KNUT MELLENTHIN

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Bomben auf Mogadischu

Droht in Somalia der nächste als „humanitäre Intervention“ verkleidete NATO-Krieg? Wenn es nach der BILD ginge, sollte es so schnell wie möglich losgehen. Mit der islamistischen Organisation Al-Schabab ist der Hauptschuldige für die Hungersnot in Nordostafrika schon ausgemacht: „Warum müssen diese Menschen so sehr leiden? (...) Die radikale Miliz mit besten Verbindungen zu al-Qaida blockiert die so dringend benötigten Hilfslieferungen. (…) Während die Bundesregierung ihre Hilfen am Horn von Afrika aufstocken will, verbieten die unmenschlichen Rebellen den Rettern die Arbeit im Land“. (27. Juli) „Die Rettungstransporte kommen nicht durch. (…) Islamische Milizen behindern die Verteilung der Nahrungsmittel! (…) Deshalb waren die Menschen in Somalia bis zum Beginn der Luftbrücke am Mittwoch der Hungerkatastrophe vollkommen schutzlos ausgeliefert.“ (28. Juli)

Am 31. Juli folgte schließlich, ausgestoßen vom CDU-Politiker und Ex-Minister Klaus Töpfer, der Ruf nach einem von den Vereinten Nationen abgesegneten Militäreinsatz: „Auf dem Rücken verhungernder Menschen werden Stammesfehden ausgetragen, dazu kommt der islamische Fundamentalismus der Al-Shabab-Milizen. Dem darf die Weltgemeinschaft nicht länger zusehen. Wo bleibt die schnelle Einsatztruppe der UN? Die Souveränität der Staaten ist zu Recht völkerrechtlich ein hohes Gut. Aber: Wenn dadurch Menschen verhungern, muss eingegriffen werden. Dort endet die nationale Souveränität. (…) Schluss mit den sinnlosen Streitigkeiten in Kenia, in Äthiopien, vor allem in Somalia. Dafür muss die UN sorgen. Und die Bundesregierung muss dafür rücksichtslos eintreten.“

Dass Al-Schabab Lebensmittellieferungen verhindere, ist in der behaupteten Pauschalität nicht wahr. Einige ausländische Hilfsorganisationen dürfen in den von den Islamisten beherrschten Gebieten nicht arbeiten, andere jedoch sehr wohl. Dass die Hilfe viel zu spät und viel zu unzureichend kommt, liegt hauptsächlich daran, dass die internationale Gemeinschaft immer noch bei weitem nicht genug Finanzmittel zur Verfügung stellt. Dabei ist die Hungerkatastrophe nicht unvorhersehbar über die Menschen in Äthiopien, Somalia, Kenia, Djibouti und Uganda hereingebrochen, sondern baute sich schon seit mehreren Jahren auf. An Warnungen der UNO fehlte es nicht, wohl aber an rechtzeitigen Reaktionen. Deutschland zeichnete sich dabei durch überdurchschnittlichen Geiz aus.

Ein wesentlicher Grund für das Zögern internationaler Hilfsorganisationen, in den von Al-Schabab beherrschten Gebieten tätig zu werden, liegt in den harten Strafandrohungen der US-Regierung. Seit die somalische Organisation im Jahre 2008 auf die Terrorliste gesetzt wurde, müssen auch Ausländer mit Sanktionen rechnen, falls sie in irgendeiner Form mit Al-Schabab „zusammenarbeiten“, was bei Hilfsaktionen natürlich unerlässlich ist. Die US-Regierung hat diese Bestimmung erst am Dienstag etwas gelockert. Zuvor hatte sie ihre eigene humanitäre Hilfe für Somalia von 237,4 Millionen Dollar im Jahre 2008 auf nur noch 28 Millionen im vorigen Jahr heruntergefahren.

Ob der Ruf nach einer Militärintervention nur der Aufgeregtheit einiger Mainstream-Redakteure entspringt oder ob mehr dahinter steht, ist derzeit nicht auszumachen. Ein Rückblick auf das Eingreifen der UNO Anfang der 1990er Jahre sollte eigentlich gegen eine Wiederholung des damaligen Fiaskos sprechen.

Am 3. Dezember 1992 hatte der UN-Sicherheitsrat mit der einstimmig verabschiedeten Resolution 794 die USA – ohne sie namentlich zu nennen - autorisiert, „alle notwendigen Mittel einzusetzen, um so bald wie möglich ein sicheres Umfeld für humanitäre Rettungsaktionen in Somalia zu schaffen“. Angeblich waren bis dahin aufgrund einer Hungerkatastrophe schon eine halbe Million Menschen gestorben. In der Begründung des Beschlusses hieß es, dass wegen der Bürgerkriegskämpfe nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten Siad Barre im Januar 1991 Hilfsaktionen kaum noch durchführbar seien und dass internationale Organisationen einen stärkeren Schutz ihrer Tätigkeit durch die UNO verlangt hätten.

Es war kein Geheimnis, dass die Resolution 794 eine Reaktion auf ein zuvor mitgeteiltes Interventionsangebot von US-Präsident George H. W. Bush war, der sich in den allerletzten Wochen seiner Amtszeit befand. Am 9. Dezember 1992 begann die gewaltsame Invasion von 30.000 Soldaten aus den USA, die von 10.000 Militärangehörigen aus anderen Ländern unterstützt wurden. Am 26. März 1993 beschloss der Sicherheitsrat die Ablösung der US-geführten multinationalen Truppe durch eine UN-Mission. An den tatsächlichen Verhältnissen änderte das indessen wenig. Als die UN-Truppen versuchten, die Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien mit Gewalt durchzusetzen, stießen sie auf heftigen Widerstand. Die Konfrontation verschärfte sich, nachdem US-amerikanische Einheiten, gedeckt durch ein neues Mandat, seit Juni 1993 einseitig in den Bürgerkrieg eingriffen und bei Luftangriffen zahlreiche Zivilisten töteten.

Anfang Oktober 1993 kam es zu dem bekannten Zwischenfall, bei dem zwei Black-Hawk-Hubschrauber abgeschossen und 12 US-amerikanische Soldaten getötet wurden. Daraufhin kündigte Präsident Bill Clinton den Abzug aller US-Truppen aus Somalia bis Ende März 1994 an. Die anderen Teilnehmer der Intervention folgten. Anfang März 1995 räumten die letzten Blauhelm-Soldaten das Feld.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 6. August 2011