KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Äthiopien: 35 mal lebenslänglich für Oppositionspolitiker

Im Prozess gegen führende Oppositionspolitiker und sechs Journalisten verhängte ein Gericht in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba am 16. Juli 35 mal lebenslängliche Haft. Sechs weitere Angeklagte wurden zu Gefängnisstrafen zwischen 15 und 18 Jahren verurteilt. Zwei Journalisten sollen ein bis drei Jahren absitzen. Insgesamt waren 43 Personen angeklagt; gegen fünf von ihnen wurde in Abwesenheit verhandelt. Der Staatsanwalt hatte in der vorigen Woche 38 mal die Todesstrafe beantragt.

Unter den Angeklagten befand sich die gesamte Führung des aus vier Parteien bestehenden Oppositionsbündnisses Koalition für Einheit und Demokratie (CUD). Neben ihnen saßen Journalisten, Redakteure, neun Parlamentsabgeordnete, Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und der mit großer Mehrheit gewählte Bürgermeister der Hauptstadt Addis Abeba, Berhanu Negga, auf der Anklagebank.

Allen wurde vorgeworfen, die Verfassung verletzt und den Sturz der Regierung geplant zu haben. Fünf führende Politiker der CUD waren darüber hinaus angeklagt, zur bewaffneten Rebellion aufgerufen zu haben. Die ursprünglich in der Anklageschrift ebenfalls enthaltenen Vorwürfe des Völkermords und des Hochverrats wurden während des Verfahrens fallengelassen.

Gegenstand des Prozesses waren die Demonstrationen des Jahres 2005, bei denen es rund 200 Tote gab, hauptsächlich durch Schüsse der Polizei und von Spezialtruppen. Es sollen bei den Zusammenstößen aber auch sechs Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sein. Die Demonstrationen richteten sich gegen Betrug und Einschüchterung durch die Regierungspartei bei den am 15. Mai 2005 abgehaltenen Parlamentswahlen. Auch die Beobachter der Europäischen Union hatten zahlreiche Verstöße registriert.

Nachdem zunächst wochenlang keine Ergebnisse bekannt gegeben wurden, gab es im Juli 2005 dreitägige Demonstrationen, ausgehend von Schülern und Studenten. Die Regierung machte dafür die Opposition verantwortlich und stellte mehrere ihrer Führer unter Hausarrest. Die Protestbewegung, begleitet von Streiks, flammte im November erneut auf. Die Regierung hob daraufhin die Immunität aller Oppositionsabgeordneten auf und ließ Massenverhaftungen vornehmen.

Insgesamt beteiligten sich mehrere Hunderttausend Menschen an den Demonstrationen. Nach Angaben von Amnesty International (AI) ließ das Regime rund 30.000 Demonstrationsteilnehmer festnehmen. Tausende kamen seither frei, nachdem sie pauschale Schuldeingeständnisse abgelegt hatten, aber mehrere Tausend sind immer noch in Haft, sagt AI. Willkürliche Verhaftungen und Anwendung der Folter sind laut Untersuchungen äthiopischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen an der Tagesordnung.

Neben dem Prozess gegen die 38 wichtigsten Oppositionsführer laufen noch mehrere andere Strafverfahren in gleicher Sache. Mehrere Dutzend Angeklagte wurden inzwischen freigelassen, nachdem sie Erklärungen abgegeben oder unterschrieben hatten, in denen die Version der Regierung über die Ereignisse des Jahres 2005 anerkannt wurde. Auch hinter den Kulissen des jetzt abgeschlossenen Prozesses soll über einen solchen Deal verhandelt worden sein.

Die amerikanische Regierung als wichtigster Verbündeter Äthiopiens hatte auf die Beantragung der Todesstrafe gegen 38 Angeklagte mit "Überraschung" reagiert und das Regime in Addis Abeba aufgefordert, sich beim Urteil von der dringenden Notwendigkeit der "nationalen Versöhnung" leiten zu lassen. Ann Gomes, die vor zwei Jahren das Team der EU-Wahlbeobachter geleitet hatte, kritisierte jetzt den Prozess als "Farce" und als "inhuman". Sie forderte die Europäische Union auf, sich für die Freilassung der Inhaftierten einzusetzen. Insgesamt sind sowohl die USA wie auch die EU mit Kritik an den massenhaften schweren Menschenrechtsverletzungen durch das äthiopische Regime sehr zurückhaltend.

Die US-Regierung hat Äthiopien in den letzten Jahren verstärkt zu ihrem "Gendarmen" für die gesamte Region Nordostafrika gemacht. Offiziell belief sich die amerikanische Militärhilfe auf 928.000 Dollar im Zeitraum 1999-2001 und auf 16, 7 Millionen in den Jahren 2002-2004. Im Jahr 2005 soll die Summe bei 7 Millionen gelegen haben. Diese Zahlen zeigen zwar einen starken Anstieg nach dem 11. September 2001, dürften aber hinter der Realität weit zurückbleiben.

Seit Dezember vorigen Jahres agiert die äthiopische Armee mit Rückendeckung der USA, der EU und des UNO-Sicherheitsrates im benachbarten Somalia als Besatzungsmacht.

Knut Mellenthin

Erweiterte Fassung eines am 18. Juli 2007 in der Jungen Welt erschienenen Artikels