KNUT MELLENTHIN

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Wie die USA die Souveränität Pakistans respektieren

Am Donnerstag griff das US-Militär oder die CIA wieder einmal mehrere Häuser in einem pakistanischen Dorf mit Raketen eines unbemannten Flugzeugs (Drohne) an. Es war der zwölfte Militärschlag dieser Art in den vergangenen zwei Monaten; außerdem gab es eine Bodenoperation. Nachdem Regierung und Parlament Pakistans gegen die Verletzung der Souveränität ihres Landes mehrfach protestiert und die Angriffe als kontraproduktiv verurteilt hatten, war spekuliert worden, dass die USA diese Militäraktionen einstellen würden. Eine Reihe von US-amerikanischen Politikern und Militärs waren nach Islamabad geeilt, um dort öffentlich zu versprechen, dass man selbstverständlich die Souveränität und territoriale Integrität Pakistans respektieren werde. Aber dass diese Begriffe je nach Interessenlage unterschiedlich ausgelegt werden, weiß man spätestens seit der völlig unterschiedlichen Behandlung des Kosovo einerseits, Südossetiens und Abchasiens andererseits. Insgesamt hat es in diesem Jahr bereits mehr als 20 solcher Angriffe gegeben. Im vorigen Jahr waren es lediglich drei. Die USA haben diese Aktionen drastisch gesteigert, seit ihr Günstling, der als Präsident regierende Militärdiktator Pervez Muscharraf, nicht mehr an der Macht ist.

Im Folgenden eine Zusammenstellung der Angriffe der letzten zwei Monate.

  • 20. August: Vermutlich von einer Drohne abgefeuerte Raketen zerstören das Haus eines Stammesältesten in Sari Nur in Südwasiristan. Sechs Menschen werden getötet, drei verletzt.
  • 30. August: Raketenangriff durch eine Drohne oder ein Kampfflugzeug auf ein Haus im Gebiet von Korsai in Südwasiristan. Nach lokalen Berichten wurden vier Menschen getötet und zwei verletzt. Unter den Toten sollen zwei Kanadier arabischer Abstammung gewesen sein.
  • 3. September: Erste bekannt gewordene Aktion am Boden durch Soldaten einer US-Spezialeinheit, die mit Hubschraubern eingeflogen wurden. Die Angreifer stürmten drei Häuser, schossen auf Flüchtende und richteten ein Massaker an. Die pakistanische Presse sprach von 20 oder 21 Toten, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Allein in einem der Häuser wurden 10 Menschen ermordet, darunter drei Kinder und zwei Frauen. Ziel des Angriffs war ein kleines Dorf in der Nähe von Angur Adda – das Massaker wird jetzt meist mit diesem Namen in Verbindung gebracht – in Südwasiristan. Sprecher der US-Regierung verteidigten die Ermordung der Frauen mit der Behauptung, sie hätten „die Al-Qaida-Kämpfer unterstützt“. Den Grund für die Tötung der Kinder ließen sie offen. In erster Linie war es dieses Blutbad, das dazu führte, dass zahlreiche pakistanische Militärs und Politiker erklärten, man werde sich künftig gegen alle Angriffe verteidigen. Die US-Presse berichtete, dass Präsident George W. Bush schon im Juli einen Befehl unterzeichnet hatte, durch den erstmals solche Aktionen freigegeben wurden.
  • 4. September: Raketenangriff einer Predator-Drohne auf ein Haus im Dorf Achar Khel in Nordwasiristan. Sechs Menschen werden getötet, darunter angeblich vier örtliche Stammeskrieger und zwei Männer arabischer Herkunft. Diese werden in der US-Propaganda automatisch mit der Phantomgruppe „Al-Qaida“ gleichgesetzt. Tatsächlich haben sich aber infolge des von den USA finanzierten und gesteuerten Dschihad gegen die Sowjettruppen in Afghanistan schon vor vielen Jahren zahlreiche ausländische Mudschaheddin im pakistanischen Grenzgebiet niedergelassen, dort geheiratet und Familien gegründet.
  • 5. September: Raketenangriff einer Drohne auf zwei Häuser im Dorf Garwek in Nordwasiristan. Nach lokalen Angaben werden sieben Männer, drei Kinder und zwei Frauen getötet.
  • 8. September: Zwei Predator-Drohnen schießen sieben Raketen auf ein kleines Dorf in der Nähe von Miranschah in Nordwasiristan ab. 25 Menschen, darunter mehrheitlich Frauen und Kinder, werden getötet. Es soll sich um Familienangehörige von Jalaluddin Haqqani gehandelt haben, der nach US-amerikanischer Ansicht ein wichtiger Taliban-Kommandeur in Afghanistan ist.
  • 12. September: Ein weiterer Drohnen-Angriff in der Umgebung von Miranschah. Nach örtlichen Angaben werden in dem grenznahen Dorf Tolkhel 14 Menschen getötet und mindestens 12 weitere getötet. Angriffsziel soll ein ehemaliges Schulgebäude gewesen sein, in dem Kämpfer der „pakistanischen Taliban“ mit ihren Familienangehörigen gelebt hatten.
  • 17. September: Drohnen-Angriff mit vier Raketen auf das Dorf Baghar Schina in Südwasiristan. Nach örtlichen Angaben werden sieben Menschen getötet, mindestens drei weitere verletzt. Die US-Regierung behauptet, das Ziel sei eine „Munitionsfabrik der Taliban“ gewesen. Wenige Stunden vor dem Angriff hatte US-Generalstabschef Michael Mullen in Islamabad versichert, man respektiere die Souveränität Pakistans.
  • 30. September: Raketen-Angriff einer Drohne auf ein Haus in der Nähe des Ortes Mir Ali in Nordwasiristan. Nach örtlichen Angaben werden mindestens sechs Menschen getötet. Als Angriffsgrund wird vermutet, dass Stammeskrieger zuvor Schüsse auf die Drohne abgegeben hatte, die schon seit Tagen in der Gegend kreiste.
  • 3. Oktober: Drohnen-Angriff auf ein Haus im Dorf Mohammed Khel in Nordwasiristan. Einschließlich der Schwerverletzten, die später im Krankenhaus sterben, werden 24 Menschen getötet. Örtliche Sprecher des Geheimdienstes ISI behaupten, unter den Opfern seien bis zu 16 „Ausländer“ gewesen, die meisten davon „Araber“. Sehr aussagekräftig ist das nicht, da pakistanische Regierungsstellen gerne behaupten, alle Probleme gingen nur von „Ausländern“ aus, und da der Begriff „Araber“ umgangssprachlich sehr weit ausgelegt wird.
  • 9. Oktober: Angriff mit zwei Drohnen auf ein Haus im Dorf Ghundai in Nordwasiristan. Nach örtlichen Angaben werden neun Menschen getötet, von denen fünf als „Zivilisten“ bezeichnet werden. Das angegriffene Haus gehörte einem Mann, der in Verbindung zu einer regierungstreuen Stammesmiliz stehen soll. Drei getötete Kinder und zwei Frauen sollen Angehörige dieses Mannes gewesen sein.
  • 11. Oktober: Drohnen-Angriff auf ein Haus in der Umgebung von Miranschah in Nordwasiristan. Fünf Menschen werden getötet, zwei verletzt. Nach Angaben eines Behördensprechers gehörte das Haus einem Mitglied der Taliban.
  • 16. Oktober: Eine Drohne schießt mehrere Raketen auf zwei Häuser im Dorf Sam in Südwasiristan ab. Nach ersten Angaben werden sechs Menschen getötet und fünf verletzt.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 18. Oktober 2008