KNUT MELLENTHIN

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Souveräne Brandstiftung

Man hat es in diesen Tagen dutzende Male gehört. Zunächst von israelischen Politikern und dann echo-artig auch von ihren US-amerikanischen Kollegen: Israel hat jederzeit und uneingeschränkt das „souveräne Recht“, Kriege zu beginnen – nicht etwa, weil es angegriffen wurde, sondern einfach nur, weil es sich von irgendjemand bedroht glaubt.

Damit beansprucht Israel im Grunde auch nicht mehr als sein „unverbrüchlicher“ großer Verbündeter und in alle Ewigkeit „unerschütterlicher“ Helfer, die USA. Trotzdem ist daran zu erinnern, dass das internationale Recht nicht vom subjektiven Sicherheitsgefühl einzelner Regierung bestimmt wird, sondern an allgemeinen Standards orientiert ist. Was dagegen die USA und Israel praktizieren, ist nichts weiter als die Macht des Stärkeren.

Wer einen Krieg beginnt, löst damit so weitreichende, durchaus nicht nur sein eigenes Land betreffende Folgen aus, dass er diese Entscheidung nicht als seine „innere Angelegenheit“ deklarieren darf. Wer sich ein Haus mit anderen teilt, hat nicht das „souveräne Recht“, seine Wohnung unter Wasser zu setzen oder Feuer im Treppenhaus zu legen. Nicht nur russische und chinesische, sondern auch US-amerikanische Politiker und Militärs warnen, dass ein Angriff auf den Iran zumindest für die gesamte Region, vielleicht aber darüber hinaus auch weltweit „katastrophale“ Folgen haben könnte, die weder im voraus einschätzbar noch nach ihrem Beginn kontrollierbar wären. Eine Reihe prominenter aktiver oder ehemaliger Militärs und Geheimdienstler Israels vertreten die gleiche Einschätzung.

Überdies ist der von Regierungschef Benjamin Netanjahu verwendete Slogan, Israel müsse „immer Herr seines Geschicks“ sein, scheinheilig und unehrlich. Israel wäre, sofern es nicht sein Atomwaffenarsenal zum Einsatz bringen will, nicht imstande, gegen Iran einen längeren Krieg zu führen. Allenfalls könnten israelische Luftangriffe das iranische Atomprogramm um wenige Jahre verzögern – und zugleich vielleicht Teheran zu der bisher zurückgewiesenen Entscheidung provozieren, wirklich die Entwicklung von Nuklearwaffen in Auftrag zu geben.

Ein israelischer Angriff gegen iranische Ziele könnte nur einen einzigen realistischen Zweck haben: Reaktionen und Wechselwirkungen auszulösen, die die USA sehr schnell zum Kriegseintritt an der Seite Tel Avivs nötigen. Diesem Automatismus würde sich mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit kein US-Präsident entziehen wollen und können. Weder der Opportunist Barack Obama noch, erst recht, ein möglicher Nachfolger aus den Reihen der Republikaner.

Ob Israels Regierung wirklich einen Alleingang plant, ist dennoch ungewiss. Vielleicht setzt sie einfach nur darauf, mit dem ständigen Säbelrasseln Washington zum Losschlagen zu erpressen. Umfragen zeigen, dass 80 Prozent der Israelis keinen Krieg gegen Iran wollen, wenn sie ihn allein führen müssten.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 7. März 2012