KNUT MELLENTHIN

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Iran: Machtkampf um "Atomspion"

Im Verfahren gegen den iranischen Ex-Diplomaten Hossein Mussawian ist am Dienstag offenbar eine Wende eingetreten. Ein Justizsprecher gab bekannt, dass der 51-Jährige von den Anklagepunkten der Spionage und des unrechtmäßigen Besitzes von Geheimdokumenten freigesprochen worden ist. Im dritten Anklagepunkt, Propaganda gegen das System der Islamischen Republik, wurde er jedoch für schuldig befunden. Das Strafmaß soll demnächst verkündet werden. Der Staatsanwalt kann gegen das Urteil Berufung einlegen.

Mussawian war bis zum Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad im August 2005 jahrelang der zweithöchste iranische Unterhändler im Streit um das Atomprogramm des Landes. Zuvor war er unter anderem von 1991 bis 1997 Botschafter in Deutschland.
Später vertrat er sein Land bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Außerdem leitete er den Außenpolitischen Ausschuss des einflussreichen Obersten Nationalen Sicherheitsrats und war Stellvertreter von dessen Vorsitzendem Hassan Rowhani.

Mussawian wurde am 28. April festgenommen, aber wenige Tage später gegen eine Kaution von über 200.000 Dollar aus der Haft entlassen. Zur Zeit seiner Festnahme war der Ex-Diplomat stellvertretender Leiter des Zentrums für Strategische Forschungen, des bedeutendsten iranischen Think Tanks. Präsident des Zentrums ist Hassan Rowhani, der ehemalige Chefunterhändler in den Atomverhandlungen, mit dem Mussawian auch früher schon eng zusammengearbeitet hatte. Die Institution steht dem einflussreichen Schlichtungsrat nahe. Dessen Vorsitzender ist Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, Irans Präsident von 1989 bis 1997 und Ahmadinedschads Gegner in der Stichwahl 2005.

Die Anklage gegen Mussawian wurde im Iran und im Ausland von Anfang an als Schlag gegen Rafsandschani und dessen Nachfolger im Präsidentenamt, Mohammad Khatami (1997-2005) interpretiert. Kurz vor der Bekanntgabe des vorläufigen Urteils warnte Ahmadinedschad davor, dass "einige Personen" starken Druck auf das Gericht ausübten, um einen Freispruch des "Spions" durchzusetzen. Zuvor hatte schon der für das Verfahren zuständige Informationsminister Gholam Hossein Mohseni Ejei öffentlich bekräftigt, dass Mussawian nach Auffassung seines Ministeriums des Landesverrats schuldig sei: "Er hat Informationen an Ausländer weitergegeben, darunter die britische Botschaft, im Widerspruch zu den Interessen und zur Sicherheit des Landes." "Natürlich stehen hinter Mussawian einflussreiche Leute, die seinen Freispruch wollen. Die, die wollen, dass er freigesprochen wird, haben mehrmals Kontakt zum Richter aufgenommen."

Nach der Bekanntgabe des vorläufigen Urteils am Dienstag sprach sich Regierungssprecher Gholam Hossein Elham für ein öffentliches Gerichtsverfahren aus. Ahmadinedschad verlangte am Mittwoch die Veröffentlichung der Gespräche Mussavians mit seinen ausländischen Partnern, "um alle Missverständnisse auszuräumen". Informationsminister Ejei schloss sich namens der Regierung dieser Forderung an, verwies aber darauf, dass die Entscheidung bei der Justiz liege.

Hingegen ging Parlamentssprecher Gholam-Ali Haddad-Adel am Mittwoch auf deutliche Distanz zum Präsidenten und zur Regierung: Die Forderung nach einem öffentlichen Prozess hätte man vor der Gerichtsverhandlung stellen sollen, nicht nachher. Die Justiz habe sich wegen der Sensibilität der Materie für ein nicht öffentliches Verfahren entschieden. Man möge dem Justizsystem vertrauen, forderte der Politiker, und setzte hinzu: "Jeder, der ein Dokument hat, das beweist, dass der Richter unter Druck stand, sollte es dem Gericht vorlegen."

Mousavian war seit seinem Abschied aus der Regierungspolitik ein gern gesehener Gast auf Foren und Symposien in Europa und USA, besonders auch in Deutschland, wo er unter anderem Gast beim Bergedorfer Gesprächskreis der Hamburger Körber-Stiftung war. In westlichen Medien wurde das ausgeschlachtet, um Mussawian als Repräsentanten des "besseren Iran" vorzuführen und die "Reformer" gegen Ahmadinedschad auszuspielen. Mousavian werden in diesem Zusammenhang einige Äußerungen zugeschrieben, die sich so deuten lassen, als verteile er die Schuld für die festgefahrene Situation gleichmäßig zwischen dem eigenen Land und dem Westen. Laut ZEIT vom 1. Mai 2007 vertrat Mussawian bei einer Konferenz in der Schweiz die eigenwillige These, Iran und die USA sollten die alten Feindseligkeiten beilegen und "zusammen eine strategische Rolle für die Stabilität in der Region spielen". Mit "Mut und Weisheit" könnten beide Länder überkommene Feindbilder überwinden und in einen Dialog eintreten. Mehrfach wurden in internationalen Medien berichtet, Mussawian habe die Haltung seines Landes im Atomstreit als "unflexibel" und "unvorsichtig" kritisiert. Konkrete Alternativvorschläge scheint er jedoch nicht gemacht zu haben.

Mit Mussawian verbindet sich eine rätselhafte Geschichte: Am 17. und 18. August 2005 meldeten westlichen Medien, Mussawian habe in einem Interview mit dem Fernsehsender Kanal 2 am 4. August - einen Tag nach der offiziellen Amtseinführung Ahmadinedschads - zugegeben oder vielmehr geprahlt, dass Iran eine "Hinhaltetaktik" verfolgt habe. Man habe mit dem EU-Trio (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) seit Herbst 2003 lediglich verhandelt, um mehr Zeit für die Fortführung des Atomprogramms zu bekommen, und man habe letztlich zwei Jahre gewonnen. Diese angeblichen Aussagen bezogen sich auf die Zeit, als Mussawian selbst und Rowhani die Verhandlungsführer für die iranische Seite waren. Die politische Erfahrung sagt, dass sich normalerweise kein Diplomat derart offen, geschwätzig und kompromittierend über die eigene Verhandlungstaktik äußert. Die Geschichte, obwohl in vielen westlichen Mainstream-Medien vermeldet, lässt sich allerdings nicht eindeutig verifizieren.

Knut Mellenthin

Erweiterte Fassung eines am 29. November 2007 in der Jungen Welt erschienenen Artikels