KNUT MELLENTHIN

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USA und EU am Ziel: Bürgerkrieg in Palästina

Nur wenige Tage brauchten die Kämpfer von Hamas , um in der vorigen Woche alle Bastionen der von Präsident Mahmud Abbas kontrollierten Sicherheitskräfte zu stürmen. Die Überraschung in Washington war groß. Auf dem Papier waren die auf Abbas eingeschworenen Formationen nicht nur zahlenmäßig stärker, sondern auch besser bewaffnet als die Kräfte, die der Hamas zur Verfügung stehen. Was war geschehen? Zum einen war das Vorgehen der Hamas erstklassig geplant und organisiert. Hinzu kam aber als zweite wesentliche Grundlage des schnellen Erfolgs, dass offenbar viele Kämpfer aus den Reihen der Fatah sich an den Auseinandersetzungen von vornherein nicht beteiligten oder desertierten. Sie wollten, wie jetzt führende Fatah-Leute im Gaza-Gebiet öffentlich erklären, nicht länger Werkzeug einer Politik sein, deren Auftraggeber in Washington und Jerusalem sitzen.

Warum hatten Hamas und der ihr verbundene Teil der palästinensischen Regierung sich entschlossen, jetzt die militärische Initiative zu ergreifen, um ein Ende des monatelangen Machtkampfs mit Abbas und damit auch mit großen Teilen der Fatah herbeizuführen? Die Nachteile liegen auf der Hand: Der Funke kann auf das Westjordanland, das immer noch von israelischen Truppen besetzt ist und wo Hamas schwächer als in Gaza ist, auf absehbare Zeit nicht überspringen. Die beiden Teile der besetzten Gebiete werden also zunächst getrennt bleiben. Dem Gaza-Streifen droht eine noch stärkere finanzielle und wirtschaftliche Austrocknung durch die USA und die Europäische Union. Strom, Wasser, Heizöl und einen großen Teil seiner Nahrungsmittel muss das Gebiet aus Israel importieren. Auch wenn die Regierung in Jerusalem jetzt angekündigt hat, die Versorgung vorläufig weiter aufrecht zu erhalten, stellt das keinerlei Sicherheit dar. Tatsächlich hat Israel die Lieferung von Lebensmittel weitgehend unterbrochen. Außerdem droht eine neue israelische Großoffensive, über die schon seit Monaten diskutiert wird.

Man kann vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass Hamas die Initiative nur an sich gerissen hat, weil man dort der Meinung war, keine andere Wahl mehr zu haben. Man habe einem "Putsch" der "Dahlan-Gruppe" zuvorkommen müssen, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Hamas im Parlament, Jahja Musa, am Montag. Nicht ohne hinzuzufügen, dass Dahlans Aktionsplan mit den USA, Israel und mit Präsident Abbas abgestimmt gewesen sei.

Der Chef der Meuterer

Mohammed Dahlan ist Sicherheitsbeauftragter von Abbas. Außerdem leitete er den Nationalen Sicherheitsrat, dessen Auflösung der Präsident am Montag anordnete. Dieses Gremium, in dem auch Hamas vertreten war, sollte die Koordination der zahlreichen Sicherheitskräfte überwachen. Seit dem Beginn der Oslo-Verhandlungen (1993) war Dahlan der wichtigste Verbindungsmann Arafats zu israelischen und amerikanischen Militär- und Geheimdienststellen. Bei diesen erfreut er sich seither allergrößter Wertschätzung. Bei der Hamas ist er der meistgehasste Mann, weil er in den 90er Jahren Hunderte ihrer Mitglieder einsperren ließ. Von Folter in den Gefängnissen ist die Rede, bis hin zum Einsatz von Todesschwadronen gegen die Opposition. Die Verpflichtung, "die terroristischen Infrastrukturen" zu zerstören, war Teil der Abkommen zwischen der PLO und Israel.

Innerhalb der Fatah steht Dahlan schon länger im Zentrum der Kritik. Er zwinge der Organisation amerikanisch-israelische Zielvorgaben auf, warf ihm im April Ahmed Hilas, ein maßgeblicher Fatah-Politiker im Gaza-Streifen, vor. Einige Leute glaubten, sie könnten das Problem der Besetzung durch Dialog lösen, während sie zur Behandlung der internen palästinensischen Widersprüche auf die Macht der Waffen setzten, sagte Hilas mit Bezug auf Dahlan. (Jerusalem Post, 19.4.2007)

Nach dem schnellen Sieg von Hamas in Gaza gibt es neue Angriffe aus der Fatah gegen Dahlan. Viele machen ihn für die Niederlage verantwortlich. Einige fordern sogar, ihn vor ein "Revolutionsgericht" zu stellen, weil er die Fatah "zerstört" und "Schande über sie gebracht" habe. Dahlan war während der Kämpfe nicht in Gaza, sondern hielt sich schon seit mehreren Wochen wegen einer medizinischen Behandlung in Ägypten auf. Es gibt allerdings auch Mutmaßungen, dass Dahlans Aufenthalt im Nachbarland in Wirklichkeit der Vorbereitung militärischer Aktionen zur Zerschlagung von Hamas diente.

Was die Behauptung angeht, Hamas sei mit ihrer Offensive lediglich einem geplanten Putsch der von Dahlan geführten "Meuterei-Fraktion" zuvorgekommen, werden vermutlich in den kommenden Tagen detailliertere Informationen veröffentlicht werden. Ein wichtiger Anhaltspunkt findet sich in einem informellen Abkommen zwischen Israel und Präsident Abbas, über das Anfang Mai berichtet wurde. Es handelte sich dabei um eine von US-Außenministerin Condoleezza Rice lancierte Idee. Als Verfasser gilt Generalmajor Keith Dayton. Er hat als "Sicherheitskoordinator" der USA für Palästina ein wesentliches Wort bei allem mitzusprechen hat, was die Abbas unterstellten bewaffneten Kräfte angeht.

Zentraler Teil der Vereinbarung ist ein bis ins Kleinste gehender Plan, der im Sinn eines gegenseitigen Gebens und Nehmens zeitliche Orientierungspunkte (sogenannte Benchmarks) enthält. Dazu gehört unter anderem die Aufgabe zahlreicher israelischer Kontrollstellen und Straßenblockaden im Westjordanland, die eigentlich am 1. Juni beginnen sollte. Außerdem sollte sich Israel nach dem Willen von Rice und Dayton bereit erklären, bei der Belieferung der Abbas-Kräfte mit Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenständen Hilfestellung zu leisten.

Auf palästinensischer Seite sollte Dahlan beauftragt werden, bis spätestens zum 21. Juni einen Plan für eine umfangreiche Militäraktion im Gaza-Gebiet vorzulegen. Offiziell sollte es sich um die Unterbindung des Abschusses von Qassam-Raketen und des Waffenschmuggels an der Grenze zu Ägypten handeln. Die dazu erforderlichen bewaffneten Kräfte sollten ebenfalls bis zu diesem Datum bereitgestellt sein. (Haaretz, 4.5.2007)

Zum damaligen Zeitpunkt, Anfang Mai, war unklar, ob die beiden Seiten sich schon verbindlich auf diesen Zeitplan geeinigt hatten. Der israelischen Tageszeitung Haaretz zufolge hatte sich die Olmert-Regierung noch nicht festgelegt, während aus der Umgebung von Abbas bereits inoffiziell Zustimmung signalisiert wurde. Jetzt, am vergangenen Sonntag, forderte Abbas Israel unter ausdrücklicher Berufung auf das Benchmark-Abkommen auf, eine Reihe von Checkpoints zu räumen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass zumindest die palästinensische Seite den vereinbarten Zeitplan als verbindlich ansieht - und dass sie ihren Teil des Deals erfüllt zu haben meint.

Aushungerungs-Strategie

Sofort nach den Parlamentswahlen im Januar 2006 nahm die US-Regierung Kurs auf eine Isolierung der Hamas, die eine Mehrheit der Mandate gewonnen hatte. Dazu übte sie starken Druck auf Abbas und die Fatah aus, sich nicht an einer von Hamas angestrebten Koalition zu beteiligen. Schließlich bildete diese Ende März 2006 allein die Regierung. Ziel der USA war nunmehr deren gewaltsamer Sturz. Ein wesentlicher Faktor war dabei die enge Zusammenarbeit mit Deutschland und anderen EU-Staaten. Als wichtigster Hebel diente die Einstellung der Zahlungen, aus denen bis dahin die Gehälter der palästinensischen Staatsbediensteten bestritten worden waren. Ziel war die Auslösung einer Massenrevolte gegen die Regierung.

Der amerikanisch-europäische Plan setzte vor allem auf die Reaktion der von Fatah dominierten Sicherheitskräfte. Diese hatten schon unter Arafat und danach unter seinem Nachfolger Abbas immer wieder für bessere Bezahlung und andere soziale Forderungen demonstriert. Das nahm schon damals gelegentlich die Züge bewaffneter Meuterei in Verbindung mit organisiertem Straßenraub an. Erwartungsgemäß wurde diese Art von Protestaktionen unter der Hamas-Regierung um ein Vielfaches verstärkt fortgesetzt. Immer wieder besetzten Abbas-Truppen Ministerien, verwüsten systematisch Büro-Räume, nahmen Regierungsmitarbeiter als Geiseln - und stürmten schließlich sogar das Parlamentsgebäude in Ramallah. Mehrmals standen die besetzten Gebiete seit Sommer 2006 am Rande eines Bürgerkriegs. Die USA bedrängten Abbas schon damals, die Regierung für abgesetzt zu erklären und ein Notstandsregime zu errichten. Zunächst vergeblich, weil der Präsident Blutvergießen unter den Palästinensern vermeiden wollte.

Vor diesem Hintergrund gaben Abbas und Regierungschef Ismail Hanijeh im September 2006 bekannt, sie hätten sich auf die Bildung einer Koalitionsregierung geeinigt. Die Detailverhandlungen jedoch erwiesen sich als äußerst mühsam, die "Meuterei-Fraktion" störte mit immer neuen bewaffneten Provokationen. Die sogenannte Präsidentengarde, die am besten ausgerüstete Formation der Meuterer, besetzte im Dezember 2006 das Landwirtschaftsministerium. Zur selben Zeit überfielen andere Abbas-Einheiten einen Konvoi, in dem Außenminister Mahmud al-Zahar fuhr, und versuchten, ihn zu töten. In der aufgeheizten Stimmung kündigte Abbas an, er werde die Regierung auflösen und Neuwahlen ansetzen. Was ihn davon abhielt, waren wohl vor allem die ungünstigen Prognosen, die der Fatah für diesen Fall gestellt wurden.

Erst am 17. März 2007 kam die Bildung einer Koalitionsregierung wirklich zustande. Die USA hatten dies bis zuletzt zu verhindern versucht. Nun drängten sie Abbas erfolgreich zu einer neuen Provokation: Als erste Amtshandlung nach der Vereidigung der neuen Regierung ernannte er Dahlan zu seinem Sicherheitsberater. Hamas protestierte wütend und stellte die Ernsthaftigkeit des Willens von Abbas zur Zusammenarbeit in Frage.

Washingtons "Sicherheitspaket" für Abbas

In Washington hatte man sich inzwischen überzeugt, dass es mit ständigen Appellen an Abbas, gewaltsam gegen Hamas vorzugehen, nicht getan war. Insbesondere die einschlägigen israelischen Dienststellen wiesen darauf hin, dass das militärische Kräfteverhältnis nicht gut für Fatah aussah. Daher bastelte die US-Regierung seit Herbst 2006 an einem Programm, die Abbas unterstellten Sicherheitskräfte massiv aufzurüsten und ihren Ausbildungsstand durch Kurse zu verbessern.

Im ersten Ansatz , Ende 2006, wurden für diese Zwecke rund 100 Millionen Dollar verplant. Jedoch, der Kongress spielte nicht mit; beide Parteien erhoben immer neue Einwände. Auch die israelische Regierung lehnte ab, in erster Linie mit dem Argument, gelieferte Waffen könnten "in die falschen Hände fallen". Dahinter standen offenbar Zweifel an der Loyalität eines Teils der Sicherheitskräfte zu Abbas. Die US-Regierung fuhr ihre Planung auf 86 Millionen Dollar herunter, doch dem Kongress war das immer noch zuviel. Die Bildung der palästinensischen Koalitionsregierung verstärkte den Widerstand der Senatoren und Abgeordneten gegen das militärische Hilfsprogramm. Die Regierung legte einen neuen Plan in Höhe von 59 Millionen Dollar vor, der schließlich Anfang April 2007 vom Kongress akzeptiert wurde. Empfänger ist nun fast ausschließlich die offenbar als besonders zuverlässig geltende Präsidentengarde, auf die 43,4 Millionen des "Sicherheitspakets" entfallen. Darunter 14,5 Millionen für Ausbildung und 23 Millionen für "nicht-tödliche" Ausrüstung. Die Präsidentengarde ist nach israelischen Angaben 3.700 Mann stark und soll mit US-Hilfe auf 4.700 Mann verstärkt werden. Schon im vorigen Jahr wurde berichtet, dass Abbas längerfristig sogar eine Aufstockung auf 10.000 Mann anstrebt.

Zwar hat sich die offizielle US-Militärhilfe für Abbas auf "non-lethale" Gegenstände zu beschränken. Trotzdem wurden in den vergangenen Monaten große Mengen Waffen an die Abbas-Truppen geliefert, in erster Linie aus Ägypten und Jordanien. Israelische Soldaten sicherten die Transporte und winkten sie an der Grenze durch. Dass die Lieferungen mit amerikanischer Hilfe finanziert und organisiert wurden, wird nicht ernsthaft bestritten. Nur über den konkreten Ablauf ist bisher nichts bekannt.

US-Medien behaupten übereinstimmend, dass die 59-Millionen-Hilfe bisher noch gar nicht wirksam geworden sei. Zwar wurde im Mai mehrmals berichtet, dass Gruppen von jeweils 500 bis 600 Mann nach beendeter Ausbildung in Ägypten ins Gaza-Gebiet verlegt worden seien. Die Einreise dieser Abbas-Truppen erfolgte mit Zustimmung Israels. Diese Kurse sollen aber noch nicht aus den 59 Millionen Dollar finanziert worden sein, sondern aus anderen Finanztöpfen. Das schon seit einiger Zeit Dinge laufen, war bereits im Dezember 2006 deutlich geworden. Damals besuchten US-amerikanische und angeblich auch europäische Militärs ein Ausbildungslager der Badr-Brigade in Jordanien. Diese Truppe soll laut israelischen Medien die am besten ausgebildete und am stärksten bewaffnete Formation der Fatah sein.

"Kampf um die Herzen und Köpfe"

Nach ihrer Niederlage in Gaza versuchen Mahmud Abbas und die "Meuterei"-Fraktion jetzt, mit verfassungswidrigen, illegalen und despotischen Maßnahmen ihre Herrschaft über das Westjordanland zu stabilisieren. Sie können sich dabei der vollen Unterstützung der USA, Deutschlands und anderer führender EU-Staaten sicher sein.

Am Wochenende erklärte Präsident Abbas die von Ismail Hanije geführte Koalitionsregierung für aufgelöst. Am Sonntag vereidigte er eine von ihm persönlich ausgewählte Notstandsregierung - und setzte sich damit eindeutig über die palästinensische Verfassung hinweg. Diese schreibt vor, dass der Vereidigung durch den Präsidenten die Zustimmung des Parlaments vorausgehen muss. Daran ist selbstverständlich nicht zu denken. Im Parlament verfügt Hamas über die Mehrheit der Mandate. Es ist in absehbarer Zeit nicht damit zu rechnen, dass die im Januar 2006 aus freien und fairen Wahlen hervorgegangene gewählte Volksvertretung überhaupt noch einmal zusammentreten wird. Abbas hat durch Dekret verfügt, dass die Notstandsregierung Beschlüsse ohne Billigung durch das Parlament fassen kann. Was durch die locker und unsorgfältig gestrickte palästinensische Verfassung nicht ausdrücklich verboten ist, hält der Präsident ohnehin für legitim. So sicherte er sich nach dem Hamas-Wahlsieg vor anderthalb Jahren schnell noch das Kommando über sämtliche Sicherheitskräfte und die Verfügung über das unter Arafat angesammelte Riesenvermögen der Fatah.

Die Notstandsregierung besteht fast ausschließlich oder sogar vollständig - der Status von Innenminister Mahmud al-Jahja ist unklar - aus sogenannten Unabhängigen. Mit diesem irreführenden Wort werden jetzt Personen bezeichnet, die keine Basis in der palästinensischen Politik haben und deren einzige Empfehlung in der hohen Wertschätzung besteht, die sie in den USA und Israel genießen. Der von Abbas ernannte Ministerpräsident Salam Fajad verkörpert diesen Typus beispielhaft. 1968, als er 16 war, verließ seine Familie das besetzte Palästina und übersiedelte nach Jordanien, später in die USA. Dort, an der University of Texas in Austin, studierte und promovierte Fajad. Von 1987 bis 1995 arbeitete er für die Weltbank, anschließend war er Vertreter des Weltwährungsfonds für Palästina. Im Jahr 2001 wurde er von Arafat zum Finanzminister berufen - nicht zuletzt auf Druck der US-Regierung, die eine grundlegende "Reform" der palästinensischen Finanzen forderte. Er hatte dieses Amt auch in der im März gebildeten Koalitionsregierung unter Hanije.

Fajad gründete vor einigen Jahren zusammen mit der bekannten Politikerin Hanan Aschrawi die Partei Dritter Weg. Bei den Wahlen im Januar 2006 kam diese Liste nur auf 2,41 Prozent. Das reichte immerhin für zwei Mandate, die von Fajad und Aschrawi eingenommen werden. Fajad ist, wie die Medien schon vor Monaten schrieben, "Jedermanns Lieblingspalästinenser", genauer gesagt "Der palästinensische Politiker mit dem höchsten Ansehen im Westen". Mit Dov Weisglass, dem Berater des früheren israelischen Regierungschefs Ariel Scharon, verbindet ihn eine warmherzige Familienfreundschaft.

Die Regierungen der USA und der EU sind nach Abbas' Notstandsmaßnahmen zum "Kampf um die Herzen und Köpfe der Palästinenser" angetreten, wie sie selbst das nennen. Ganz offen und ungeniert wird darüber schwadroniert, dass man dem Präsidenten jetzt den Rücken stärken müsse, indem man den Bewohnern der besetzten Gebiete vor Augen führt, dass sich Anpassung und Unterwerfung unter totale Fremdbestimmung materiell lohnen. Man scheint im Westen zu übersehen, dass diese Debatte auch in Palästina wahrgenommen wird und dort bei vielen Menschen Gefühle zwischen Brechreiz und Wut hervorruft. Die maßlose ausländische Protektion für den Präsidenten kann ihm nur schaden, warnen Kritiker dieser Strategie.

Zumal: Wie sehr lohnt es sich denn tatsächlich? Bisher haben USA und EU noch nicht viel mehr zugesagt als die Freigabe von Geldern, die eigentlich schon im letzten Jahr fällig gewesen wären, aber nach dem Wahlsieg von Hamas eingefroren worden waren. Ähnliches gilt für Israel, wo man jetzt darüber nachdenkt, einige hundert Millionen Dollar freizugeben. Dabei geht es um von Israel kassierte Einnahmen aus Steuern, Gebühren und Zöllen, die den Palästinensern rechtmäßig zustehen, aber die zurückgehalten worden waren, um die Regierung Hanije auszuhungern.

Die USA drängen darauf, dass Israel jetzt öffentlich so tut, als würde es mit Abbas über eine Friedenslösung verhandeln. Den kleinen Gefallen wird Olmert den Amerikanern sicher tun. Freilich ist das nur eine Farce: Schon vor dem Hamas-Wahlsieg hatte Israel nicht ernsthaft mit Abbas verhandelt und hatte ihm jede Chance verweigert, sich durch noch so kleine Erfolge zu profilieren. Warum sollte sich das jetzt plötzlich ändern?

Ohnehin geht es dabei nicht, wie die westlichen Regierungen zu glauben scheinen, um eine "klimatische" Frage. Durch diplomatisches Theater ist die palästinensische Bevölkerung nicht zu beeindrucken. Sie wartet seit 40 Jahren vergeblich auf Ergebnisse. Was das angeht, hat Olmert nicht mehr zu bieten als seinen im März 2006 vorgestellten Konvergenzplan. Er sieht vor, dass Israel zentrale Teile des seit 1967 besetzten Westjordanlands endgültig annektiert. Im Gegenzug soll ein in drei oder vier Teile zerstückelter Palästinenserstaat gebildet werden, der keine eigenen Außengrenzen besitzt und vollständig von Israel abhängig ist. Damit werden Mahmud Abbas und seine Meuterer keine Sympathiepunkte sammeln können. Jedenfalls nicht bei den Palästinensern.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 2. Juni 2007

Zum selben Thema: "Palästina in der Krise" (JW, 13.5.2006)