KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

"Meuterer" vor Gericht

Prozess in Georgien richtet sich zugleich gegen die Opposition

In der georgischen Hauptstadt Tbilissi wird in dieser Woche der Prozess gegen 26 Militärs und 15 Zivilisten fortgesetzt, die im Zusammenhang mit der „Meuterei“ von Mukhrowani angeklagt sind. Was sich bei den Vorgängen vom 5. Mai auf dem nahe bei Tbilissi gelegenen Militärstützpunkt tatsächlich ereignet hat, ist nach wie vor nicht aufgeklärt und wurde auch im bisherigen Verlauf der Gerichtsverhandlungen, die Ende August begannen, nicht erhellt.

Nachdem die staatlichen Medien am Vormittag des 5. Mai gemeldet hatten, dass unter den in Mukhrowani stationierten Soldaten und Offizieren eine „Meuterei“ ausgebrochen sei, hatte die georgische Regierung andere Militäreinheiten in Marsch gesetzt und den Stützpunkt total abriegeln lassen. Am Nachmittag ließ sich Präsident Michail Saakaschwili nach Mukhrowani bringen, um dort die kampflose Kapitulation der „Meuterer“ entgegen zu nehmen. 500 Soldaten und Offiziere wurden festgenommen und in einen anderen Stützpunkt gebracht, wo sie stundenlang verhört wurden. Während der Ereignisse war kein einziger Schuss gefallen, niemand wurde verletzt.

Die „Meuterei“, so hatte ein Sprecher des Innenministeriums schon mittags auf einer Pressekonferenz behauptet, habe als Mindestziel die Störung der NATO-Manöver in Georgien, die am folgenden Tag beginnen und bis zum 1. Juni dauern sollten. (Die Manöver fanden nach der Aufgabe der „Meuterer“ wie geplant statt.) Maximalziel der „Meuterer“ sei die Auslösung einer Militärrevolte im ganzen Land gewesen, um gewaltsam die Regierung zu stürzen. Später behauptete Innenminister Wano Merabischwili, die „Meuterer“ hätten vorgehabt, Russland zur Unterstützung aufzufordern. Außerdem hätten sie mit der Opposition in Verbindung gestanden, die damals fast täglich für den Rücktritt Saakaschwilis demonstrierte.

Unter denen, die der Beteiligung an der „Meuterei“ beschuldigt werden, ist eine Reihe bekannter Personen: Gia Gwaladse, der in den 1990er Jahren Chef einer Spezialtruppe des Verteidigungsministeriums war; Davit Tewsadse, ein ehemaliger Verteidigungsminister; Dschemal Gakhokidse, ein früherer Sicherheitsminister; Koba Kobaladse, ehemaliger Kommandant der Nationalgarde; Gia Karkaraschwili, ein hochrangiger Armeeoffizier während des Kriegs gegen Abchasien Anfang der 1990er Jahre. Die Anschuldigungen gegen ihn haben besondere Bedeutung, weil er heute der Gruppe um den Oppositionspolitiker Irakli Alasania nahe steht.

Nach Berichten von maßgeblich Beteiligten beschränkte sich die „Meuterei“ von Mukhrowani auf eine kollektive Befehlsverweigerung: Soldaten und Offiziere erklärten angeblich nur ihre Entschlossenheit, sich nicht gegen die Oppositionsbewegung einsetzen zu lassen und nicht an einer für die nächsten Tage geplanten Militärparade zum Nationalfeiertag im Zentrum von Tbilissi teilzunehmen. Keine Einheit verließ während der „Meuterei“ den Stützpunkt.

Eine weitere Seltsamkeit ist, dass die Sicherheitsbehörden nach eigenen Aussagen schon seit dem 26. März über die Pläne der führenden „Meuterer“ informiert waren und dass von diesem Zeitpunkt an die Gruppe gezielt von Informanten des Innenministeriums unterwandert worden war. Die Regierung hatte sich offenbar aus politischen Gründen dafür entschieden, die „Meuterei“ stattfinden zu lassen.

Am Freitag voriger Woche erklärten sich nach Verlesung der Anklageschrift 32 der 41 Angeklagten für schuldig und zwei weitere für teilweise schuldig. Überwiegend handelt es sich dabei um Personen, denen nur relativ leichte Vergehen wie „Ungehorsam“ oder Nichtanzeige einer geplanten Straftat vorgeworfen werden. Allerdings sind unter denen, die sich „schuldig“ bekannt haben, auch sechs, die wegen Planung eines gewaltsamen Staatsstreichs angeklagt sind. Angeblich hat die Staatsanwalt mit den meisten Angeklagten im Voraus „Deals“ abgeschlossen, die auch deren Auftritt als Konzeugen beinhalten.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 16. September 2009