KNUT MELLENTHIN

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Bock als Gärtner

Die USA besitzen drei bis fünf Mal so viele Chemiewaffen wie Syrien, wollen aber ihre Bedingungen diktieren. 

Die Verhandlungen über die syrischen Chemiewaffen gestalten sich offenbar schwierig. Während US-Außenminister John Kerry am Freitag die Genfer Gespräche mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow nach Diplomatensitte als „konstruktiv“ bezeichnete, versucht Washington, eine politische Lösung durch Maximalforderungen zu erschweren.

Präsident Baschar al-Assad hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass Syrien den Beitritt zur Konvention über das Verbot der Lagerung und des Einsatzes von chemischen Waffen beantragt hat. Dieses Abkommen wurde im November 1992 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen gebilligt, im Januar 1993 zur Unterschrift präsentiert, und trat im April 1997 in Kraft. Nach den Regeln dieser Konvention müsste Syrien nun innerhalb von 60 Tagen eine Deklaration über Art und Menge seiner chemischen Waffen sowie deren Produktions- und Lagerorte vorlegen. 

Kerry kritisierte jedoch am Freitag, dass die im Abkommen vorgesehene Standardprozedur in diesem Fall „viel zu langsam“ sei. Er begründete das mit der nach wie vor völlig unbewiesenen Unterstellung, dass die syrische Regierung für den Einsatz von Giftgas am 21. August verantwortlich sei. Während Kerry dazu keine näheren Ausführungen machte, forderte die Pressesprecherin der Vertretung der USA bei der UNO, Erin Pelton, dass Syrien „sofort“ seine Chemiewaffen offenlegen, übergeben und unter internationaler Überwachung vernichten müsse.

Diese Forderung mutet um so seltsamer und unverschämter an, da die USA es in den 16 Jahren seit Inkrafttreten der Konvention selbst nicht geschafft haben, ihre Chemiewaffen-Bestände vollständig unschädlich zu machen. Tatsächlich sind die amerikanischen Vorräte immer noch drei bis fünf mal so groß wie die syrischen, über die es allerdings nur Schätzungen gibt.  Während davon ausgegangen wird, dass Syrien etwa 1.000 Tonnen chemische Kampfstoffe besitzt, hatten die USA nach ihren eigenen Angaben gegenüber der internationalen Behörde für die Überwachung der Konvention (OPCW) im Januar 2010 annähernd 5.500 Tonnen. Eine Tonne entspricht 1.000 Kilogramm. Israel hat das Abkommen zwar 1993 unterschrieben, aber nicht ratifiziert. Es braucht sich daher nicht daran zu halten, macht keine Angaben über seine Bestände und lässt auch keine Inspektoren der OPCW ins Land.

Mit neuen Gerüchten heizen einige Medien die Kriegspropaganda wieder an. Die UN-Inspektoren, die sich in der vorigen Woche in Syrien aufhielten, hätten „Hinweise“ gefunden, „dass das Assad-Regime für den Giftgasangriff auf Vororte von Damaskus verantwortlich ist“, hieß es am Freitag in der Online-Ausgabe des Nachrichtenmagazins Spiegel.  Angeblich soll die Flugbahn der Granaten, mit denen das Giftgas verschossen wurde, beweisen, dass sie aus einer von Regierungstruppen kontrollierten Gegend abgefeuert wurden. Das wäre allerdings, selbst wenn es wahr wäre, angesichts der Situation im syrischen Bürgerkrieg kein schlüssiges Indiz.

Türkische Zeitungen berichteten am Freitag, dass islamistische Rebellen der Al-Nusra-Front vor  mehreren Monaten versucht hätten, in der Türkei Ausgangsstoffe für den chemischen Kampfstoff Sarin zu kaufen, der vermutlich am 21. August eingesetzt wurde. Gegen einen im Mai festgenommenen Syrer habe die Staatsanwalt jetzt Anklage erhoben. Die Al-Nusra-Front gilt als militärisch schlagkräftigste und einflussreichste Organisation der Rebellen. Sie wird von den USA als „Ableger von Al-Kaida“ eingestuft. 

Knut Mellenthin

Junge Welt, 14. September 2013