KNUT MELLENTHIN

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Neue iranische Atomanlagen: Alles nur Bluff?

Internationale Experten bezeichnen die iranische Ankündigung vom Sonntag, zehn neue Anlagen zur Uran-Anreicherung zu bauen, als völlig unrealistisch. David Albright, ehemaliger Atominspektor im Irak und Betreiber eines privaten militärwissenschaftlichen Instituts in Washington, hält den Plan für undurchführbar. Zu den technischen und finanziellen Problemen kämen die mittlerweile verhängten Sanktionen. Iran sei daher kaum noch in der Lage, die benötigten Technologien auf dem internationalen Markt zu kaufen. Nach Einschätzung Albrights reichen überdies die iranischen Uran-Vorkommen für ein so gigantisches Projekt gar nicht aus. Allerdings gibt es über den wirklichen Umfang dieser Ressourcen bisher nur Vermutungen und Behauptungen.

Der US-amerikanische Politologe Gary Sick, der der Iran-Politik seines Landes kritisch gegenübersteht, bezeichnet die Pläne der iranischen Regierung als „heiße Luft von Leuten, die nicht wissen, wovon sie reden“. Iran habe in seiner Anreicherungsanlage bei Natanz, deren Bau 2000 oder 2001 begonnen wurde, noch nicht einmal 9000 der geplanten 55.000 Zentrifugen installiert. Das entspreche einem jährlichen Zuwachs von ungefähr 1000 Zentrifugen. Bei diesem Tempo, meint Sick, würde Iran 500 Jahre brauchen, um die von Präsident Mahmud Ahmadinedschad angekündigten 500.000 Zentrifugen herzustellen und in Betrieb zu nehmen.

Diese Rechnung enthält einen offensichtlichen methodischen Fehler: Sie ignoriert, dass die Anlage in Natanz zunächst einmal errichtet werden musste und dass Iran fast zwei Jahre lang ein Bau- und Betriebsmoratorium einhielt. Iran hat erst im Frühjahr 2006 begonnen, in Natanz Zentrifugen aufzustellen und zu testen. Richtig gerechnet liegt der jährliche Zuwachs in diesem Zeitraum nicht bei 1000, sondern bei 3000 Zentrifugen.

Das allein macht freilich keinen großen Unterschied, sondern verkürzt die von Sick kalkulierte Zeit lediglich von 500 Jahren auf 165. Die Berechnungsgrundlage ändert sich aber erheblich, wenn man bedenkt, dass Iran sich immer noch in einer Testphase ohne eigene Erfahrungen und ohne wissenschaftliche Unterstützung aus dem Ausland befindet. Bis heute treten große technische Schwierigkeiten auf. Außerdem vermuten Experten, dass Iran das Tempo in Natanz bisher gedrosselt hat, um die politische Konfrontation nicht zu verschärfen und um mehr Zeit für Verhandlungen zu gewinnen.

Wie viel Zentrifugen Iran heute schon herstellen kann und über welche Möglichkeiten zur künftigen Steigerung der Produktion es verfügt, ist in Wirklichkeit nicht bekannt und kann nicht einmal näherungsweise geschätzt werden. Jedenfalls ist anzunehmen, dass das Tempo der Aufstellung neuer Zentrifugen-Komplexe nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten deutlich gesteigert werden kann.

Ein gigantisches, vielleicht sogar unrealistisches Vorhaben bleibt der von der Regierung in Teheran angekündigte Plan trotzdem. Allerdings kommt er nicht wirklich überraschend und ist sicher keine ärgerliche „Bauchreaktion“ auf die Resolution der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), wie der französische Außenminister Bernard Kouchner meint. Zehn Anlagen mit der Kapazität von Natanz sind die Voraussetzung, um jährlich 250 bis 300 Tonnen Nuklearbrennstoff aus schwach angereichertem Uran produzieren zu können. Diese Menge wird benötigt, um die 20 Atomkraftwerke zu versorgen, die Iran gemäß seinem Zwanzig-Jahr-Plan 2005-2025 errichten will.

Dass die iranische Regierung am Sonntag nicht im spontanen Zorn entschieden hat und dass es sich auch nicht um einen „politischen Bluff“ handelt, wird an einem Detail der Ankündigung ganz klar: Der Bau von fünf Anreicherungsanlagen soll schon in zwei Monaten beginnen. Für diese gibt es also offenbar schon Konstruktionspläne und Standort-Zuweisungen. Das setzt zumindest mehrere Monate Planung voraus.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 2. Dezember 2009