KNUT MELLENTHIN

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Unerklärter Krieg

Über 150 Drohnenangriffe der USA gegen Pakistan

Die Überfälle US-amerikanischer Drohnen auf Ziele in Pakistan haben seit dem Amtsantritt von Barack Obama dramatisch zugenommen. Am frühen Sonntag wurden bei einem Angriff auf ein Haus in Newey Adda mindestens vier Menschen getötet. Das in Nordwasiristan gelegene Dorf war in letzter Zeit schon mehrfach Ziel US-amerikanischer Militärschläge. Insgesamt gab es in den letzten drei Wochen 16 Drohnenangriffe auf pakistanisches Gebiet. Bis auf einen richteten sie sich alle gegen Nordwasiristan. Die US-Regierung hatte zuvor während der Flutkatastrophe, die weite Teile Pakistans schwer getroffen hat, die Einsätze der mit Raketen bewaffneten unbemannten Flugkörper mehrere Wochen lang unterbrochen.

Die größte Massierung der Angriffe gab es am Mittwoch und frühen Donnerstag voriger Woche, als innerhalb von 24 Stunden bei vier Drohnen-Attacken mindestens 24 Menschen getötet wurden. Unter den Todesopfern waren vier Kinder. Sie hatten sich in einem Haus befunden, das neben einem angegriffenen Gebäude stand und durch die Druckwelle der Raketenexplosion einstürzte. Es war zumindest der zweite offiziell zugegebene Fall, wo während der letzten Wochen gänzlich Unbeteiligte ums Leben kamen: Am 23 August wurden durch einen Drohnenangriff vier Frauen, drei Kinder und drei Männer in einem nicht direkt attackierten Haus getötet.

Zuständig für den Einsatz der Drohnen gegen pakistanisches Gebiet ist – zumindest nach regierungsamtlicher Version – ausschließlich der Auslandsgeheimdienst CIA, der dem Außenministerium untersteht. Die US-Streitkräfte besitzen zwar auch zahlreiche dieser Flugkörper, dürfen sie aber nicht gegen Pakistan einsetzen, weil dort offiziell kein Krieg geführt wird. Anderenfalls müsste der Kongress zustimmen. Dieser einfache und eindeutige Sachverhalt hinderte aber Außenministerin Hillary Clinton nicht, die Angriffe vor einigen Monaten mit dem patzigen Kommentar zu rechtfertigen: „There's a war going on“, dort findet ein Krieg statt.

Der Vorteil der Arbeitsteilung zwischen Streitkräften und CIA liegt auf der Hand: Der Geheimdienst braucht über sein Mordprogramm nicht die geringste öffentliche Rechenschaft abzulegen. Weder über die Kriterien, nach denen er in Pakistan Menschen umbringen lässt, noch über die konkreten Ziele und Ergebnisse seiner Aktionen. Die CIA gibt zu ihren Drohnenangriffen grundsätzlich niemals einen Kommentar ab und bestätigt noch nicht einmal deren Stattfinden.

In großem Umfang kommen bewaffnete Drohnen gegen Pakistan erst seit August 2008 zum Einsatz. Das ist vor allem darin begründet, dass dieses relativ neue Waffensystem erst seit wenigen Jahren voll einsatzfähig ist und in ausreichend hoher Zahl zur Verfügung steht. In der Ära von George W. Bush gab es insgesamt 41 Angriffe, davon lediglich 5 vor dem Jahr 2008. In Obamas erstem Jahr, 2009, gab es bereits mehr Attacken als in der gesamten Amtszeit seines Vorgängers, nämlich 53. Im laufenden Jahr waren es, einer Zählung des Magazins Newsweek zufolge, schon mindestens 63.

Über die Zahl der getöteten Menschen gibt es keine genauen Informationen. Die Angaben stammen meist von pakistanischen Beamten, die erstens anonym bleiben und zweitens in der Regel selbst keinen Zugang zu den attackierten Orten haben. Die Summe der Toten liegt auf jeden Fall über 1000. Wie viele davon „Zivilisten“ waren, ist Definitionssache. Zu vermuten ist, dass über 90 Prozent der Opfer höchstens „low-levell-fighter“ sind, also einfach nur bewaffnete Stammeskrieger, die wahllos und anonym getötet werden.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 13. September 2010