KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Ärger über Schaukelkurs

Das Rätselraten über Russlands Haltung zur westlichen Kampagne gegen das zivile Atomprogramm des Iran hält an. US-amerikanische und israelische Delegationen wechseln sich in Moskau ab, um die Zustimmung Russlands zur Verabschiedung verschärfter Sanktionen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erreichen.

Russische Politiker diskutieren das Thema auf zwei Ebenen, einer grundsätzlichen und einer taktischen. Prinzipiell heben vor allem Regierungschef Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow immer wieder hervor, dass es keine Beweise für die Entwicklung iranischer Atomwaffen gebe, dass Iran im Gegensatz zu den westlichen Behauptungen keine Bedrohung darstelle, dass der Konflikt ausschließlich mit diplomatischen Mitteln gelöst werden sollte und dass Sanktionen kontraproduktiv seien. Realpolitisch hingegen ist Russland sehr wohl bereit, seine Zusammenarbeit mit den USA als komplexes Wechselspiel von Geben und Nehmen zu betrachten. In diesem Kontext könnte Russland auch zum vierten Mal internationalen Sanktionen zustimmen, sofern es dafür zufriedenstellende Gegenleistungen auf anderen Gebieten erhält.

Unterdessen nimmt auf iranischer Seite die Ungeduld über Russlands schwer berechenbaren Schaukelkurs zu. Während sich Teherans Regierungspolitiker mit Äußerungen zu diesem heiklen Thema zurückhalten, nehmen Parlamentsabgeordnete kein Blatt vor den Mund. Jetzt hat aber auch die iranische Regierung ein deutliches Zeichen gesetzt. Transportminister Hamid Behbahani gab am 6. März bekannt, dass die in der zivilen Luftfahrt Irans beschäftigten russischen Piloten binnen zweier Monate das Land verlassen müssten. Sie würden nicht mehr benötigt, da Iran genügend eigene gut qualifizierte Piloten habe. Das könnte stimmen, doch die Art, wie diese Maßnahme öffentlich angekündigt wurde, stellt auf jeden Fall einen Affront dar.

Zwei Punkte sind es vor allem, neben der opportunistischen Haltung Russlands in der Sanktionsfrage, an denen sich iranische Verärgerung festmacht: das von einem russischen Unternehmen gebaute Atomkraftwerk bei Buschehr und die vereinbarte Lieferung des Luftabwehr-Systems S-300.

Der Reaktor-Bau war 1974, also noch zur Zeit der Schah-Herrschaft, unter Führung der Kraftwerk-Union AG begonnen worden. Nach der „islamischen Revolution“ 1979 stieg das deutsche Unternehmen aus dem Vertrag aus. Die iranische Regierung suchte jahrelang nach ausländischen Firmen, die bereit wären, den Bau fortzusetzen. Aber alle Interessenten sprangen unter dem Druck der USA ab, bis schließlich 1995 das russische Unternehmen Atomstroiexport das Projekt übernahm. 1999, spätestens 2000, sollte der Reaktor fertiggestellt sein. Seither wurde der Termin von der russischen Seite unter wechselnden Vorwänden immer wieder verschoben. Zuletzt platzte das 2007 vereinbarte Datum November 2009. Derzeit geht Iran von einer Inbetriebnahme im Juli aus, während russische Vertreter von Ende 2010 sprechen.

Im Dezember 2007 vereinbarten die beiden Staaten, dass Iran das modernste russische Luftabwehr-System, S-300, erhalten soll. Es kann feindliche Flugkörper in einer Entfernung von 150 Kilometern und bis zu 30 Kilometern Höhe treffen. Luftangriffe gegen Iran, mit denen die USA und Israel immer wieder drohen, würden dadurch schwieriger und riskanter. Russland steht deshalb unter dauerndem israelischen Druck, vertragsbrüchig zu werden und die Raketen nicht zu liefern. Angeblich erhielt schon der damalige Premierminister Ehud Olmert bei einem Moskau-Besuch im Oktober 2008 eine entsprechende Zusage. Seither wechseln sich widersprüchliche russische Aussagen ab. Tatsache ist indessen, dass die Lieferung immer noch nicht begonnen hat und auch nicht in Aussicht gestellt ist. Am 8. Februar dieses Jahres kündigte der Kommandeur der iranischen Luftwaffe, Heschmatollah Kassiri, an, Iran werde nun selbst ein gleichwertiges oder sogar noch stärkes Abwehrsystem entwickeln, da Russland „mit nicht hinnehmbaren Begründungen“ die Lieferung verweigere.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 15. März 2010