KNUT MELLENTHIN

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Zwischen Krieg und Frieden

Pakistans Regierung bietet den Aufständischen Verhandlungen an. Gleichzeitig Gerüchte über angeblich geplante Großoffensive.

In Pakistan wird in diesen Tagen entschieden, ob Friedensverhandlungen mit den einheimischen Taliban-Gruppen aufgenommen werden oder ob es im Frühjahr eine neue Großoffensive der Sicherheitskräfte in den sogenannten Stammesgebieten des Nordwestens gibt.

Der seit Juni amtierende Premier Nawaz Scharif leitete am Freitag die konstituierende Sitzung eines vierköpfigen Ausschusses, der Gespräche mit den Aufständischen auf den Weg bringen soll. Scharif hatte die Bildung dieser ihm direkt unterstellten Gruppe am Mittwoch bekannt gegeben. In der gestrigen Sitzung wurden das Mandat und die Kompetenzen der Arbeitsgruppe besprochen. Über diese heißt es bisher nur, dass der Ausschuss einen großen gestalterischen Spielraum haben soll. Mehrere Mitglieder hatten am Donnerstag öffentlich geäußert, dass sie von Scharifs Entscheidung überrascht worden seien und nicht wüssten, welche Aufgaben ihnen zugedacht seien.

Überrascht wurden offenbar auch die Parteien und die Öffentlichkeit. Zwar hatte Scharif, der Führer der konservativen Muslim-Liga (PML-N), schon während des Wahlkampfs im Frühjahr 2013 angekündigt, dass er versuchen wolle, den jahrelangen Konflikt mit den Taliban-Gruppen auf politischem Wege zu lösen. Der Premier kann sich auch auf die einstimmig gefasste Resolution einer Allparteien-Konferenz berufen, die am 9. September 2013 stattfand. Damals war seine Regierung ausdrücklich bevollmächtigt worden, „alle ihr zweckmäßig erscheinenden Schritte“ zu Verhandlungen zu unternehmen, „einschließlich der Entwicklung geeigneter Mechanismen und der Auswahl der Verhandlungspartner“.

Diese Bemühungen erlitten jedoch einen schweren Rückschlag, als am 1. November der Führer der größten pakistanischen Taliban-Koalition TTP, Hakimullah Mehsud, durch eine US-amerikanische Drohne gezielt getötet wurde. Einen Tag später hätte eine von der Regierung beauftragte Klerikergruppe zur Anbahnung von Verhandlungen in die Stammesgebiete reisen sollen.

Die TTP ist kaum mehr als ein Dachverband zahlreicher lokaler Gruppen und entsprechend schwer auf eine gemeinsame Politik zu vereinheitlichen. Der Nachfolger des Getöteten, Mullah Fazlullah, erklärte, dass eine Aufnahme von Gesprächen nicht in Frage komme, so lange die Regierung nicht einmal in der Lage sei, ein Ende der Drohnenangriffe durchzusetzen.

Mehrere schwere Anschläge der Taliban verstärkten die ohnehin vorhandene Tendenz der militärischen Führung zur direkten Konfrontation. Am 19. Januar wurden im Nordwesten 20 Soldaten durch eine Bombe in ihrem Fahrzeug getötet. Am 20. Januar gab es mindestens 13 Tote, als eine Bombe in der Nähe des Armee-Hauptquartiers in Rawalpindi explodierte. Ein Anschlag am 22. Januar in Khyber Pakhtunkhwa richtete sich gegen ein Polizeifahrzeug; mindestens sieben Menschen starben dabei. Die Polizei war im Einsatz, um ein Team zu schützen, das Impfungen gegen Kinderlähmung vornahm.

Das Militär reagierte mit schweren Luftangriffen gegen Nordwasiristan, eine Verwaltungseinheit in den Stammesgebieten, bei denen eine unbekannte, offenbar nicht kleine Zahl von Bewohnern getötet oder verletzt wurden. Ungefähr 70.000 Menschen flüchteten trotz der Winterkälte aus ihren Häusern.

Noch zwei Tage vor der Bekanntgabe von Scharifs Entscheidung, die Verhandlungsgruppe zu bilden, hatten pakistanische Medien detailliert – aber unnachprüfbar - behauptet, dass der Premier am 24. Januar während eines Geheimtreffens dem Militär grünes Licht für eine Großoffensive gegen die Stammesgebiete gegeben habe. Die könnte allerdings aus Witterungsgründen kaum vorm April beginnen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 1. Februar 2014