KNUT MELLENTHIN

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"Unnatürlicher Staat"

US-Politiker fordern Zerstückelung Pakistans. "Freies Belutschistan" soll neue Route für den NATO-Nachschub nach Afghanistan schaffen.

Im US-Kongress wird über die Zerstückelung Pakistans diskutiert. Der einflussreiche Außenpolitische Ausschuss des Abgeordnetenhauses veranstaltete am Mittwoch ein Hearing zur Lage in der Provinz Belutschistan. Den Vorsitz führte der republikanische Abgeordnete Dana Rohrabacher aus Kalifornien. Er hatte sich in einem Mitte Januar veröffentlichten Artikel dafür ausgesprochen, die Loslösung Belutschistans aus dem pakistanischen Staatsverband zu fördern. Ko-Autor war der Republikaner Louie Gohmert, ein Vertreter der Tea-Party-Strömung. Der texanische Abgeordnete präsentierte vor zwei Jahren eine Resolution, mit der das Haus im Voraus seine Unterstützung für alle israelische Militäraktionen gegen Iran erklären sollte. Der Antrag fand aber bisher nicht die erforderliche Zustimmung.

Als Sachverständige waren die Politikwissenschaftlerin Christine Fair, der Pakistan-Chef der in den USA ansässigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Ali Dayan Hasan, und der ehemalige Offizier der US-Armee Ralph Peters zur gestrigen Anhörung eingeladen. Peters, absolut kein Belutschistan- oder Pakistan-Spezialist, hatte sich für seine Rolle offenbar durch einen im Juni 2006 in der Zeitschrift Armed Forces Journal erschienenen Artikel qualifiziert. Unter dem Titel „Blutgrenzen – Wie ein besserer Mittlerer Osten aussehen würde“ hatte Peters dort eine neue Landkarte der Region zwischen dem Ostrand des Mittelmeers und der chinesischen Grenze entworfen. Dazu gehörte auch ein Staat „Freies Belutschistan“, der aus den Territorien Pakistans, Irans und Afghanistans herausgeschnitten werden sollte. Darüber hinaus sollte Pakistan seine von Paschtunen bewohnten Gebiete im Nordwesten an Afghanistan abtreten. Dadurch würde der „unnatürliche Staat“, wie Peters sich ausdrückte, auf weniger als die Hälfte seines heutigen Territoriums verkleinert.

Die neue Landkarte des Ex-Offiziers zeigt außerdem ein „Freies Kurdistan“ aus Teilen der Türkei, Iraks, Irans und Syriens, einen kleinen „Sunnitischen Irak“ und einen „Arabischen Schiitenstaat“, bestehend aus dem Süden Iraks sowie Teilen Irans und Saudi-Arabiens. Dieses, laut Peters gleichfalls ein „unnatürlicher Staat“, soll außerdem durch umfangreiche Gebietsabtretungen an Jordanien und Jemen und durch die Herauslösung eines „Islamischen Heiligen Staates“ um die Städte Mekka und Medina noch weiter verkleinert werden. Aserbaidschan soll einen Teil Irans um die Stadt Täbris annektieren dürfen.

Belutschistan ist mit fast 350.000 Quadratkilometern – das ist etwas mehr als die Fläche Polens – die größte der vier pakistanischen Provinzen. Es nimmt über 40 Prozent des Staatsgebiets ein. Mit ungefähr 8 Millionen Menschen leben dort jedoch nur etwa 5 Prozent der gesamten pakistanischen Bevölkerung. Der Nordteil der Provinz, einschließlich der Hauptstadt Quetta, wird überwiegend von Paschtunen, darunter Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Afghanistan, bewohnt. Belutschen leben außerdem im Südosten Irans und in einem kleinen Teil des südwestlichen Afghanistans.

Im pakistanischen Teil Belutschistans gibt es schon seit 1948 eine in zahlreiche Organisationen gespaltene Bewegung, die mit bewaffneter Gewalt und Terroranschlägen für einen eigenen Staat kämpft. Die pakistanischen Sicherheitskräfte führen diese Auseinandersetzung mit großer Härte und unter Verletzung der Menschenrechte. Vor dem Hintergrund der Konflikte zwischen Washington und Islamabad spielt die US-Regierung seit einigen Monaten zunehmend ihre „Besorgnis“ über die Lage in der Provinz aus und fordert einen „friedlichen Dialog“.

Immer öfter erscheinen in US-amerikanischen Medien aber auch Artikel, die für eine „Änderung der Landkarte“ plädieren und als Vorbild die gewaltsame Lösung von Bangla Desch aus dem pakistanischen Staatsverband im Jahre 1971 anführen. Ein „Freies Balutschistan“ mit dem unter Mitwirkung Chinas ausgebauten Hafen Gwadar könnte, so heißt es, auch eine alternative Route für den NATO-Nachschub nach Afghanistan bieten.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 9. Februar 2012