KNUT MELLENTHIN

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Parlamentswahl im Iran bringt keine wesentlichen Veränderungen

Im Iran wurde am Freitag voriger Woche ein neues Parlament gewählt. Noch sind die Stimmen nicht vollständig ausgezählt. Außerdem werden erfahrungsgemäß etwa ein Fünftel der Mandate erst in einer Stichwahl vergeben, die vermutlich Anfang Mai stattfinden wird. Und um das Bild abzurunden: Die genaue Position vieler gewählter Abgeordneter im politischen Spektrum ist unklar. Das gilt vor allem für die Differenzierungen unter den im Westen als "Konservative" bezeichneten Politikern, die im Iran als "Prinzipalisten" firmieren und die sich mehr oder weniger in Anhänger und Gegner von Präsident Mahmud Ahmadinedschad trennen.

So gleicht die Einschätzung der Wahlergebnisse bisher noch einem Stochern im Nebel. Nach Angaben des Innenministeriums vom Sonnabend entfallen rund 70 Prozent der bisher vergebenen Mandate auf "Prinzipalisten". Das entsprach zu diesem Zeitpunkt 120 bis 125 der insgesamt 290 Sitze des Parlaments. Nach einer Schätzung der iranischen Nachrichtenagentur auf anderer Grundlage, aber ebenfalls vom Sonnabend, sind 57 der gewählten "Prinzipalisten" als Anhänger Ahmadinedschad zu rechnen und 40 eher als Kritiker des Präsidenten.

Die im Westen als "Reformer" bezeichneten Kräfte betrachten es als großen Erfolg, dass sie trotz erheblicher Beschränkungen die Zahl ihrer Abgeordneten voraussichtlich erhöhen können. Wie schon bei der Wahl vor vier Jahren hatte das oberste Gremium Irans, der Wächterrat, hunderte Bewerber - in den meisten Berichten ist von 1.700 die Rede - nicht zugelassen. Neben formalen Gründen spielten dabei Behauptungen wie mangelnde Treue zum Islam die Hauptrolle. Über das Ausmaß der Ablehnung von Bewerbern widersprechen sich die Berichte der westlichen Medien. Sicher viel zu hoch angesetzt ist die Behauptung, 90 Prozent der "Reform"-Kandidaten seien von den Listen gestrichen worden. Insgesamt wurden knapp 30 Prozent aller Bewerber vom Wächterrat abgelehnt. Bei den "Reformern" liegt der Anteil vermutlich höher. Nach glaubwürdigen Berichten wurden sie ungefähr in der Hälfte aller Wahlkreise daran gehindert, Kandidaten aufzustellen. Im nächsten Parlament werden sie voraussichtlich mit mindestens 50 Abgeordneten vertreten sein. Derzeit halten sie 40 Sitze.

Führende Politiker hatten dazu aufgerufen, eine hohe Wahlbeteiligung zum Zeichen der nationalen Einheit vor dem Hintergrund des internationalen Streits um das iranische Atomprogramm zu machen. Im Jahr 2004 hatte es mit 51,2 Prozent einen Negativrekord gegeben. Viele "Reformer" hatten damals zum Wahlboykott aufgerufen, nachdem rund 2.500 ihrer Kandidaten von den Listen gestrichen worden waren. Jetzt gingen zwischen 60 und 65 Prozent der etwa 44 Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen.

Dieses Ergebnis bleibt jedoch weit hinter der Rekord-Wahlbeteiligung des Jahres 2000 zurück, die über 80 Prozent lag. Die "Reformer" konnten damals mit 65 Prozent der Stimmen und 189 Mandaten einen eindrucksvollen Sieg erringen. Die "Konservativen" landeten bei nur 19 Prozent und 54 Sitzen; der Rest entfiel auf "Unabhängige" unterschiedlicher Orientierung. Die Gruppen an der Macht reagierten auf das für sie niederschmetternde Ergebnis mit einer Welle der Repression gegen den "Reformern" nahe stehende Medien und Institutionen. Viele Zeitungen wurden geschlossen. Der selbst als "Reformer" geltende damalige Präsident Mohammad Khatami, der jetzt die Opposition anführt, verhielt sich weitgehend untätig, was ihn viele Sympathien in systemkritischen Teilen der Bevölkerung kostete.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 17. März 2008