KNUT MELLENTHIN

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"Äußerst wirklichkeitsnah"

Die georgische Regierung verteidigt Fernseh-Fake zur Diskriminierung der Opposition

Georgiens Präsident Michail Saakaschwili hat eine am Sonnabend ausgestrahlte Pseudo-Nachrichtensendung als „äußerst wirklichkeitsnah“ verteidigt. Sie habe gezeigt, „was wirklich passieren könnte oder was Georgiens Feinde planen“.

Die dreißigminütige „Live-Reportage“ des Fernsehsenders Imedi war mit Originalfilmaufnahmen, aber falschem Ton so realistisch konstruiert, dass sie in Teilen der georgischen Bevölkerung eine Panik auslöste. Dass es sich dabei um erfundene Vorgänge handelte, war lediglich zu Beginn der Sendung mitgeteilt worden. Wer sich erst später zuschaltete, konnte die „Reportage“ für real halten.

Hintergrund der fiktiven Handlung: Im Mai sollen in Georgien lokale Vertretungen und  Bürgermeister gewählt werden. Die „Live-Reportage“ schilderte eine fiktive Krise, die sich aus der Weigerung der Opposition, das Wahlergebnis anzuerkennen, entwickelt hatte. Während es auf den Straßen zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen sei, drohe Russland einzugreifen. Die Rede war von an der Grenze konzentrierten russischen Panzern und von „in Verteidigungsbereitschaft versetzten“ georgischen Einheiten. Dann wurden Gerüchte über einen Anschlag auf den Präsidenten der Republik Südossetien, Eduard Kokoity, gemeldet. Als nächstes hieß es, zwei der einflussreichsten georgischen Oppositionspolitiker, Nino Burdschanadse und Surab Nogaideli, seien in der südossetischen Hauptstadt Tschinwali eingetroffen und hätten von dort aus Saakaschwili für das angebliche Attentat verantwortlich gemacht. Kurz darauf wurde gemeldet, dass russische Panzertruppen die Grenze überschritten hätten und im Vormarsch auf die Hauptstadt Tiblissi seien. Es folgte ein Ausschnitt, der US-Präsident Barack Obama bei einer Ansprache zeigte, wobei ihm im georgischen Text die Aufforderung an Russland untergeschoben wurde, „seine Militäroperationen sofort einzustellen“.

Sowohl Saakaschwili als auch Imedi-Chef Giorgi Arweladse rechtfertigten nachträglich den mit der Sendung beabsichtigten Angriff auf die Opposition, insbesondere aber gegen die ehemalige Mitkämpferin Saakaschwilis in der „Rosenrevolution“ von 2003 und spätere Parlamentspräsidentin Burdschanadse sowie gegen Nogaideli, der in den Jahren 2005 bis 2007 Regierungschef gewesen war. „Wer die Hand geschüttelt hat, an der georgisches Blut klebt, kann keinerlei Würde haben“, sagte Saakaschwili am Sonntag. Er bezog sich damit auf die Gespräche der beiden Oppositionspolitiker mit Wladimir Putin: Nogaideli hatte den russischen Ministerpräsidenten am 23. Dezember vorigen Jahres getroffen, Burdschanadse am 4. März. Beide wurden daraufhin von Saakaschwilis allein regierender Nationalpartei als „Verräter“ und „Kollaborateure“ beschimpft. Indessen wächst nicht nur in der Opposition, sondern auch in breiteren Kreisen der georgischen Gesellschaft die Überzeugung, dass es Zeit für eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland ist.

Nino Burdschanadse kündigte nach der Sendung eine Klage gegen Imedi TV an. „Ich kann mir kein normales Land vorstellen, wo so etwas möglich ist“, sagte die Oppositionspolitikerin. Imedi ist einer von zwei „Privatsendern“ in dem weitgehend von staatlichen Medien beherrschten Land. Beide Sender befinden sich allerdings in der Hand von langjährigen Saakaschwili-Freunden. Der am 11. März veröffentlichte jährliche Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums konstatierte, dass sowohl Imedi als auch der zweite „Privatsender“, Rustawi-2, eine „regierungsfreundliche Redaktionspolitik“ betreiben. Der „Respekt vor der Freiheit der Medien“ habe abgenommen, so das State Department, und es gebe „glaubwürdige Berichte, daß die Regierung die Rede- und Pressefreiheit beschneidet“.

Dass die US-Regierung über ihre georgischen Partner nicht glücklich ist, verdeutlichte auch der Kommentar des amerikanischen Botschafters in Tbilissi zu der Fake-Sendung: Sie sei „verantwortungslos“ und „nicht hilfreich für die wirklichen Sicherheitsinteressen Georgiens“ gewesen, sagte John Bass.

Knut Mellenthin
Junge Welt, 16. März 2010