KNUT MELLENTHIN

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Islam verfassungswidrig?

Eine "Lex Islam" fordert der Orientalist Hans-Peter Raddatz. Eigentlich sollte er es konsequenterweise "Lex Anti-Islam" nennen. Denn praktisch setzt er sich für ein Verbot des Islam als eine nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbare Religion ein. "In seiner jetzigen authentischen Verfassung" stimme der Islam nicht mit dem Religionsbegriff überein, der in Artikel 4 des Grundgesetzes, der die Religionsfreiheit garantiert, gemeint sei. So Raddatz am 20. Oktober in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Er sagte in diesem Zusammenhang auch ganz klar, dass er sich von der neuen Bundeskanzlerin einiges verspricht.

Gibt es dennoch für die in Deutschland lebenden Moslems noch einen Ausweg? Aber ja doch: Die Lehren des Islam müssten "mit den Normen des Grundgesetzes zum Einklang gebracht werden". "Um eine solche Übereinstimmung herbeizuführen, müssten wesentliche Partien des Korans und der Prophetenüberlieferung für nicht mehr gültig erklärt werden." So der Orientalist Tilman Nagel in einem Aufsatz des 2001 erschienenen Buches "Die islamische Herausforderung - eine kritische Bestandsaufnahme von Konfliktpotentialen". Die Artikelsammlung war von der CSU-eigenen Hanns Seidel Stiftung herausgegeben worden. Auch Hans-Peter Raddatz war dort mit einem Aufsatz vertreten, in dem er wieder einmal seine Lieblingsthese, die Unmöglichkeit eines Dialoges zwischen "Toleranz" (= Christentum) und "Gewalt" (= Islam), erläuterte.

Man stelle sich vergleichsweise einen Theologen oder Hebraisten vor, der Christentum und Judentum unter Hinweis auf anstößige Stellen des von beiden Religionen verehrten Alten Testaments für verfassungswidrig erklärt und eine "gründliche Bereinigung" des Textes fordert. Denn immerhin ist das angeblich auf Moses zurückgehende Gesetz von der islamischen Scharia kaum zu unterscheiden. So beispielsweise mit der Anordnung der Todesstrafe für Ehebrecherinnen, Homosexuelle oder "Gottesleugner".

Anti-Islamismus hat derzeit Konjunktur. Zur traditionellen deutschen Angst vor "Überfremdung" kommt spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 die von der Bush-Regierung angeführte Kreuzzugsstimmung hinzu. Wer etwas gegen den Islam zu sagen hat, dem stehen nicht nur in Deutschland die meisten Medien offen. In Anlehnung an Thomas Manns Verdikt, der Antikommunismus sei "die Grundtorheit unserer Epoche", kann man sagen, dass sich der Antiislamismus inzwischen gleichberechtigt hinzugesellt hat.

Hans-Peter Raddatz war in der vergangenen Woche besonders oft zu hören, zu sehen und zu lesen. Eine angebliche Morddrohung hatte dem "Islam-Kritiker" optimale Aufmerksamkeit verschafft. Auf einer islamistischen Website, dem "Muslim-Markt", war ein Gebet erschienen, Gott möge Raddatz für seine "Hasspredigten" und "Lügen" strafen. Nicht sehr freundlich, aber strafrechtlich wohl ebenso wenig relevant wie der Wunsch, es möge jemanden der Teufel holen.

Inzwischen hat der Betreiber des "Muslim-Markts", der Ingenieur Yavuz Özoguz, das Handtuch geworfen: Nach 16 Jahren kündigte er seinen Arbeitsplatz an der Universität Bremen. Zuvor hatte sich Bundesinnenminister Otto Schily mit der drohenden Frage eingeschaltet, ob die Universität weiterhin jemanden beschäftigen könne, "der in dieser Weise hetzt".

Klarer Punktsieg für die Antiislamisten. Um kein Missverständnis offen zu lassen: Hans-Peter Raddatz geht es nicht um Kritik an fundamentalistischen Interpretationen des Koran. Er verurteilt den Islam grundsätzlich wegen seines "Gewaltpotentials". Seit Jahren verhöhnt er deshalb alle Ansätze, mit muslimischen Gemeinden in einen Dialog einzutreten, als Ausdruck "politischer Blindheit". Im Grunde stellt er die in Deutschland praktisch gelebte Koexistenz mit dem Islam in Frage. Ihn als Hassprediger zu bezeichnen, erscheint daher durchaus plausibel.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 24. Oktober 2005