KNUT MELLENTHIN

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Kein Gas für Pakistan

Ungeheizte Wohnungen, nur wenige Stunden am Tag Strom – für Millionen Pakistaner ist das im Winter seit vielen Jahren Normalität. In diesem Jahr ist es besonders schlimm, weil die Temperaturen so niedrig liegen wie schon lange nicht mehr. Wann minutenlang Gas durch die Leitungen strömt, damit man sich auf dem Herd eine warme Mahlzeit zubereiten oder Teewasser kochen kann, ist zumeist ungewiss.

Dem Land, das seine Kraftwerke überwiegend mit Gas betreibt, fehlen in dieser Jahreszeit zwischen 60 und 85 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag. Diese Lücke macht bis zu 75 Prozent des tatsächlichen Bedarfs aus. Auch Industriebetriebe liegen wegen der Stromausfälle oft still.

Pakistan könnte seinem chronischen Energiemangel auf eine nahe liegende Art abhelfen: Indem es Erdgas und Strom aus dem Nachbarland Iran importiert. Aber für diesen Fall droht die US-Regierung mit der Sanktionskeule.  Das mit über 60 Milliarden Dollar und minimalen Devisenreserven in der Schuldenfalle steckende Pakistan hat den Einschüchterungen aus Washington wenig entgegenzusetzen. Und seit im Juni des vergangenen Jahres mit Nawaz Sharif ein Vertrauensmann der Saudis die Regierungsgeschäfte übernahm, hat die Anpassung an die Weisungen aus Washington sogar noch erheblich zugenommen. Sharif hofft, dass ihm die Saudis mit einem Riesenkredit - „angedacht“ sind 12 Milliarden Dollar – vorläufig aus der Verlegenheit helfen und dass er US-Unternehmen dafür gewinnen kann, die dringend notwendigen Investitionen in die pakistanische Wirtschaft zu riskieren. Die Verwirklichung beider Träume ist nicht in Sicht.

Auf der anderen Seite haben sich die Beziehungen zum Iran erheblich verschlechtert, seit Sharif Premier ist. Am 14. Dezember teilte das Teheraner Ölministerium mit, dass Iran aufgrund der Sanktionen „nicht in der Lage“ sei, den Bau einer Erdgasleitung auf pakistanischem Gebiet mit einem Darlehen von 500 Millionen Dollar zu unterstützen, und dass es „dazu auch nicht verpflichtet“ sei.

Über die Pipeline verhandeln Iraner und Pakistaner schon seit 1994. Seit Juni 2010 gibt es einen förmlichen Vertrag. Er verpflichtet beide Seiten, ihren Teil der Leitung bis Ende 2014 fertigzustellen. Bei Nichterfüllung dieses Punktes wird eine hohe Konventionalstrafe fällig, angeblich 1 Million Dollar für jeden Tag Verspätung. Iran hat seinen Bauabschnitt abgeschlossen, während Pakistan noch nicht einmal begonnen hat. Am 11. März 2013 gab es zwar eine feierliche Eröffnung der Arbeiten auf pakistanischem Gebiet, zu der die Präsidenten beider Länder angereist waren, doch folgte danach offenbar nichts. Pakistan benötigt angeblich 2,5 Milliarden Dollar für den Bau. Iran hatte bereits 500 Millionen als Anleihe zugesagt.

Die geplante Pipeline soll vom Erdgasfeld South Pars im Persischen Golf zur größten Stadt Pakistans, Karatschi, und weiter nach Multan im Zentrum des Landes führen. Von dort aus sollte die Leitung früheren Absprachen zufolge ins nahe gelegene Indien verlängert werden. Die Regierung in New Delhi stieg jedoch 2009 aus dem Projekt aus, nachdem sie von der US-Regierung mit attraktiven Belohnungen gelockt worden war. Dazu gehört ein im Oktober 2008 geschlossenes Abkommen über nukleare Zusammenarbeit.

Die Planung der Erdgasleitung sieht eine Kapazität von 110 Millionen Kubikmetern pro Tag vor. Davon sollen nach dem indischen Ausstieg 50 Millionen im iranischen Netz bleiben. Pakistan soll zunächst 21 Millionen Kubikmeter pro Tag erhalten, mit der Option einer schrittweisen Steigerung auf 60 Millionen.

Die US-Regierungen hatten Pakistan von Anfang an mit schweren Strafmaßnahmen gedroht, falls es die Pipeline realisieren würde. Gleichzeitig hatten sie immer wieder ihr Gegenprojekt ins Spiel gebracht: Eine 2.700 Kilometer lange Gasleitung, die von Turkmenistan durch Afghanistan nach Pakistan und weiter nach Indien führen sollte. Nach den Anfangsbuchstaben der beteiligten Länder spricht man von der TAPI-Pipeline. Das US-Unternehmen UNOCAL nahm 1995 Verhandlungen mit den Taliban auf, die damals noch den größten Teil Afghanistans kontrollierten. Im Januar 1998 kam es sogar zur Unterzeichnung eines Vertrags. Das Abkommen wurde lediglich durch die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Dar-as-Salam vom 7. August 1998 obsolet: Sie wurden Bin Laden zugeschrieben, dem die Taliban damals Asyl gewährt hatten.  

Bemerkenswert ist, dass die US-Regierung unter Bill Clinton bis dahin die Verhandlungen zwischen  UNOCAL und den Taliban zumindest toleriert, wenn nicht sogar gefördert hatte. Zur gleichen Zeit musste bereits jeder US-Amerikaner, der auch nur Gespräche über Investitionen in die iranische Energiewirtschaft führte, mit hohen Strafen rechnen.

Seit dem Beginn der westlichen Militärintervention in Afghanistan im Oktober 2001 bis heute wurde kein Handschlag getan, um das TAPI-Projekt zu verwirklichen. Zur Behebung der äußerst dringenden pakistanischen Energieknappheit ist diese „Alternative“ der Obama-Administration so wenig hilfreich wie eine Reihe weiterer amerikanischer Vorschläge, die riesige - nicht vorhandene – Investitionen und jahrelange Vorlaufzeiten erfordern würden. Millionen Pakistaner müssen nach dem Willen Washingtons weiter frieren.  

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. Januar 2014