KNUT MELLENTHIN

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Beziehungskrach

US-Politiker prügeln auf den Sündenbock Pakistan ein, wollen aber keinen Abbruch der Zusammenarbeit riskieren

Nach dem Einsatz eines US-amerikanischen Killerkommandos im pakistanischen Abbottabad befinden sich die ohnehin schwer strapazierten Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf einem neuen Tiefstand. Präsident Barack Obama hat einen Pakistan-Besuch in diesem Jahr, den er im Oktober 2010 öffentlich zugesagt hatte, ohne Begründung und Angabe eines neuen Termins verschoben.

US-Politiker und -Militärs verkünden schon seit Monaten, dass Teile des pakistanischen Geheimdienstes ISI und der Streitkräfte des Landes eng mit den afghanischen Taliban und anderen militanten Islamisten, einschließlich Al-Qaida, zusammenarbeiten. Nach der Operation in Abbottabad, bei der angeblich Bin Laden getötet wurde, wird wie eine feststehende Tatsache verbreitet, dass die pakistanische Führung den Aufenthaltsort des Al-Qaida-Chefs gekannt haben müsse. Dabei hatte selbst die US-Regierung, deren Dienste über die besten Aufklärungsmöglichkeiten der Welt verfügen, bis zuletzt behauptet, Bin Laden halte sich in den sogenannten Stammesgebieten im Nordwesten Pakistans, nahe der afghanischen Grenze und mehrere hundert Kilometer von Abbottabad entfernt, versteckt. Mit der Behauptung, dort befinde sich das Hauptquartier von Al-Qaida, wurden in der Vergangenheit über hundert Drohnenangriffe gegen Ziele in den Stammesgebieten gerechtfertigt.

Eine zentrale Rolle spielt in der populistischen Stimmungsmache gegen Pakistan der Vorwurf der Undankbarkeit: Das Land, das sich so wenig erkenntlich zeige, habe seit dem 11. September 2001 mehr als zehn Milliarden Dollar, zwölf Milliarden Dollar oder sogar bis zu zwanzig Milliarden Dollar amerikanische Militärhilfe erhalten. Das ist jedoch unwahr und in vielen Fällen wohl auch eine bewusste Lüge. Im Unterschied zu Israel und Ägypten hat Pakistan von den USA keine Geschenke erhalten. Die Zahlungen kamen vielmehr aus einem speziellen Fonds, der Staaten für ihre Beteiligung am weltweiten „Krieg gegen den Terror“ entschädigen soll. In den Gegenleistungen enthalten ist die Tatsache, dass über Pakistan ein großer Teil des Nachschubs für die Aufstandsbekämpfung in Afghanistan läuft, was neben der erforderlichen militärischen Sicherung der Transportwege auch eine Reihe weiterer Kosten verursacht. Ebenfalls zu berücksichtigen sind die zahlreichen Feldzüge in den Stammesgebieten und die Versorgung von Hunderttausenden Flüchtlingen.

Mehrere republikanische Abgeordnete haben in der vorigen Woche eine Gesetzesvorlage eingebracht, die alle Zahlungen an Pakistan stoppen soll, so lange nicht „bewiesen“ ist, dass die Behörden des Landes Bin Laden nicht wisssentlich geschützt haben. Die Antragssteller sind allerdings unprofilierte Hinterbänkler. Die Führung der Republikaner ist sich mit den Demokraten einig, dass man zwar weiter kräftig das Misstrauen gegen den Verbündeten bedienen und anheizen soll, aber dass man keinen Bruch riskieren darf. Der republikanische Senator Lindsey Graham brachte das Problem auf den Punkt mit dem Spruch: „Man kann ihnen nicht trauen und man kann sie nicht fallen lassen.“

Indessen hat der Chef der pakistanischen Streitkräfte, General Ashfaq Parvez Kayani, den USA in der vorigen Woche damit gedroht, dass jede künftige ähnliche Aktion zu einer „Überprüfung“ der militärischen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit führen werde. Gleichzeitig kündigte er an, dass die Zahl der US-Soldaten in Pakistan – überwiegend Militärausbilder – auf das „unbedingt notwendige Minimum“ reduziert werden solle.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. Mai 2011