KNUT MELLENTHIN

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Arbeitslosen-Halbzeit

Annähernd zwei Jahre ist es nun her, daß Bundesregierung und Gewerkschaftsspitzen im Januar 1996 zusammenkamen, um uns die Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 zu verheißen. Vier Jahre Zeit hatten sie sich dafür ausgebeten, also ist jetzt gerade Halbzeit und damit Gelegenheit zu einer Zwischenbilanz.

Erste Feststellung: Im Januar 1996 lag die offiziell registrierte Arbeitslosenzahl etwas unterhalb von 4 Millionen. Für Winter/Frühjahr 1998 wird ein Überschreiten der 5-Millionen-Marke für möglich gehalten. Eine wohl eher überoptimistische Prognose, die in der FAZ vom 20.11.97 veröffentlicht wurde, nimmt einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit von jetzt 10 Prozent (Jahresdurchschnitt) auf 9,1 Prozent im Jahr 1999 an. Man beachte die Vergleichszahlen für 1995 und 1996: 8,2 bzw. 8,9 Prozent! Mindestens ein Drittel und wahrscheinlich sogar annähernd die Hälfte der Betroffenen sind bereits Langzeitsarbeitslose, d.h. seit mindestens einem Jahr ohne Job.

Zweite Feststellung: Der weitere Anstieg der Arbeitslosigkeit seit dem Halbierungsschwur vom Januar 1996 erfolgte erwartungsgemäß und vorprogrammiert. Denn die politischen Maßnahmen der Bundesregierung forcieren die ökonomisch ohnehin indizierte Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Ein paar Stichworte:

  • Stellenabbau im öffentlichen Dienst. U.a. Verlust von etwa 100.000 Arbeitsplätzen durch die "Gesundheitsreform"
  • Heraufsetzung des Rentenalters und Streichung der Vorruhestandsregelung
  • Massive Kürzung der für ABM-, Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zur Verfügung gestellten Mittel
  • Senkung der Fehltage wegen Krankheit durch Verschlechterung der Lohnfortzahlung, gleichbedeutend mit dem Überflüssigwerden von mindestens 200.000 Arbeitsplätzen
  • Starker Kaufkraftverlust besonders bei den Beziehern niedriger Einkommen, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, mit langfristigen Rückwirkungen auf Handel, Handwerk und andere Wirtschaftszweige

Dritte Feststellung: Der anhaltende Anstieg der Arbeitslosigkeit kann in keiner Weise als kurzfristige Begleiterscheinung einer insgesamt positiven Entwicklung interpretiert werden. Es gibt für eine Tendenzwende auf dem Arbeitsmarkt nicht einmal minimale Indizien.

Vierte Feststellung: Ein Umdenken bei den Verantwortlichen ist nicht in Sicht. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda, hat nur den Zeitrahmen ein bißchen gedehnt und behauptet jetzt, eine Halbierung der Arbeitslosenzahl innerhalb von fünf Jahren sei realistisch. (FR, 21.7.97) - Bundeskanzler Kohl behauptet sogar, er wolle am Ziel der Halbierung bis zum Jahr 2000 festhalten. (Mopo, 13.10.97)

Zu stolz für McDonalds

Unterstellt man den wirtschaftlich und politisch Herrschenden die grundsätzliche Absicht, die Arbeitslosigkeit erheblich einzuschränken oder zumindest die Tendenz zu ihrer Ausweitung umzukehren, so sind sie an diesem Ziel in den letzten zehn Jahren total gescheitert. Unterstellt man ferner, daß es tatsächlich wirtschaftliche und soziale Rezepte gäbe oder gegeben hätte, dieses Ziel zu erreichen oder ihm wenigstens näher zu kommen, so hätten diese Herrschaften es allesamt verdient, wegen Unfähigkeit in Tateinheit mit dummem Herumgerede zum Teufel gejagt zu werden.

Die Arbeitslosigkeit ist in diesen Jahren zum Gegenstand eines absurden Pseudo-Diskurses geworden. Das Thema steht unter den Sorgen der Menschen ganz obenan, muß also ständig in irgendeiner Form politisch und publizistisch "behandelt" werden. Die einfache, ehrliche Antwort, er wisse auch keinen Rat und vielleicht sei das Problem absehbar überhaupt nicht zu lösen, kommt für einen Politiker, Manager oder Medienmenschen selbstverständlich von vornherein nicht in Frage. Also beschuldigt man sich gegenseitig der Blockade - weil die jeweilige Gegenseite dem eigenen angeblichen Erfolgsrezept nicht folgt -, und erklärt gemeinsam die Arbeitslosen zur Ursache des Problems: Teils wollen sie gar nicht wirklich arbeiten, weil sich bekanntlich von 1.000 oder 1.200 Mark Arbeitslosenhilfe ganz herrlich faul und angenehm leben läßt. Teils sind sie einfach nicht in der Lage, den Anforderungen des modernen Berufslebens zu genügen. Und teils sind sie aufgrund der falschen deutschen Einstellung zu Dienstleistungsberufen zu stolz, um für 10,50 Mark brutto bei McDonalds die Tüten über die Theke zu reichen oder für einen noch geringeren Stundenlohn durch Deutschland zu touren, um abwechselnd bei der Spargel-, Apfel- und Weinernte auszuhelfen. Hochbezahlte Wissenschaftler machen daraus Allen Ernstes ein "mentales Problem".

Tatsächlich deuten sämtliche Faktoren darauf hin, daß die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren noch weiter als heute schon auseinanderklaffen wird. Die diversen "Job-Wunder", die angeblich in den USA, Großbritannien und den Niederlanden im Laufe des letzten Jahrzehnts vollbracht worden sein sollen, erweisen sich im wesentlichen als Propagandamärchen. Nicht nur, weil diese "Wunder" mit schweren sozialen Nachteilen erkauft wurden, sondern weil sie mutmaßlich überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in einem relevanten Umfang stattgefunden haben. Zum allergrößten Teil verdanken sie sich der List der Statistik. Wenn auf der einen Seite Hunderttausende von de facto Arbeitslosen aus der Statistik herausfallen, weil sie keine Unterstützungsleistungen mehr erhalten, und auf der anderen Seite selbst minimalste Jobs von ein paar Stunden als Arbeitsplatz gerechnet werden, lassen sich die erwünschten Resultate leicht erzielen. Wahrscheinlich liegt auf dem Gebiet bloßer Rechenkunststücke auch die einzige Zukunft der versprochenen Halbierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland.

Der Schweineberg

Das traditionelle deutsche Sozialversicherungssystem kann in einer größeren Krisensituation wie der gegenwärtigen als staatlich subventionierte massenhafte Vernichtung von Arbeitskraft interpretiert werden - vergleichbar der Vernichtung von landwirtschaftlicher "Überproduktion". Ähnlich wie bei dieser besteht ein wesentliches Ergebnis darin, daß der Preis des Produkts, dessen Angebot die Nachfrage übersteigt, stabilisiert wird. In diesem Fall nicht der Preis von Schweinehälften, sondern der der menschlichen Arbeitskraft. Also der Arbeitslohn samt den Rahmenbedingungen wie Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz usw. Insbesondere gilt das für die niedrig qualifizierten und bezahlten Arbeiten, weil diese für Arbeitslose tendenziell noch am ehesten zugänglich sind. Das Sozialversicherungssystem dient also objektiv genau demjenigen unteren Segment der Bevölkerung am meisten, das sich vermutlich am leichtesten gegen "faule Arbeitslose" und "Sozialbetrüger" aufputschen läßt.

Nehmen wir mal einen Moment an, es gelänge, ungefähr zwei Millionen Menschen in den Arbeitsmarkt zurückzuholen, wie mit dem Halbierungsschwur vor zwei Jahren angekündigt. Dann würde sich zwangsläufig der Druck auf den Preis der menschlichen Arbeitskraft erhöhen, sofern nicht in gleicher Höhe tatsächlich eine zusätzliche Nachfrage nach Arbeitskraft entstünde. Das aber glaubt und behauptet im Ernst wohl niemand.

Der negative Effekt auf allgemeines Lohnniveau und Arbeitsbedingungen würde sich selbstverständlich erheblich verstärken, wenn zwei oder auch drei Millionen Menschen mit ökonomischer und sozialer Gewalt in den Arbeitsmarkt hineingepreßt würden. Nämlich indem sie vor die Alternative gestellt würden, entweder die schlechtbezahltesten Jobs ohne Absicherung anzunehmen oder keine Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfe mehr zu erhalten. Eine solche forcierte "Job-Offensive" würde das gesamte Niedriglohnniveau zusammenbrechen und praktisch auf den Sozialhilfesatz abstürzen lassen.

Genau diese Art von Arbeitsmarktpolitik wird seit mehreren Jahren von den Wirtschaftsliberalen lautstark propagiert, argumentativ aufgerüstet mit der (falschen) Behauptung, ein solches Vorgehen habe sich bereits in den USA oder auch in Großbritannien als wahre "Job-Maschine" ausgewirkt.

Nun kann allerdings nicht ernsthaft bestritten werden, daß in den USA allein in den letzten Jahren Millionen von neuen Jobs entstanden sind, und tatsächlich nicht nur im Niedrigstlohnbereich. Reinhard Stransfeld hat in der FR vom 9. April 1997 vorgerechnet, wie das zustande kommt. Laut Statistik ist die Zahl der Beschäftigten in den USA von 1983 bis 1995 um 24,1 Millionen gewachsen. Im gleichen Zeitraum ist aber auch die amerikanische Bevölkerung um 29 Mio. gewachsen; davon entfallen 24,4 Mio. auf den erwerbsfähigen Teil. Allein um das Beschäftigungsniveau von 1983 zu halten, wären also mehr als 24 Mio. neue Jobs erforderlich gewesen. Da andererseits durch Rationalisierungen, Stillegungen, Umstrukturierungen und Pleiten über 40 Mio. Arbeitsplätze verloren gingen, ergibt sich brutto eine Gesamtzahl von fast 70 Mio. neuen Arbeitsplätzen. Bedenkt man die Revolutionierung der Computertechnik gerade in diesem Zeitraum, so ist klar, daß sicher mehrere Millionen Jobs auch in diesem Bereich entstanden sind. Das ergibt aber netto noch kein "Job-Wunder", sondern eben nur ungefähr den Erhalt des alten Beschäftigungsniveaus, bei gesunkenen Reallöhnen und zunehmender sozialer Unsicherheit für die Mehrheit der Beschäftigten.

Japaner ohne Putzfrau

Die Behauptung der Wirtschaftsliberalen, daß niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen die Nachfrage der Unternehmer nach Arbeitskraft erhöhen, also zu Neueinstellungen führen, ist, bezogen auf die Volkswirtschaft insgesamt, evident falsch. Insbesondere mit niedrig qualifizierten Arbeitskräften - und darum geht es tatsächlich in erster Linie, wenn von der "Wiedereingliederung" von Arbeitslosen die Rede ist - ist der Markt bereits weitgehend gesättigt bzw. tatsächlich schon übersättigt.

Selbstverständlich ist das eine relative Feststellung. Im "Stern" vom 11. Dezember jammert ein japanischer Unternehmensberater: "In Düsseldorf gibt es 8000 Japaner, und alle suchen eine Haushälterin oder einen Fensterputzer - aber sie kriegen keine." - In Wirklichkeit besteht das Problem nur darin, daß vielen Leuten, die gut bis sehr gut verdienen, die Tränen kommen, wenn sie einer Putzfrau 15 Mark Stundenlohn zahlen sollen.

Was heute an Niedriglohnmodellen, "Einsteigerlöhnen" für Langzeitarbeitslose usw. usf. öffentlich erörtert und propagiert wird, läuft praktisch ausschließlich auf Verdrängungskonkurrenz hinaus: Ersetzung von schlecht bezahlten Arbeiterinnen und Arbeitern durch noch schlechter bezahlte. Ersetzung von schlecht bezahlten, aber immerhin festangestellten Vollzeitkräften durch beliebig einsetzbare Teilzeitkräfte ohne Absicherung oder durch Schein-Selbständige. Nachdem man vor allem in Ostdeutschland glücklich einen Großteil der Frauen aus dem regulären Arbeitsleben hinausgeworfen und in sogenannte "geringfügige Beschäftigungsverhältnisse" ohne soziale Absicherung abgedrängt hat, kann man heute im Namen der armen Frauen, die sich schließlich ein bißchen was zuverdienen müssen, gegen die Abschaffung dieser überaus ausbeuterischen Beschäftigungsform polemisieren.

Durch Niedriglöhne entstehen, insgesamt betrachtet, keine neuen Jobs, und schon gar nicht solche, die eine Brückenfunktion zur Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt haben könnten. Ihre Wirkung für die Verwertungsbedingungen der Ware Arbeitskraft sind ausschließlich negativ. Dennoch ergreift der Wahn, Niedriglöhne könnten zumindest partiell ein sinnvolles arbeitsmarktpolitisches Instrument sein, offenbar immer breitere Kreise auch der SPD, der Gewerkschaften und der Grünen. Unterschiedliche Formen von offener Zwangsarbeit werden erprobt, ohne daß sich Ansätze von Protest dagegen bilden.

Das große Thema der dauerhaften Massenarbeitslosigkeit, auf das es offensichtlich gescheite Antworten nicht gibt, verleitet folgerichtig zu Allen möglichen Dummheiten. Ein Blick in die "taz" der letzten Monate bietet eine wahre Blütenlese an Schnapsideen, Platitüden und Unverschämtheiten, unter denen die Namen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern prangen, die sich wahrscheinlich irgendwie doch der Linken zurechnen.

Ein Psychoanalytiker spricht den Langzeitarbeitslosen und schwer Vermittelbaren pauschal die "Alltagskompetenzen" ab, "die sie überhaupt erst für die Arbeitswelt von morgen befähigen würden". Er erklärt daher die Idee einer Qualifizierung dieser Menschen für eine "Überforderung", möchte sie auf "einfache Tätigkeiten" festlegen und fordert als Zückerli für diese eine "staatliche Aufwertung und Wertschätzung" ein, die selbstverständlich nicht eintreten wird. (taz, 18.3.97)

Eine Volkswirtin läßt ein "Plädoyer für eine Politik der Muße" vom Stapel und preist das "Ende der Arbeitsgesellschaft" als Eintritt ins paradiesische Zeitalter. (taz, 22.11.96) Die Wirklichkeit ist aber ganz im Gegenteil, daß der Zerfall der traditionellen Arbeitsgesellschaft einen Verlust und nicht etwa einen Gewinn an "Muße" bedeutet. Oder welche "Muße" bleibt beispielsweise der jungen Mutter, die jeden Tag zwischen zwei oder drei weit auseinander gelegenen Haushalten oder Firmen hin und her fahren muß, um durch eine Ansammlung von unsicheren Putzjobs das Notwendigste zum Leben zu verdienen? Der Zwang, mehrere Jobs nebeneinander auszuüben, weil einer allein einfach nicht zum Leben reicht, macht für die große Mehrheit der Betroffenen das Leben durchaus nicht bunt und abwechslungsreich, sondern nur stressig.

Viele Linke sind offenbar daran gewöhnt, das Nebeneinander von Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe, diversen "schwarzen" oder auch legalen Neben- oder Zwischenjobs und eigeninitiativer, selbstbestimmter Arbeit als nicht nur erträglich, sondern eigentlich sogar ganz angenehm zu empfinden. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Schlecht ist nur, wenn ihre eigene Befindlichkeit sie unsensibel gegenüber der Tatsache macht, daß dieses Dasein für die große Mehrheit der Betroffenen bei weitem nicht so selbstbestimmt und produktiv wie für sie selbst ist.

Teilung der Arbeit

Das Motto, man müsse "die Arbeit teilen", erfreut sich bis in die Linke hinein einer gewissen Beliebtheit. Erwartungsgemäß tun sich dabei Politiker, Funktionäre und Wissenschaftler hervor, die tatsächlich so gut verdienen, daß sie sich ein Leben mit 70 oder auch 50 Prozent ihres heutigen Einkommens immer noch ganz komfortabel vorstellen können. Die Parole strömt daher von vornherein Arroganz und Realitätsferne aus.

Unvermeidlich bedeutet "Teilung der Arbeit" in erster Linie eine enorme Ausdehnung der Teilzeitarbeit, das heißt jener Jobs, von denen allein die überwiegende Mehrheit der Betroffenen gar nicht leben kann. Das ergäbe am Ende wahrscheinlich rein statistisch sehr viel weniger Arbeitslose, aber auf der anderen Seite auch sehr viel mehr Menschen, die sich im Kampf um die Teilzeitjobs (von denen die meisten mehrere nebeneinander benötigen werden) gegenseitig in Grund und Boden konkurrieren.

Außerdem kann man manche Jobs tatsächlich teilen, andere aber nicht. Ein Lehrer zum Beispiel kann seine Stundenzahl reduzieren, eine Kassiererin im Supermarkt (zumindest theoretisch) auch. Schon bei einer Sekretärin, die mehr als mechanische Schreibarbeit leistet, würde es schwierig, wenn plötzlich Schlag 13 Uhr "Wachablösung" wäre. Nicht zufällig geht der reale Trend heute eher zu einer Ausdehnung als zu einer Verkürzung der Arbeitszeiten.

Außerdem: Die große Masse der Arbeitslosen bildet in ihrem Qualifizierungsquerschnitt kein Abbild der Arbeitsgesellschaft, sondern es überwiegen ganz stark die geringer Qualifizierten. Daher käme die "Teilung der Arbeit" in erster Linie dort in Frage, wo weder besondere Qualifikationen noch Einarbeitungszeiten erforderlich sind. Es ginge also, realistisch betrachtet, vor allem darum, die ohnehin unter Druck stehenden gering qualifizierten, schlecht bezahlten Sektoren der Arbeitsgesellschaft verschärft unter das Joch der Teilzeitarbeit zu zwingen. Dies für eine arbeitspolitisch sinnvolle Maßnahme zu halten, ist schon grotesk.

Allerdings kann man den Dummschwätzern einen Reichtum an Phantasie wahrlich nicht absprechen. Daher liest man immer wieder auch hinreißende Geschichtchen über "Job-Sharing in der Chefetage", als würde sich da irgendein zukunftsträchtiges Modell anbahnen. Im allgemeinen kann man aber davon ausgehen, daß es sich dabei um Jobs handelt, die zwar maßlos hoch dotiert sind, aber im Grunde keine spezielle Qualifikation erfordern, wie etwa das Amt eines Senators oder eines Bürgermeisters. Eine solche Person kann sich auch schon mal vier Wochen mit Grippe ins Bett legen oder in irgendein schwarzes Loch fallen, ohne daß es überhaupt bemerkt wird, während bereits ein zweitägiges Fernbleiben ihrer Sekretärin eine mittlere Katastrophe hervorruft.

Die Massenarbeitslosigkeit wird uns, aller Voraussicht nach, in den nächsten Jahren erhalten bleiben. An diesem Punkt zeigt sich ein seltsamer Widerspruch: Individuell ist der Sachverhalt der Mehrheit der Menschen bewußt - soweit man den Meinungsumfragen glauben darf. Die Tatsache ist aber offensichtlich noch nicht im durch die Medien veröffentlichten Bewußtsein angekommen, und ebenso noch nicht in der Kultur, von der Politik ganz zu schweigen.

Eine "Zukunft der Arbeitswelt", in der ein großer Teil der Menschen zwischen zwei oder sogar drei (zumindest teilweise "schwarzen") Jobs hin und her pendelt, um die zum Leben erforderliche Summe zusammenzukriegen, ist notwendigerweise eine Welt der auf die Spitze getriebenen Vereinzelung und des besinnungslosen Kampfes aller gegen alle. Eine linke Politik, die diese Vereinzelung gezielt aufbricht und die der Millionenmasse von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen eine Art von gemeinsamem Gesicht gibt, steht immer noch aus.

Eine schlichte Plakette "Ich bin arbeitslos" wäre bereits eine Idee. Werbe-Experten, mit denen ich darüber sprach, entgegneten mir, daß kaum jemand bereit wäre, sich auf diese Weise zu "outen". Genau da liegt das Problem.

Knut Mellenthin

analyse & kritik, 18. Dezember 1997