KNUT MELLENTHIN

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High Noon im Mittelmeer

Wie erst am Wochenende bekannt wurde, hat es am Donnerstag einen weiteren deutsch-israelischen Zwischenfall vor der libanesischen Küste gegeben. Ein Bundeswehrhubschrauber wurde in gefährlicher Weise von israelischen Jagdbombern bedrängt.

Zuvor waren am Dienstag sechs israelische Kampfflugzeuge im Tiefflug über das mit Abhör-Elektronik vollgestopfte deutsche Aufklärungsschiff "Alster" gedonnert und hatten zwei "Warnschüsse" abgegeben. Israelische Stellen hatten den Scheinangriff zunächst mit Behauptungen gerechtfertigt, die sich schnell als unwahr herausstellten. In diesen Versionen war von einem deutschen Hubschrauber die Rede, der sich angeblich auf Aufforderung nicht identifiziert habe. Der fragliche Hubschrauber war jedoch nicht von der "Alster" aufgestiegen - die keine Hubschrauber mitführt -, sondern von einem anderen deutschen Schiff. Entgegen ersten israelischen Angaben befanden sich sowohl der Hubschrauber als auch die "Alster" eindeutig in internationalen Gewässern.

Bis heute bestreitet die israelische Regierung, dass Schüsse abgegeben wurden. Der gesamte Zwischenfall ist aber durch Filmaufnahmen dokumentiert. Die Koalition scheint jedoch fest entschlossen, den Zwischenfall unaufgeklärt unter den Teppich zu kehren. Regierungssprecher behaupteten, alles sei "geklärt" und es sei sichergestellt, dass sich ein solcher Zwischenfall nicht wiederholen werde.

Dieses Versprechen ist durch die jüngste Provokation vom Donnerstag schon widerlegt. Tatsächlich ist auch hinsichtlich des Zwischenfalls am vorigen Dienstag nichts geklärt: Nachdem sich alle israelischen Schutzbehauptungen als unwahr erwiesen haben, ist die Frage unbeantwortet, was die wirklichen Gründe für den Scheinangriff waren und welche Stelle ihn angeordnet hat. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) will sich am Freitag in Tel Aviv mit seinem israelischen Amtskollegen Amir Perez treffen, um über eine "bessere Abstimmung" der deutschen Marine mit den israelischen Streitkräften zu sprechen, wie Perez es gefordert hat. Diese "Koordination" ist allerdings ein absolut einseitiger Vorgang und besteht nur darin, dass die Bundesmarine alle Aktivitäten vorher bei den Israelis anmelden muss.

Israel hat damit einen wesentlichen Zweck seiner militärischen Provokationen erreicht. Der Zusammenhang ist aber sehr viel weiter zu sehen: Israel hält im Widerspruch zur Waffenstillstandsvereinbarung und zur Resolution 1701 des UNO-Sicherheitsrats vom 11. August daran fest, ständig den Libanon zu überfliegen. In letzter Zeit hat die israelische Luftwaffe diese Aktivitäten verstärkt und gleichzeitig durch Tiefflüge und Scheinangriffe verschärft. In einem Fall mussten französische Soldaten der Friedenstruppe UNIFIL in Deckung gehen, weil sie von israelischen Kampfflugzeugen bedrängt wurden, die auf Funksprüche nicht reagierten.

Frankreich, das derzeit das Kommando über die UNIFIL führt, hat die Regierung in Tel Aviv eindringlich gewarnt, dass eine Fortsetzung der Provokationen zu Reaktionen der UNIFIL führen könnte. Angeblich hat der französische UNIFIL-Kommandeur Alain Pellegrini die UNO darum gebeten, seinen Truppen Luftabwehr-Geschütze zur Verfügung zu stellen. Wie die israelische Zeitung Maariv vor einer Woche berichtete, haben israelische Militärs daraufhin mit Angriffen auf die UNIFIL gedroht.

Die Behauptung der Bundesregierung, alles sei "geklärt", ist also dumm und verantwortungslos. Tatsächlich drohen weitere, schlimmere militärische Konfrontationen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 30. Oktober 2006