KNUT MELLENTHIN

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Faxen im Sommerloch

Jungstar der CDU/CSU meldet Distanzierung der Bundesregierung von der Israel-Politik der EU.

„Die Bundesregierung hat sich von den umstrittenen EU-Leitlinien zu Förderprogrammen für Israel distanziert.“ - Das behauptet zumindest der Unionsabgeordnete Philipp Mißfelder seit Freitag auf seiner Website. Einige Medien, darunter Springers Welt und die israelische Jerusalem Post, haben die Nachricht ungeprüft weiterverbreitet, obwohl Mißfelder für seine Aussage keinerlei Beleg geliefert hat und sich für diese auch im Internet keine Bestätigung finden lässt. Anfragen der Jungen Welt bei Mißfelder selbst, bei Bundeskanzlerin Angela Merkel und bei Bundesaußenminister Guido Westerwelle blieben am Montag unbeantwortet.

Die am Freitag veröffentlichten Richtlinien schreiben vor, dass israelische Körperschaften, die ihren Sitz in den besetzten Gebieten haben, keine Fördermittel der Europäischen Union erhalten dürfen. Das entspricht, wie auch israelische Regierungsmitglieder ausdrücklich bekundeten, der bisherigen „stillschweigenden Praxis“. Mit der Fixierung in Form einer schriftlichen Direkte setzte die EU-Kommission lediglich einen Beschluss der europäischen Außenminister vom 10. Dezember 2012 um.

Seit die neuen Leitlinien am vorigen Montag, noch vor ihrer offiziellen Veröffentlichung, durch die israelische Tageszeitung Ha'Aretz bekannt gemacht wurden, stehen die Mitgliedstaaten der EU unter starkem Druck der israelischen Regierung und der internationalen Pro-Israel-Lobby, die Direktive wieder aus dem Verkehr zu ziehen. Die Kampagne konzentriert sich in erster Linie auf die deutsche Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel, weil diese erfahrungsgemäß als das schwächste, am leichtesten beeinflussbare Kettenglied angesehen wird, wenn es um die Zurückweisung von Kritik an Israel oder auch den USA geht. Die Lobbyisten operieren dabei mit krassen Fehlinformationen über den Inhalt der Richtlinien und mit den üblichen obszönen Vergleichen. So fühlt sich beispielsweise das Pariser Büro des Wiesenthal Centers in seiner Presseerklärung an den judenfeindlichen Nazi-Boykott der 1930er Jahre erinnert. Der ehemalige stellvertretende israelische Außenminister Danni Ajalon umschmeichelte die Kanzlerin in einem offenen Brief und baute ihr eine Brücke, indem er unterstellte, die Direktive der „EU-Bürokratie in Brüssel“ sei für sie „eine unerwartete Überraschung“ gewesen.

„Es ist zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung von den EU-Leitlinien distanziert“, heißt es in Mißfelders Presseerklärung, denn diese seien „reine Ideologie und Symbolpolitik“. Schließlich sei Israel in den Palästinensergebieten „die anerkannte Verwaltungsmacht“. Ob der Abgeordnete damit einem Wink von Merkel folgte, die sich selbst nicht so direkt exponieren mochte, oder ob er das Wochenende und die Sommerpause für einen dreisten Streich genutzt hat, muss sich erst noch herausstellen.

Mißfelder wird von den Medien gern als aussichtsreichster Nachwuchspolitiker der Union hofiert. Mit 26 Jahren als Vorsitzender der Jungen Union in den Bundestag eingezogen, wurde er vier Jahre später, gerade mal dreißigjährig, zum außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion befördert. Die Türkei gehört nach seinem Urteil nicht zu Europa, Demonstranten vergleicht er gern mal mit  Terroristen, und für die vermeintlichen Interessen Israels tut er gewohnheitsmäßig fast alles.  

Eine Mitteilung der Unionsfraktion an die Junge Welt lässt vermuten, dass Mißfelder sich mit seiner Behauptung, die Bundesregierung habe sich von der EU-Direktive distanziert, auf einen Artikel der Welt bezogen haben könnte. Dort hieß es am Freitag, unter Berufung auf die Bild: „Das deutsche Außenministerium distanzierte sich von der umstrittenen EU-Leitlinie.“ In Wirklichkeit stellten allerdings die zitierten Äußerungen, die die Bild einer nicht namentlich genannten „Sprecherin“ des Ministeriums zugeschrieben hatte, keine Distanzierung dar und waren selbst bei sehr phantasievoller Auslegung nicht in diesem Sinn interpretierbar.  

Knut Mellenthin

Junge Welt, 23. Juli 2013