KNUT MELLENTHIN

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Der Bürgerkrieg in Nordwest-Pakistan weitet sich aus

Einen Tag nach dem Anschlag auf ein Fünf-Sterne-Hotel in der pakistanischen Stadt Peschawar ist die Zahl der Toten auf 18 gestiegen. Einige der über 60 Verletzten sind in Lebensgefahr. Außerdem werden noch Verschüttete unter den Trümmern vermutet.

Peschawar ist die Hauptstadt der Nordwest-Grenzprovinz, in der Regierungstruppen Ende April eine Großoffensive gegen islamische Fundamentalisten gestartet haben, die immer noch nicht abgeschlossen ist. Seit Beginn der Kämpfe hat es mehr als ein Dutzend Anschläge gegeben, sieben davon in Peschawar. Der schwerste Angriff richtete sich am 27. Mai in Lahore gegen ein Polizei-Hauptquartier und Büroräume des Geheimdienstes ISI. Bei der Explosion einer Autobombe starben mindestens 30 Menschen. Das dreistöckige Polizeigebäude wurde völlig zerstört.

Das von Ausländern und reichen Pakistanis frequentierte Pearl Continental Hotel in Peshawar, gegen das sich der jüngste Angriff richtete, liegt in einer stark gesicherten Zone der Innenstadt und verfügt über massive eigene Absperrungen mit Betonbarrieren und andere Sicherheitsvorkehrungen. Wie in Lahore und bei früheren Anschlägen griff zunächst eine Gruppe von Kämpfern das Wachpersonal an und schoss den Weg für einen mit 500 Kilo Sprengstoff beladenen Transporter frei.

Unterdessen haben die pakistanischen Streitkräfte offenbar eine neue Front eröffnet. Bei Angriffen im Bezirk Bannu hat das Militär nach eigenen Angaben seit Dienstag 70 Menschen getötet. Bannu ist Teil der Nordwest-Grenzprovinz, grenzt aber an die Bezirke Nord- und Südwasiristan, die zu den sogenannten Stammesgebieten (FATA) gehören und als Taliban-Hochburgen gelten. Es handelt sich zunächst um eine Strafexpedition gegen die Stämme der Janikhel und Bakakhel, nachdem diese einem Ultimatum der Streitkräfte nicht nachgekommen waren, bei ihnen vermutete militante Islamisten festzunehmen und auszuliefern.

Die beiden Stämme waren ins Visier einer in Pakistan traditionell praktizierten Kollektivstrafe geraten, nachdem in der vorigen Woche in ihrem Siedlungsgebiet zahlreiche Schüler einer von Ex-Militärs betriebenen Lehranstalt entführt worden waren. Alle wurden, nicht zuletzt aufgrund der Vermittlung der Stammesältesten, inzwischen wieder freigelassen.

Die Strafexpedition gegen die Janikhel und Bakakhel hat eine neue Fluchtbewegung ausgelöst, zum Teil sogar über die Grenze auf afghanisches Gebiet. Die Angriffe des Militärs werden als möglicher Beginn einer Großoffensive gegen das benachbarte Wasiristan interpretiert. Zugleich hat die Provinzregierung die Streitkräfte und die Zentralregierung in Islambad aufgefordert, die Militäroperationen schnellstens zu beenden, um den über 2,5 Millionen Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 11. Juni 2009