KNUT MELLENTHIN

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Araber ausbürgern

Während zum Schein über einen palästinensischen Staat verhandelt wird, treibt Israel die Annektion der besetzten Gebiete voran.

Israels Außenminister Avigdor Lieberman fordert die Ausbürgerung von Hunderttausenden arabischer Bewohner des Landes. Der aus der früheren Sowjetunion eingewanderte Ultrarechte will auf diese Weise die „demographische Zeitbombe“ entschärfen. Dieser rassistische Begriff ist in Israel weit über die Anhänger der Rechten hinaus gebräuchlich. Er bezeichnet die Tatsache, dass gegenwärtig rund ein Fünftel der über acht Millionen israelischen Staatsbürger arabischer Herkunft sind. Angeblich gefährdet das bereits den „jüdischen Charakter“ des Staates. Der Oberste Gerichtshof des Landes hat gerade kürzlich entschieden, dass es keine israelische Nationalität gibt. Die Personalpapiere der Bewohner werden auf „Juden“, „Araber“, „Drusen“, „Armenier“ usw. ausgestellt, aber keinesfalls auf „Israelis“. Zwischen den Angehörigen der verschiedenen Gruppen besteht keine rechtliche Gleichstellung. „Jude“ zu sein, selbst wenn man gerade erst aus den USA oder Russland zugewandert ist, verbindet sich sofort mit etlichen Privilegien.

Lieberman, Mitglied der Regierungspartei Likud-Jisrael Beitenu, ist erst seit kurzem wieder Außenminister, nachdem gegen ihn laufende Ermittlungen wegen Betruges aus Mangel an Beweisen eingestellt wurden. Am Sonntag erklärte er vor israelischen Diplomaten, dass er kein Friedensabkommen mit den Palästinensern unterstützen werde, das nicht einen umfangreichen „Land- und Bevölkerungsaustausch“ enthält. Er meine damit „das Dreieck und Wadi Ara“, konkretisierte er. In diesem 50 Quadratkilometer großen Gebiet rund um die Stadt Haifa leben 300.000 Israelis arabischer Herkunft. „Sie bezeichnen sich selbst als Palästinenser“, sagte Lieberman zynisch. „Warum sollten sie sich also nicht ihren palästinensischen Brüder anschließen?“. Auf diese Weise könnten sie doch endlich „in dem Palästinenserstaat leben, denn sie sich so sehnlichst wünschen“.

Vorschläge und Pläne dieser Art gibt es in Israel seit vielen Jahren. Ebenso lange ist bekannt, dass die arabischen Staatsbürger diesen „Bevölkerungsaustausch“ nicht wollen. Und sei es nur, weil die Ausbürgerung sie von ihren in Israel lebenden Verwandten und Freunden abschneiden, Familien und Ehen zerreißen würde. Zudem sind diese menschenfeindlichen Gedankenspiele auch völlig verlogen, da Likud–Jisrael Beitenu – eigentlich ein rein taktischer Zusammenschluss zweier rechter Parteien – die Bildung eines souveränen palästinensischen Staates kategorisch ablehnt.

Liebermans Vorstoß, der angeblich auch von Regierungschef Benjamin Netanjahu unterstützt wird, ist im Zusammenhang mit alten rechtszionistischen Ideen zu sehen, die zur Zeit wieder Konjunktur in den Kommentaren der israelischen Mainstream-Medien haben: Die palästinensischen Bewohner der besetzten Gebiete sollen wider Willen zu Staatsbürgern des benachbarten Jordanien erklärt werden. Weder an der militärischen Kontrolle der Gebiete durch die israelischen Streitkräfte noch am Bestand und Ausbau der jüdischen Siedlungen soll sich dadurch etwas ändern.

Der Ministerausschuss für Gesetzgebung, dem zehn der 22 Kabinettsmitglieder angehören, hat vor kurzem die Unterstützung eines Gesetzes beschlossen, durch das das sogenannte Jordantal annektiert werden soll. Das bedeutet zum einen, dass ein palästinensischer Staat, über den zum Schein immer noch verhandelt wird, keine Außengrenze hätte, sondern von israelischem Territorium umschlossen wäre. Es bedeutet darüber hinaus praktisch auch, dass rund ein Drittel der Westbank mit den fruchtbarsten Böden und den lebenswichtigen Wasservorräten dauerhaft Teil Israels bleiben soll. Es besteht kein Zweifel, dass auch die Mehrheit des Kabinetts hinter diesem Annektionsplan steht.

Gleichzeitig konzentriert sich US-Außenminister John Kerry darauf, die Palästinenser dazu zu nötigen, Israel „als jüdischen Staat anzuerkennen“. Also nach Lage der Dinge als einen Staat, dessen arabische Bürger nicht nur in der Realität, sondern auch nach dem Gesetz weit von Gleichberechtigung entfernt sind.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 9. Januar 2014