KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Nicht-traditionelle Beziehungen

Russland diskriminiert Homosexuelle. Ähnliche Gesetze auch in acht US-Bundesstaaten.

Vier von fünf Russen haben eine negative Einstellung zu sexuellen Beziehungen zwischen Menschen gleichen Geschlechts. Nur zwei bis drei Prozent akzeptieren sie als normal. Das berichtete die Nachrichtenagentur RIA Nowosti am Sonnabend als Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die vom staatlichen Institut VTSIOM durchgeführt worden war. Mit 82 Prozent fällt die Ablehnung männlicher Paare etwas stärker aus als die lesbischer Beziehungen mit 78 Prozent. Nach den Erkenntnissen des Instituts hat die Ablehnung der Homosexualität in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das steht im Zusammenhang mit dem wachsenden Einfluss der orthodoxen Kirche, einer staatlich geförderten höheren Wertschätzung für die Zarenzeit, und der Betonung „russischer Werte“ in Abgrenzung zum westlichen Liberalismus.

Seit Juni 2013 gilt in Russland ein Gesetz, das die „Propagierung nicht-traditioneller sexueller Beziehungen vor Minderjährigen“ - das Wort „Homosexualität“ kommt im Text nicht vor – mit Strafen bedroht. Die Annahme durch die Duma erfolgte einstimmig, bei einer einzigen registrierten Enthaltung. VTSIOM hatte damals ermittelt, dass 88 Prozent der Befragten dem Gesetz zustimmten. Die Ablehnung homosexueller Beziehungen sei, so das Institut, von 59 Prozent im Jahre 2005 auf 86 Prozent – im Juni 2013 – gestiegen. 54 Prozent der Befragten sprachen sich damals sogar für ein Verbot solcher Beziehungen aus.

Davon ist das seit vorigem Jahr geltende russische Gesetz weit entfernt. In rund 80 Ländern der Welt ist Homosexualität illegal. Sie liegen – mit der wichtigen Ausnahme Indiens - fast ausschließlich im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika. Keiner dieser Staaten ist jedoch im Westen einer derart starken und systematischen Polemik ausgesetzt wie Russland. Die Gründe dafür sind offensichtlich im politisch-strategischen Bereich zu finden.

Fakt ist dennoch, dass die russische Gesetzgebung Menschen wegen ihrer „nicht-traditionellen“ sexuellen Orientierung diskriminiert und einschränkt. Folgendes wird seit Juni 2013 im Artikel 6.21 des russischen Verwaltungsrechts hauptsächlich mit Geldstrafen bedroht: „Propagierung nicht-traditioneller sexueller Beziehungen vor Minderjährigen durch die Verbreitung von Informationen, die darauf abzielen, bei diesen nicht-traditionelle sexuelle Verhaltensweisen herauszubilden, solche Beziehungen attraktiv erscheinen zu lassen, falsche Vorstellungen über die gesellschaftliche Gleichwertigkeit zwischen traditionellen und nicht-traditionellen Sexualbeziehungen zu produzieren, oder Interesse an solchen Beziehungen hervorzurufen.“

Das Gesetz arbeitet nicht nur mit einem sehr weit gefassten Begriff von „Propagierung“, sondern bedient sich darüber hinaus einer unpräzisen Sprache, die der Rechtssprechung viel Spielraum lässt – meist vermutlich zum Nachteil der Angeklagten. Praktisch verbannt das Gesetz Homosexualität aus der Öffentlichkeit. Die Geldstrafen für Individuen sind allerdings relativ niedrig angesetzt – umgerechnet zwischen 80 und 100 Euro -, können für Amtsinhaber zehn Mal so teuer werden, und steigern sich erheblich, wenn bei der „Propagierung“ rechtliche Körperschaften, also etwa Organisationen oder Einrichtungen, ins Spiel kommen, zumal wenn diese sich des Internets oder anderer Medien bedienen. Die Höchststrafe kann dann eine Million Rubel, etwa 20.800 Euro, betragen.

Ian Ayres und William Eskridge, Jura-Professoren an der Yale University, warnten am 1. Februar in der Washington Post vor „Scheinheiligkeit“ angesichts der russischen Gesetzgebung. Sie stellten vier tendenziell ähnliche Zitate vor und verrieten dann, dass nur eines davon aus dem Artikel 6.21 war. Die anderen drei stammten aus den US-Bundesstaaten Utah, Arizona, Alabama und Texas. Acht Bundesstaaten sowie mehrere Städte und Kreise der USA haben Gesetze, die die „Befürwortung von Homosexualität“ verbieten, schrieben die Autoren.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 18. Februar 2014