SED bei. Nicht zu bestreiten ist aber, daß zahlreiche besonders aktive Vereinigungsgegner, vor allem deren Wortführer, "Schwierigkeiten" bis hin zur Inhaftnahme bekamen. Außerdem bestand generell absolut keine Chancengleichheit zwischen den Positionen; für Gegner des Zusammenschlusses gab es (außer in Berlin) praktisch keine Möglichkeit, sich publizistisch zu äußern, geschweige denn in der Parteipresse zu Wort zu kommen.

Andererseits kann das Zustandekommen formal korrekter, demokratischer Beschlußfassungen zugunsten der Einheitspartei auf Allen Ebenen der SPD mit Zwang allein oder in der Hauptsache nicht erklärt werden. Niemand war gezwungen, der SED beizutreten, und für die meisten Sozialdemokraten war dieser Schritt noch nicht einmal aus Opportunitätsgründen notwendig. Die Motivationen nachträglich zu differenzieren und Klarheit über ihren jeweiligen Anteil am Entscheidungsprozeß zu gewinnen, ist unmöglich. Daß viele Sozialdemokraten diesen Schritt aus eigenem Willen taten, weil sie Hoffnungen in die Einheitspartei setzten - Erwartungen, die zwar von der SED nicht erfüllt wurden, aber auch nicht von der SPD in Westdeutschland - ist Teil der Wirklichkeit.

Die Urabstimmung in Westberlin

In Berlin verlief die Entwicklung anders als in der SBZ. Vor allem im Westteil der Stadt formierte sich in der SPD starker Widerstand gegen den Zusammenschluß. Mehrere Kreisdelegiertenkonferenzen forderten, die geplante Vereinigung zum Gegenstand einer Urabstimmung in ganz Berlin zu machen und dieses Verfahren auch in der SBZ anzuwenden.

Am 1. März 1946 schloß sich eine Funktionärskonferenz der Berliner Sozialdemokratie mit etwa 2.500 Teilnehmern mit deutlicher Mehrheit der Urabstimmungsforderung an. Vertreter des Zentralausschusses der SPD und sogar KPD-Sprecher äußerten daraufhin zunächst die sichere Zuversicht, daß dieser Mitgliederentscheid eine große Mehrheit für die Einheitspartei ergeben werde. Am 4. März bestätigte der SPD-Bezirksvorstand die Entscheidung der Funktionärskonferenz und legte den 31. März als Datum für die Urabstimmung fest. Am 12. März kippte der SPD-Parteiausschuß die Urabstimmung, indem er sie als statutenwidrig bezeichnete. Zwei Tage später stimmte eine Kreis- und Abteilungsleitersitzung mit großer Mehrheit doch wieder für die Mitgliederbefragung.

Die Urabstimmung konnte schließlich nur in Westberlin durchgeführt werden. Der Zentralausschuß rief alle Sozialdemokraten zum Boykott auf. In Ostberlin verhinderte die Macht der sowjetischen Militärregierung (SMAD) die Befragung. Dabei ist es ein müßiger Streit um Worte, ob sie den Vorgang verboten oder lediglich aus formalen Gründen nicht genehmigt hatte. Eine kleine Anzahl von Wahllokalen in Ostberlin, die trotzdem eingerichtet worden waren, wurden mit Polizeigewalt geschlossen.

Die Abstimmung vom 31. März nimmt in der Parteilegende der SPD einen zentralen Platz ein: Die klare Ablehnung der "Zwangsvereinigung" in Westberlin wurde umstandslos auf die gesamte SBZ hochgerechnet, um daraus zu beweisen, wie sich alle ostzonalen Sozialdemokraten verhalten hätten, wenn ihnen die freie Entscheidung gelassen worden wäre. Zugespitzt gesagt könnte man nach dieser Logik auch vermuten, daß die CSU in ganz Deutschland die absolute Mehrheit bekommen würde, falls sie bundesweit kandidieren würde.

An der Abstimmung beteiligten sich 71,5% der Westberliner SPD-Mitglieder. Davon stimmten 82,2% gegen einen sofortigen Zusammenschluß; 12,4% sprachen sich dafür aus, was erstaunlich ist, denn der Zentralausschuß hatte die Einheitsbefürworter ja zur Stimmenthaltung aufgefordert.

Gegenstand des Votums war eine geschickt formulierte Doppelfrage. Teil 1 lautete: "Bist Du für den sofortigen Zusammenschluß beider Arbeiterparteien?" - Es handelte sich also nicht, wie die SPD-Legende heute vortäuscht, um einen grundsätzlichen Entscheid über die Vereinigung von SPD und KPD, sondern nur über Zeitpunkt und Modalitäten. Offensichtlich kalkulierte die westdeutsche SPD-Führung damals, daß sie mit einer frontalen Fragestellung gegen die Einheitspartei Schiffbruch erleiden würde.

Die zweite Frage war: "Bist Du für ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und Bruderkampf ausschließt?" - 61,7% der Abstimmenden antworteten mit Ja, 23,4% mit Nein.

Die Urabstimmung enthielt also nicht nur die Ablehnung der sofortigen Vereinigung, sondern auch einen eindeutigen Auftrag zur Aktionseinheit mit der KPD. Die praktische Umsetzung durch die SPD-Führung erfolgte selbstverständlich nicht. Schon Ende 1945 hatte sie in den drei Westzonen jede Zusammenarbeit mit der KPD, die nach dem 8. Mai in Gang gekommen war, eingestellt. Die Doppelfrage stellte also einen vorgeplanten Betrug an den Westberliner SPD-Mitgliedern dar: Sie war bewußt so formuliert, daß eine maximale Stimmenzahl gegen den Zusammenschluß mit der KPD erreicht wurde. Zu diesem Zweck war anfangs sogar geplant gewesen, die beiden Fragen durch ein "oder" alternativ gegeneinander zu stellen.

Absolute Mehrheit knapp verfehlt

Am 20. Oktober 1946 wurden die Landtage der SBZ gewählt. Es war die erste und letzte im wesentlichen freie Wahl. Später gab es nur noch eine Einheitsliste, auf der die Blockparteien und verschiedene andere Organisationen nach einem genau festgelegten Proporz vertreten waren. Die SED erreichte in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen Ergebnisse von über 49%, verfehlte aber überall die absolute Mehrheit. Ihr "schwächstes" Ergebnis hatte sie im Land Brandenburg mit 43,9%. Umgerechnet auf die ganze SBZ (ohne Ostberlin) lag die SED bei 47,6%. Die ostzonale CDU und die Liberale Partei lagen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, insgesamt ungefähr gleichauf mit jeweils etwa einem Viertel aller Wählerstimmen. In einer Reihe größerer Städte wurde die LDP stärkste Partei. Zur Regierungsbildung in den Ländern mußte die SED die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, VdgB, heranziehen, die zwischen 1,7 (Sachsen) und 4,9% (Brandenburg) erreicht hatte.

Mit dem Ergebnis hätte die SED durchaus zufrieden sein können, aber offenbar hatte man erwartet, in den Ländern die absolute Mehrheit zu erreichen. Zur Enttäuschung trug auch bei, daß die SED gegenüber den Gemeindewahlen im September relativ und absolut verloren hatte. Zwar war die SED in den Gemeinden auf 57,1% gekommen. Allerdings war sie aufgrund der Eingriffe der SMAD vielerorts die einzige kandidierende Partei gewesen, so daß ein Vergleich mit den Landtagswahlen irreführend ist.

Aus beiden Lagern der Einheitspartei gab es Schuldzuweisungen und Schlußfolgerungen. Viele aus der SPD gekommene Funktionäre machten für das als unbefriedigend eingestufte Wahlergebnis die Politik der sowjetischen Militärbehörden verantwortlich. Vor allem die Demontagen - Abtransport ganzer Fabrikanlagen oder großer Teile der Produktion in die UdSSR als Entschädigung für die Kriegsschäden - waren eine ewige Quelle der Kritik. Die SED müsse sich vom Ruf der "Russenpartei" freimachen, Unabhängigkeit gegenüber den sowjetischen Besatzungsbehörden demonstrieren, argumentierten viele Sozialdemokraten. Otto Grotewohl entfuhr gar das unbedachte Wort, die SED-Mitglieder dürften nicht als "Quislinge" erscheinen - in Anlehnung an den von der deutschen Besatzung in Norwegen eingesetzten Marionettenpolitiker Quisling.

Auf der anderen Seite machten aus der KPD stammende Politiker die organisatorische Uneinheitlichkeit und das mangelnde politische Bewußtsein vieler Mitglieder für das mangelhafte Erscheinungsbild der SED und damit auch für das Wahlergebnis verantwortlich. Von "rücksichtsloser Entfernung parteischädigender Elemente" war die Rede, von der Überwindung der Passivität vieler Mitglieder und von der Verbesserung der innerparteilichen Schulungsarbeit. Letzten Endes lief alles auf die Zurückdrängung des sozialdemokratischen Einflusses in der Einheitspartei hinaus.

Ein Sonderfall war Berlin. Da die Stadt insgesamt unter gemeinsamer Kontrolle der vier Alliierten stand, blieb die SPD auch im sowjetischen Sektor eine zugelassene Partei mit legalen Wirkungsmöglichkeiten. Bei einer hohen Wahlbeteiligung von 92,3% wurde die SPD am 20. Oktober 1946 in ganz Berlin mit 48,7% stärkste Partei. Die SED wurde nur von 19,8% gewählt, so daß sie an dritter Stelle hinter der CDU mit 22,1% lag. Sogar in Ostberlin schnitt die SPD mit 43% deutlich besser ab als die SED, die es auf rund 30% brachte.

Die Jagd auf die "Schumacher-Leute"

Ende Juni 1948 wurde auf einer Tagung des Parteivorstandes die Parole ausgegeben, die SED müsse zu einer "Partei neuen Typs" umgestaltet werden. Einen Monat später veröffentlichte der Parteivorstand seine Resolution "Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen". Neben Mitgliedern mit "parteifeindlicher" und "sowjetfeindlicher" Haltung wurde in dieser Resolution eine weitere Feindgruppe klar umrissen: "Mitglieder, bei denen begründeter Verdacht besteht, daß sie im Interesse parteifeindlicher Kräfte (Agenten des Ostsekretariats der SPD) ... in der Partei wirken."

Es begann die Jagd auf die "Schumacher-Leute", das heißt auf illegale Zellen der SPD in der DDR. Die Bekanntgabe der Aufdeckung solcher Gruppen erfolgte in einem Ton, als würde es um scherbewaffnete Bandenkriminalität gehen. Regelmäßig kam der Vorwurf der Spionage und feindlichen Agententätigkeit hinzu. Entsprechend drakonisch fielen oft die Urteile der Justiz aus.

Zugleich wurde dem "Sozialdemokratismus" in der SED der Kampf angesagt. Die Rede war von "sozialdemokratischen Genossen, die mit ihrer Vergangenheit noch nicht restlos gebrochen haben" und vom "Erbübel der reformistischen Tradition, die unsere ehemaligen SPD-Mitglieder noch immer mit sich herumtragen und die nur durch eine verstärkte marxistisch-leninistische Schulung überwunden werden kann".

Offen wurde nun auch davon gesprochen, daß der SED 1946 sehr viele Sozialdemokraten beigetreten seien, die innerlich mit der Vereinigung nicht einverstanden waren. Das wurde aber nicht selbstkritisch gewendet zu einer Auseinandersetzung mit dem Druck, dem die SPD damals seitens der KPD und der SMAD ausgesetzt war.

Abgesehen von zahlreichen Fällen der Kriminalisierung verließen von 1946 bis 1951 etwa 350.000 ehemalige SPD-Mitglieder die Sozialistische Einheitspartei wieder, wurden ausgeschlossen oder aus der Kartei gestrichen; nur ungefähr 200.000 blieben in der Partei. Der Historiker Jan Foitzig schätzt sogar, daß Ende 1951 höchstens noch 80.000 frühere Sozialdemokraten Mitglied in der SED waren.

Fast alles hätte dafür gesprochen, sich 1946 nur mit denjenigen Sozialdemokraten zusammenzuschließen, die dazu wirklich aus eigenem Entschluß bereit waren und die einen Bruch mit der verhängnisvollen Tradition der SPD von der Bewilligung der Kriegskredite 1914 bis zur Niederwerfung der revolutionären Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg vollziehen wollten. Den übrigen Sozialdemokraten hätte gestattet und ermöglicht werden sollen, als politischer Zusammenhang in der SBZ/DDR weiterzubestehen. Allerdings, dies hätte für die SED eine Konkurrenz bedeutet, der sie unter demokratischen Verhältnissen höchstwahrscheinlich nicht gewachsen gewesen wäre. Die DDR war unter den gegebenen Umständen wohl nur mit diktatorischen Mitteln zu sichern. Dabei kam der Ausschaltung der Sozialdemokratie eine entscheidende Bedeutung zu. Nachträglich gesehen, angesichts des restlosen Scheitern des DDR, scheint klar: Man hätte es auf den Versuch eines demokratischen Wettbewerbs ankommen lassen sollen.

Knut Mellenthin

analyse & kritik, 2. Mai 1996