KNUT MELLENTHIN

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Tankwagen rollen wieder

Pakistan beendet bisher längste Blockade des NATO-Nachschubs für Afghanistan

Pakistan hat am Sonntag den Grenzübergang Torkham am Khyberpass wieder für den NATO-Nachschub nach Afghanistan freigegeben. Die Straße, die nach Jalalabad und von dort nach Kabul führt, war seit dem 30. September gesperrt gewesen. Die pakistanischen Behörden hatten in der Vergangenheit die Nachschub-Transporte schon mehrfach aus politischen Gründen blockiert, aber noch niemals für so lange Zeit.

Anlass war diesmal ein Angriff US-amerikanischer Kampfhubschrauber auf einen vorgeschobenen pakistanischen Posten, bei dem zwei Soldaten der Grenztruppen getötet und vier verletzt worden waren. Am Mittwoch voriger Woche hatte das Oberkommando der NATO-Truppen in Afghanistan die Verletzung des pakistanischen Luftraums zugegeben und den Angriff als bedauerliches Missverständnis bezeichnet. Gleichzeitig hatte die Botschafterin der USA in Islamabad, Anne W. Patterson, eine Entschuldigung ausgesprochen.

Nach unterschiedlichen Angaben werden 40 bis 50 Prozent des Nachschubs für den Afghanistankrieg vom Hafen Karatschi aus über Land durch Pakistan transportiert. Die am meisten befahrenen Routen führen über Torkham. Es gibt einen zweiten, weniger benutzten Übergang bei Chaman in der Provinz Balutschistan, der auch während der Krise der letzten elf Tage offen geblieben war. Am Khyberpass, aber auch an der fast 2000 Kilometer langen Strecke dorthin haben sich durch die Blockade hunderte von Tankwagen und LKW gestaut, die nun allmählich abgefertigt werden.

Aufständische, in Pakistan meist pauschal als „Taliban“ bezeichnet, hatten die Lage genutzt, um stehende Transportfahrzeuge anzugreifen und vor allem Tankwagen mit Treibstoff zu zerstören. Der jüngste derartige Überfall ereignete sich am Sonnabend in der Nähe der balutschischen Provinzhauptstadt Quetta. Rund 30 Tankwagen brannten dabei aus. Pakistanische Berichte sprechen allerdings davon, dass einige Zwischenfälle auf das Konto von Fuhrunternehmern gehen. Angeblich verkaufen manche den Treibstoff unter der Hand, bevor sie die fast leeren Fahrzeuge abbrennen lassen. Die pakistanischen Behörden ermitteln außerdem wegen des „Verschwindens“ von 500 Nachschub-Transportern auf dem Weg zum Übergang Chaman. Auch in diesen Fällen wird von Betrügereien ausgegangen. Für die NATO bestimmte Güter werden oft auf Märkten in Balutschistan angeboten. Waffen sind allerdings nicht darunter, denn diese werden direkt nach Afghanistan geflogen.

Bereinigt ist das angespannte Verhältnis zwischen den Regierungen der USA und Pakistans mit der Wiederöffnung von Torkham sicher nicht. Washington will durch ständigen Druck vor allem erreichen, dass die pakistanischen Streitkräfte ihre militärische Aufstandsbekämpfung, die nach Feldzügen im vorigen Jahr und in diesem Frühjahr zum Stillstand gekommen ist, wieder aufnehmen und ausweiten. Pakistan hatte indessen schon vor der Flutkatastrophe im Sommer, durch die Millionen Menschen obdachlos wurden, darauf verwiesen, dass die Streitkräfte mit der Stabilisierung ihrer militärischen Erfolge voll beansprucht sind. Die Widersprüche werden Thema des „strategischen Dialogs“ zwischen beiden Staaten sein, der am 22. Oktober in Washington stattfinden soll.

Indessen setzen die USA ihre Drohnenattacken auf Ziele in Nordwestpakistan fort. Bei einem Angriff in der Region Nordwasiristan wurden am Sonnabend sieben oder acht Menschen getötet. Im September hatte es mit 22 Angriffen einen „Monatsrekord“ gegeben.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 12. Oktober 2010