KNUT MELLENTHIN

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Dampfschwaden in der Gerüchteküche

Meldungen, dass Iran die 20-Prozent-Anreicherung von Uran eingestellt habe, waren offenbar falsch. Internationale Verhandlungen werden in der kommenden Woche fortgesetzt.

Das Fehlen offizieller Informationen über die Atomverhandlungen zwischen dem Iran und seinen internationalen Partnern begünstigt das Aufkommen von Gerüchten. Nachdem vorgestern weltweit gemeldet worden war, Iran habe die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent unterbrochen, widersprach am Freitag der Abgeordnete, der als Quelle dieser Behauptung angegeben worden war. Der Hintergrund der Geschichte blieb jedoch zunächst noch unklar.

Der Verzicht auf die zwanzigprozentige Anreicherung gehört zu den vordringlichen Forderungen der Gruppe von sechs Staaten – USA, Sowjetunion, China, Großbritannien, Deutschland und Frankreich -, mit denen der Iran seit zehn Jahren verhandelt. Der Abgeordnete Hossein Nakawi Hosseini war am Donnerstag auf der persischsprachigen Website des iranischen Parlaments mit der Aussage zitiert worden, dieses Thema sei „im Moment bedeutungslos, weil überhaupt keine Produktion mehr stattfindet“. Iran habe von dem Material, das zur Herstellung von Brennplatten für einen medizinisch genutzten Reaktor in Teheran benötigt wird, bereits eine ausreichende Menge auf Lager.

Hosseini ist Sprecher des parlamentarischen Ausschusses für Nationale Sicherheit und Außenpolitik, also ein relativ bedeutender Politiker. Generell fallen iranische Abgeordnete dadurch auf, dass sie häufig nicht nur extravagante Meinungen äußern, sondern auch Tatsachenbehauptungen verbreiten, für die sie weder kompetent noch autorisiert sind, und die sich zudem auch noch oft als falsch herausstellen. Die Hosseini zugeschriebene Aussage über die Einstellung der 20-Prozent-Anreicherung hatte in den iranischen  Medien kaum Beachtung gefunden, war aber auch nirgendwo offiziell dementiert worden, bevor der Parlamentarier selbst sie am Freitag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Fars widerrief. Zuvor hatte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), die alle nuklearen Arbeitsprozesse im Iran überwacht, auf Anfragen mitgeteilt, ihr sei von einer Einstellung der 20-Prozent-Anreicherung nichts bekannt.

Völlig aus der Luft gegriffen muss die Geschichte dennoch nicht gewesen sein. Schon vor zwei Wochen war dem einflussreichen Parlamentssprecher Ali Laridschani von der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP die Aussage zugeschrieben worden, Iran habe mehr als genug zwanzigprozentiges Uran hergestellt und sei zu Verhandlungen über eine Abgabe des Überschusses bereit. Das war damals vom iranischen Parlament schärfstens dementiert und als Beweis für die feindselige Einstellung westlicher Medien angeprangert worden. Rein rechnerisch könnte es aber stimmen, dass Iran bereits genug Rohstoff hat, um mit den daraus zu produzierenden Brennplatten den Teheraner Reaktor mindestens zehn Jahre oder länger weiterzubetreiben. Trotzdem ist äußerst unwahrscheinlich, dass Iran diese Anreicherungsstufe einfach ohne Gegenleistungen aufgeben würde.

Die Verhandlungen zwischen Iran und der Sechsergruppe sollen am 7. und 8. November in Genf fortgesetzt werden. Zuvor werden am Mittwoch und Donnerstag nächster Woche Experten aus den sieben Ländern in Wien zusammenkommen, um das Genfer Treffen vorzubereiten. Den Delegationen werden Fachleute aus den Bereichen Nukleartechnologie, Banken, Handel, Ölwirtschaft und Transport angehören. Außerdem soll es schon am Montag ein Gespräch zwischen dem stellvertretenden iranischen Außenminister Abbas Araqchi und IAEA-Generaldirektor Jukija Amano geben. Araqchi fungiert derzeit zwar nicht formal, aber in der Praxis als iranischer Chefunterhändler, auch wenn er dabei Außenminister Mohammad Dschawad Zarif als offiziellem Koordinator der Verhandlungen unterstellt ist.

Indessen hat Israels Premier Benjamin Netanjahu am Mittwoch in Rom während eines siebenstündigen Gesprächsmarathons mit US-Außenminister John Kerry bekräftigt, dass für ihn jede Verhandlungslösung „absolut unannehmbar“ ist, die Iran auch nur die technische „Fähigkeit“ zur Anreicherung von Uran lassen würde. Nicht einmal Zentrifugen dürfe Iran behalten, forderte Netanjahu, der zwischendurch auch wieder mit Kriegshandlungen im Alleingang drohte.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 26. Oktober 2013