KNUT MELLENTHIN

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Äthiopien verzögert Rückzug aus Somalia

Die Zweifel am angekündigten Abzug der äthiopischen Interventionskräfte aus Somalia nehmen zu. Aus den Regionen Hiran und Galgadud im Nordwesten werden offensive Truppenbewegungen der Äthiopier gemeldet, nachdem dort in der vorigen Wochen mehrere Städte fast kampflos von den islamistischen Milizen der Schabaab übernommen worden waren. In der Hauptstadt Mogadischu starben am 5. Dezember 16 Menschen, als äthiopische Soldaten mehrere Mörsergranaten in ein Wohnviertel schossen. Es handelte sich offenbar um eine Repressalie nach einem vorausgegangenen Angriff auf einen äthiopischen Stützpunkt.

Am 28. November hatte ein Sprecher des Außenministeriums in Addis Abeba völlig überraschend angekündigt, dass alle äthiopischen Soldaten bis zum Jahresende aus Somalia abgezogen werden sollen. Wie viele sich dort befinden, ist nicht bekannt. Schätzungen bewegen sich zwischen 3000 und mehr als 20.000. Die nicht durch Wahlen legitimierte, aber vom UN-Sicherheitsrat und der Afrikanischen Union unterstützte Übergangsregierung hatte das Militär aus dem Nachbarland vor zwei Jahren zu Hilfe gerufen, um die sich abzeichnende Machtübernahme durch die fundamentalistische Union der Islamischen Gerichte (UIC) zu verhindern. Würden die äthiopischen Soldaten jetzt wirklich abgezogen, wäre die Übergangsregierung, die zudem durch interne Rivalitäten erschüttert wird, in kürzester Zeit am Ende.

Sowohl der Präsident der Übergangsregierung, Abdullahi Jusuf, als auch Premierminister Nur Hassan Hussein haben deshalb an die äthiopische Regierung appelliert, kein „Machtvakuum“ entstehen zu lassen und ihre Truppen in Somalia zu halten, bis adäquate internationale Streitkräfte an deren Stelle treten können. Im selben Sinn hat sich auch die Afrikanische Union geäußert, die mit einer militärisch bedeutungslosen 3000 bis 3500 Mann starken „Friedenstruppe“ (AMISOM) aus ugandischen und burundischen Soldaten in Somalia präsent ist. Zugleich hat die AU am 30. November die UNO aufgefordert, „ohne weitere Verzögerung“ die Aufstellung einer „Stabilisierungstruppe“ zu autorisieren. Hinter den Kulissen hat offenbar auch die US-Regierung, die Äthiopien vor einem Jahr maßgeblich zum militärischen Eingreifen in Somalia ermuntert hat, jetzt Einspruch gegen den angekündigten Abzug eingelegt.

Die Regierung in Addis Abeba hat daraufhin am 6. Dezember erklärt, Äthiopien akzeptiere „seine moralische Verpflichtung gegenüber AMISOM“ und werde daher „alles Erforderliche tun, um dafür zu sorgen, dass AMISOM durch seinen Rückzug keinen Schaden nimmt“. Man werde sich „flexibel“ verhalten, woraus sich „einige Tage Verzögerung“ beim Abzug ergeben könnten.

Unterdessen spitzt sich der Konflikt in der Übergangsregierung, der von somalischen Beobachtern auch als Streit zwischen den zwei bedeutendsten Clans des Landes interpretiert wird, auf eine Entscheidung zu. Premierminister Nur Hassan Hussein hat im November mit einer kollaborationsbereiten Fraktion der Opposition ein Abkommen über eine „Machtteilung“ geschlossen. Es sieht vor, die Abgeordnetenzahl des – niemals gewählten – Parlaments zu verdoppeln und die zusätzlichen Sitze der Opposition zu geben. Zugleich soll die Amtszeit des Parlaments, die im August 2009 ausläuft, um zwei Jahre verlängert werden. Präsident Abdullahi Jusuf lehnt die „Machtteilungs“-Vereinbarung ab. Beide Rivalen versuchen, eine Mehrheit der Abgeordneten auf ihre Seite zu bringen. Äthiopien, früher eine wesentliche Stütze des Präsidenten, hat Jusuf anscheinend fallen gelassen und befürwortet die „Machtteilung“.

Knut Mellenthin
Junge Welt, 11. Dezember 2008